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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Drüben lag die englische Persia, der Stolz Englands. Diese sollte diesmal geschlagen werden. Alles maritime Amerika und England lauerte auf das Ergebniß der großen Wette, wer diesmal am schnellsten über den atlantischen Ocean jagen würde.

Wettfahrten mit 2–3000 Pferdekraft, Wettbahn der atlantische Ocean. Risico 5–600 Menschenleben – aber ein glänzender Sieg, ein glorioses Resultat, dann zu wissen, wer die Baumwollencourse zuerst in Neuyork oder Liverpool melden kann, England oder Amerika. Wer zuerst kommt, gehört der stärkeren, glorioseren, civilisirteren Nation an! Welch’ eine großartige, dämonische Hetzjagd um eine Lumperei! Moderne Maschinen und Menschen! Und nun einige factische Bemerkungen, die ich mir in der Eile aus einem Bericht über die „Adriatic“ abschrieb.

Sie hatte gegen 200 Mann Besatzung und Beamte zum Betriebe und zur Bewirthschaftung: 1 Commandeur, 4 Steuerleute, 1 Arzt, 1 Cassirer, 4 Quartiermeister, 2 Tischler, 1 Hochbootsmann, 36 Matrosen, 1 Ingenieur, 3 Assistenten desselben, 6 Aufseher über Feuer und Dampfkessel, 4 „Oeler“ (zum Einölen der Maschinen), 2 Ingenieurwärter, 24 Heizer, 36 Kohlenkärrner, 1 Steward, 3 Unterstewards, 36 Aufwärter bei Tische, 3 weibliche Stewards, 2 Ausgeber, 1 Schenk-Aufseher, 1 Barbier, 1 Hauptkoch, 1 Unterkoch, 1 Bäcker, 2 Pastetenbäcker u. s. w., zusammen 188 Mann, die aber noch vervollständigt werden sollten.

Die Musterung des neuesten amerikanischen Stolzes war flüchtig, denn kaum hatten wir uns in dessen Studium etwas verloren, schrie es durch’s Schiff: das Boot geht ab, wer will noch mit? Wir eilten hinauf und hinunter in unser Dampfboot, das wie eine Nußschale unten lag und 300 Menschen auf dem Deck gleichwohl wie eine Spielerei behandelte.

Auf dem Wege kamen wir dichter vor der englischen Persia vorbei, die sich bereits zur Wettfahrt rüstete. Es ist das bis jetzt größte englische Dampfschiff, halb so groß wie der Leviathan und dreimal länger, als das größte englische Kriegsschiff, der „Wellington“, der Hauptgrund, weshalb Amerika diese „Adriatic“ baute. Wetteifer zwischen civilisirten Völkern ist eben so schön und civilisirend, wie Wetteifer zwischen Menschen und Collegen; aber die Art, wie Amerika und England mit einander im Schiffsbau und im Schnellfahren rivalisiren, hat etwas Dummes und Dämonisches zugleich. Keine Fahrt über den atlantischen Ocean geschieht unter gleichen Verhältnissen. Wind und Wetter machen stets einen Unterschied, so daß eine Messung nationaler Ueberlegenheit nach solchen Fahrten zunächst abgeschmackt ist. Sie ist aber auch barbarisch, demoralisirend, weil dabei schon manches kostbare Schiff mit kostbaren Gütern und Menschen in den Grund gerannt ward. Abgesehen davon, ist das Arbeiten auf den äußerlichen, momentanen Effect der schlimmste Wurm im Innern des Gewerbfleißes und der Production, welcher namentlich in Amerika große Verheerungen anrichtet. Auswendig glänzt Alles, aber inwendig fehlt es immer merklicher an Halt und Solidität.




Ein gefiederter Frühlingsbote.
Thierzeichnung von Moritz Kloss.

In Deutschland und der Schweiz, hauptsächlich in Sachsen und Thüringen, pflegt sich im Februar oder, je nach Verlauf des Winters, im März ein Frühlingsbote einzustellen, der in Städten und Dörfern gar wohl bekannt ist und von Jung und Alt als ein lieber Gast freundlich begrüßt wird.

Luftige und muntere Gesellen sind überall willkommen, und so kann es uns nicht Wunder nehmen, daß man dem von uns gemeinten, welchen der berühmte Linné bei seiner großen Naturtaufe mit dem Familiennamen Sturnus vulgaris bedachte, gern das Quartier bereitet und ihn durch hölzerne Sommerwohnungen nach seinem Geschmack in Gärten und an Häusern zu fesseln sucht.

„Die Stahre sind da!“ – ruft ein Nachbar dem anderen freudig zu, wenn sich eines Morgens nach langem harten Winter der gefiederte Frühlingsbote einstellte. Ihr Erscheinen ist dann ein Ereigniß, das man sich von Haus zu Haus weiter erzählt. Es knüpft sich an diese Wiederkehr des Stahres aber nicht blos der liebliche Gedanke an den nun bald einziehenden Frühling; die freudige Erregung der Menschen hat auch ihren unmittelbaren Anknüpfungspunkt an den geselligen und sonstigen angenehmen Eigenschaften des auffälligen Vogels, der seines muntern, papageiartigen Wesens wegen so allgemein populär und beliebt geworden ist.

Denn kaum dürfte es unter unseren einheimischen Vögeln noch einen geben, der so wie der Genannte durch sein Naturell und seine Haushaltung unser Interesse in Anspruch nähme.

Mit seinem schwarzen, durch stahlblauen Schiller und hellbraune Spitzenfleckchen geschmückten Federkleide, mit dem gelben Schnabel und den braunrothen Füßen, verbindet der Stahr überhaupt ein recht angenehmes nettes Aeußere und weiß sich überdem durch seine munteren und drolligen Manieren bestens zu empfehlen. Seiner Größe nach hält er die Mitte zwischen Taube und Sperling.

Im Fliegen ist der Stahr sehr gewandt und flink, im Gehen reckt er stolz seinen kleinen spitzigen Kopf empor und weiß seinen wackelnden Gang durch freundliches Kopfnicken und munteres Umherschauen geschickt zu verbergen. Sitzt er ruhig auf einem Hausgiebel oder auf einem Baumwipfel, so pflegen seine Hinterkopf- und Halsfedern gesträubt zu stehen, was dem Vorderkopf ein um so spitzigeres und listigeres Ansehen gibt.

Daß er in auffallendem Grade gesellig ist und sich gern in der Nähe von Menschenwohnungen aufhält, zeigen unsere Stadt- und Dorfgärten, wo er fast überall gehegt und gepflegt wird. Man sieht seinem munteren Treiben gerne zu, wenn er unruhig und nie geschäftslos bald hier-, bald dorthin fliegt, und bald diese bald jene ihm zugedachte Holzmeste sorgfältig untersucht: ob sie für ihn auch comfortable sei und ein sicheres Domicil gewähre. Für gewöhnlich nistet er in hohlen Bäumen der Wälder und Wiesen, gibt aber den künstlich hergerichteten allbekannten „Stahrkästen“ den Vorzug, um sich darin im Freien förmlich hegen zu lassen. Haben wir an der Stahrmeste die Oeffnung zum Ein- und Ausfliegen größer gemacht, als er sie braucht, um sich hindurchzuzwängen (er zirkelt mit seinem Schnabel vorher ganz sachverständig ab, ob sie größer ist, als ein Thalerstück): so trägt er Bedenken: sich hier sein Nest zu bereiten, denn er denkt sorglich schon an seine Jungen, denen die gierige Nachteule oder die verschmitzte Elster den Garaus machen könnten. Denn das hat man schon beobachtet, daß sich die diebische Elster heranschlich an den Stahrkasten, durch Pochen mit dem Schnabel die jungen Stahre zum Emporrecken der Hälse verlockte und dann einen unbarmherzig herauszerrte, um ihre Mordlust daran zu weiden.

Findet der Stahr jedoch das Häuslein nach seinem Sinne, gewährt es ihm Schutz gegen seine Feinde und findet er überdies noch ein rundes Stäbchen zum bequemen Anfliegen an dem Kasten, so ist sein „Hierbleiben!“ beschlossen.

Am frühen Morgen finden wir dann unsern Freund schon wach und mit allerlei Vorkehrungen zur Ordnung seines Hauswesens beschäftigt. Mit seines Gleichen liegt er in der ersten Zeit nicht selten im Streite um den erwählten Heerd; doch tritt unter ihnen bald Verständigung ein. Hartnäckiger ist der Kampf mit dem Spatz, welcher häufig in des Stahres Abwesenheit dessen Wohnung bezieht und wohl gar geschäftig ist, mit Stroh und Federn sich sogleich häuslich einzurichten. Dann entspinnt sich bei der Rückkehr ein oft mehrere Tage andauernder Krieg, an dem sich auch wohl des Spatzen und des Stahres Genossen in Masse betheiligen. Der unverschämte Spatz verfolgt den Stahr bis hoch in die Luft und verbeißt sich mit großer Heftigkeit. Aber er muß gewöhnlich doch den Kürzern ziehen. Es nimmt sich gar komisch aus, wenn dann Herr Sturnus nach kurzem Proceß das mühsam bereitete Bette des Spatzen sammt Bettstroh und Bettfedern zum Fenster hinauswirft, um sich nun nach eigenem Sinne wohnlich einzurichten. Die besiegten Spatzen sitzen dann von Weitem und lassen ärgerlich ihr durchdringendes: „Schelm! Schelm!“ ertönen, wenn eine Ladung Geniste aus dem Stahrneste herausfliegt.

In der ersten Zeit nach seinem Eintreffen zeigt sich der Stahr nur am Morgen in der Nähe seiner erwählten Wohnung;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_119.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)