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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 9. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der gefangene Dichter.
Von Levin Schücking.
(Schluß.)


Minette jubelte über dies Auskunftsmittel der Landgräfin.

„Frohlocke nicht zu früh, thörichtes Kind,“ sagte diese; „weißt Du denn, ob der junge Goethe sich dazu bereitwillig finden läßt, in die Rekrutenjacke zu fahren?“

„Wenn er ein Paar Menschen dadurch glücklich machen, wenn er mir dadurch das Leben retten kann!“

„Es ist viel verlangt, Minette!“

„Ei, was wär’s denn – kann er jungen Mädchen mit Sträußen nachlaufen und mit ihnen schön thun, so mag er dann auch sehn, was er angerichtet hat und es wieder gut machen.“

„Du willst’s versuchen?“ sagte die Fürstin.

„Ob ich’s will! O, er muß, er muß!“

Caroline zog die Klingel.

„Dann will ich, das ist jetzt das Nöthigste, Dir Zeit zu verschaffen suchen, daß Du’s ausführen kannst; ich will verhindern, daß der Wilhelm dem Landgrafen vorgeführt werde.“

Ein Kammerdiener war aus dem Vorzimmer eingetreten.

„Louis,“ rief sie diesem entgegen, „ist des gnädigsten Herrn Carosse vorgefahren?“

„Zu Befehl, Durchlaucht, der gnädigste Herr wollen nach Kranichstein hinaus.“

„So laß augenblicklich hinübermelden, ich würde den Herrn begleiten; rufe mir die Gräfin Schwarzenau her und sende mir die Kammerfrau mit meinem Shawl – aber rasch, hörst Du!“

Der Kammerdiener eilte davon, die Befehlt der Landgräfin zu vollziehen; diese trat an ihren Schreibtisch, schrieb schnell einige Zeilen auf ein Blatt Papier nieder und reichte es Minette.

„Da, das für den Officier du Jour – und nun fort!“

Minette küßte der Landgräfin die Hand und flog mehr als sie ging, um aus dem Schlosse zu kommen und den Dr. Goethe aufzusuchen.

Die Landgräfin aber war im nächsten Augenblick für den Ausflug fertig und begab sich, gefolgt von ihren Hofdamen, in die Gemächer des Landgrafen hinüber. Da dieser seine Gemahlin nicht warten lassen konnte, so wurde sofort die Spazierfahrt angetreten; der Rekrut aber, der, von einem Corporal begleitet und bewacht, eben auf dem Wege zum Schlosse war, wurde bei seiner Ankunft vom dienstthuenden Flügeladjutanten heimgeschickt, bis der Landgraf ihn etwa später vorfordern lasse, nachdem die Herrschaften zurückgekehrt.




VII.

Ein paar Stunden waren verflossen und der Abend begann heranzukommen, als die vierspännige Carosse mit dem landgräflichen Paare von dem Lustschlosse Kranichstein her wieder durch die Stadt rollte und bald darauf im Schloßhofe hielt. Der Landgraf half seiner Gemahlin aus dem Wagen steigen und bot ihr den Arm, um sie in ihre Gemächer zu führen. Auf der Spazierfahrt hatte sie klug die Gelegenheit benutzt, das Gespräch nochmals auf den Dichter zu bringen und ihrem Herrn den Inhalt des Trauerspiels: „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand,“ welches Merk ihr im Manuscripte hatte vorlesen müssen, mitgetheilt. Die Geschichte von dem mannhaften und derben alten Ritter hatte dem gnädigen Herrn recht gut gefallen.

„Seien Sie ganz ruhig über Ihren Dichter,“ hatte er lächelnd gesagt; „wollen ihn in Gottes Namen derartige Elaborationen und curiose Historien zur Ergötzung müßiger Leute weiter ausfindig machen lassen – könnten ihn ohnehin in unsern Militaircorps schlecht verwenden; solche Art Leute sind niemals gute Soldaten. Haben schon zum Oefteren unsern hellen Aerger an denen studirten Gesellen gehabt, wie sie so von den Universitäten den Werbern in die Hände laufen. Wollen ihn deshalb immerhin im Dienst der Musen lassen, wo weniger Subordination und reglementmäßige Pünktlichkeit gefordert wird!“

Nachdem sich dann oben im Schlosse der Landgraf von seiner Gemahlin in gnädiger Stimmung beurlaubt hatte, schritt Caroline ihren Gemächern zu. Als sie hier angekommen war, ließ sie den Kammerdiener kommen und erkundigte sich, ob Minette nicht da sei und Audienz verlange. Die Tochter des Gärtners war nicht erschienen.

„Und war nicht während unserer Abwesenheit ein Dr. Goethe aus Frankfurt im Schloß, um sich bei der Gräfin Schwarzenau zu melden, Louis?“ fragte die Landgräfin weiter.

Louis hatte ihn nicht gesehen; er ging, um sich näher zu erkundigen, und kam mit der Nachricht, daß kein solcher Herr erschienen sei, zurück.

„Nun dann,“ sagte die Landgräfin erfreut, „dann hat Minette ihn in der That vermocht, die Rolle des Rekruten zu spielen! Wie mich dieser Edelmuth freut! Welch’ schönes Zeugniß für seinen Charakter! Ich hab’ es nicht geglaubt – desto mehr rührt es mich! Aber wie nachlässig von der Minette, daß sie nicht da ist, es mir zu melden! Sie wird eben heute den Kopf verloren haben, das arme Geschöpf.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_113.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)