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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

den übrigen Theil des Tages schweift er hinaus, um in größeren Schaaren mit seinen Brüdern auf Hutungen, Wiesen und Feldern seiner Nahrung nachzugehen. Besonders gern besuchen sie die Viehweiden, wo sie bald rasch auf dem Boden herumlaufen und Würmer und Insecten zusammensuchen, bald sogar den Schafen und Kühen auf den Rücken fliegen, um blutsaugende Schmarozerthierchen, wie Zecken, Bremsen und Ungeziefer abzulesen.

Die Lebensweise des Stahres ändert sich schon, wenn die Nist- und Brutzeit herankommt. Dann wird er fein häuslich und verläßt seine Wohnung nur auf kurze Zeit, um Nahrung in den naheliegenden Gärten und Feldern einzusammeln. Melden sich endlich die jungen Schreihälse, so ist er der sorgsamste Vater, der ohne Unterlaß Insecten, Larven, Würmer, Engerlinge, kleine Schnecken und dergleichen Ungeziefer zusammensucht. Merkwürdig ist es, wie der futtertragende Stahr auch seinen Flug ändert. Fast scheint es, als glaube dieser Affe unter den Vögeln, die Würde des Familienvaters auch durch einen gravitätischen Flug ausdrücken zu müssen. Stolz wie der Adler schwebt er dann zu seinem Neste, seinen sonst raschen Flügelschlag hemmend.

Viele unter Grasblättern und Laub versteckte Thierchen finden die Stahre sehr leicht durch das zirkelartige Aufspreizen des langen Schnabels auf, indem sie damit die bergenden Umgebungen aufheben oder geschickt umwenden. Schon aus diesem Grunde gewähren die Feld-, Wiesen- und Gartenbesitzer diesen nützlichen Thieren allerlei Schutz. Der Nutzen durch das Vertilgen der schädlichen Insecten und Würmer ist gar hoch anzuschlagen, und man sieht es dem freundlichen und zutraulichen Thiere, schon seines munteren, papageiartigen und possirlichen Wesens halber, einmal nach, wenn es im Amtseifer etwa eine Hyacinthe oder eine andere zarte Pflanze aus dem Gartenbeete mit herauszieht oder unsere Kirschbäume plündert. Als Insectenvertilger ist der Stahr ein gar nicht unwichtiges Glied im Haushalte der Natur.

Doch er debütirt auch außerdem noch als nicht unbedeutender Gesangskünstler. Freund Sturnus ist ein Vetter der sangfertigen Drosseln, und übernimmt sehr gern als Buffone das Fach der komischen Gesangsrollen. Bekanntlich ahmt dieser sonderbare Kauz fast alle Thierstimmen nach, das Miauen der Katze, wie das Quaken des Frosches. Gewöhnlich um die Morgen- und Abendzeit läßt er seinen Gesang hören, welcher aus einem höchst wunderlichen Tongemenge von schnatternden, schnurrenden, leiernden, wetzenden, gacksenden, giebsenden, quäkenden, seufzenden und sprechenden Lauten besteht, zwischen denen er immer wieder seine Drosselnatur durch ein angenehmes Pfeifen, ähnlich dem des Pirol, zur Geltung bringt. In der Gefangenschaft lernt er deutlich sprechen. Als Merkwürdigkeit erwähnt Tschudi, daß eine Wittwe in St. Gallen einen Stahr besessen habe, der das als Tischgebet täglich vernommene „Unser Vater“ deutlich herzusagen verstand.

Namentlich bei Sonnenuntergang sammeln sich die Stahre aus der Nachbarschaft gern auf einem nahen hohen Baume, etwa auf der Spitze einer italienischen Pappel, auf deren schwanken Zweigen sie sich gern wiegen. Dann machen sie Chorus mit ihrem sonderbaren Geschrei, und es gewährt dem Beobachter besonderes Vergnügen, den lebhaften Wechselgesprächen der klugen Thierchen zu lauschen.

Der Stahr ist ein Strichvogel, der bei uns während des Sommers zwei Mal nistet; 4–6 Junge werden in einer Hecke aufgezogen. Hie und da beraubt man ihn seiner wohlschmeckenden Jungen, die unter verschiedenen fremdländisch klingenden Namen sogar als Delicatessen auf die Tafeln gebracht werden.

So wie die Brütezeit vorüber ist, lassen sich die Stahre nicht mehr in der Nähe ihrer Hegeplätze sehen. Sie schwärmen dann auf den Feldern in großen Schaaren umher, die wie schwarze Wolken unter donnerähnlichem Geräusch sich erheben, wenn man sich ihnen nähert.

Wie stark die Vermehrung dieser Vögel war, sieht man dann an dem jungen Volk, das sich durch ein hellgraues gesprenkeltes Gefieder von dem kohlschwarzen älteren Geschlechte unterscheidet. Kurz vor ihrem Abzüge nach wärmeren Gegenden besuchen die Stahre noch einige Mal ihre freundlichen Wirthe, um Valet zu sagen. Des Morgens und des Abends hört man ihren pfeifenden Ton noch einmal in der Nähe der Stahrmesten. Im October, oft auch erst mit den ersten Schneeflocken, verlassen sie uns still und geräuschlos. Dieselben Stahre, welche unsere Brutkästen in diesem Jahre inne hatten, besetzen sie auch im nächsten Jahre wieder, wenn sie glücklich von ihrer Wanderschaft heimkehrten.




Rosa Heisterberg.
Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Schluß.)

„Ich bedauere,“ antwortete sie sehr ruhig und kalt, „daß ich Ihnen in dieser Beziehung nur das Nämliche wiederholen kann, was ich Ihnen heute Morgen sagte.“

„Ihre Weigerung würde jetzt ohne Erfolg sein. Mit diesem Zettel in der Hand wird der Polizei seine Entdeckung leicht werden.“

„Ich werde das abwarten.“

„Sie haben in der letzteren Zeit des Abends häufige Ausgänge gemacht?“

Sie wurde glühendroth im Gesicht.

„Werden Sie mir Auskunft darüber geben, wohin Sie gingen?“

Der Röthe folgte eine ängstliche Blässe.

„Ja, mein Herr, ich war seit einiger Zeit mehrmals des Abends ausgegangen; ich kann Ihnen aber nicht sagen, wohin; das Geheimniß gehört nicht mir allein. Aber um Eins bitte ich Sie; denken Sie dabei nicht an –“

Sie stockte.

„Woran nicht?“

Sie antwortete nicht. Sie war sehr verlegen.

„An jenen jungen Mann nicht?“

Auf einmal standen in ihren Augen wieder Thränen.

„O, mein Herr, ich selbst habe Ihnen zu einem ungerechten Verdachte Veranlassung gegeben; geben Sie ihn auf, ich beschwöre Sie, um des braven, des edlen jungen Mannes willen.“

Die Gefangene und ihre geheimen Beziehungen mußten mir immer räthselhafter erscheinen.

Ich schritt zu dem Verhör über die Diebstähle selbst.

Sie war wieder vollkommen ruhig.

„Ich habe die Majorin von Waldheim vernommen,“ begann ich.

Sie fiel mir schnell und ein wenig spöttisch in die Rede.

„Und die vornehme Dame hat Sie wohl von meiner Schuld überzeugt? Ich bin die Diebin?“

„Die Frau von Waldheim klagt Sie mehrerer Diebstähle an.“

„Ich weiß es.“

„Die Frau von Waldheim war vor mehreren Wochen auf kurze Zeit verreist?“

„Auf acht Tage nach Louisenhof.“

„Sie begleiteten sie nicht?“

„Ich war in ihrer Wohnung zurückgeblieben.“

„Allein?“

„Allein mit der Köchin.“

„Hatten Sie Zutritt zu allen Zimmern der Wohnung?“

„Ja.“

„Auch zu dem Wohn- und Schlafzimmer der Majorin?“

„Ja.“

„War Ihnen bekannt, wo die Majorin ihr Geld und ihre Kostbarkeiten verwahrt hielt?“

„Ihre Kostbarkeiten hatte sie mitgenommen; ich hatte sie ihr einpacken helfen. Ihr Geld pflegte sie an zwei Orten zu verwahren, in einem Schreibsecretair in ihrem Wohnzimmer und in einem Wandspinde in ihrer Schlafstube.“

„Woher war Ihnen dies bekannt?“

„Die Dame hatte mir nie ein Hehl daraus gemacht.“

„Wo befanden sich die Schlüssel zu dem Secretair und dem Spinde?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_120.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)