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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Da war sie doch verlegen geworden. Ihr Gesicht wurde blaß; sie holte schwer Athem.

„Wer sind Sie?“ fragte der Polizeicommissarius das Mädchen.

„Ich bin das Stubenmädchen der Frau Generalin.“

„Wann, sagen Sie, ist das Fräulein nach Hause gekommen?“

„Auf die Minute kann ich die Zeit nicht angeben. Ich rechnete, daß es ein Viertel auf neun Uhr sein könne. Die Uhr in der Stube der Frau Generalin hatte schon vor einer guten Weile acht geschlagen!“

„Wie überzeugten Sie sich von der Rückkehr des Fräuleins?“

„Ich war im Vorzimmer der Frau Generalin mit Plätten beschäftigt, als ich die Entreethür sich öffnen hörte. Die Thür des Vorzimmers, in dem ich mich befand, war nur angelehnt, so daß ich, ohne sie weiter öffnen zu müssen, hinausblicken konnte. Ich sah in den Gang hinein, in dem Gange brannte, wie auch noch, die Laterne; ich erkannte deutlich das Fräulein, die in den Gang eintrat und geradewegs in ihre Stube ging.“

„Der Polizeicommissarius wandte sich an die Diebin.

„Und wann wollen Sie nach Hause gekommen sein, mein Fräulein?“

„Sie war in hohem Grade verwirrt geworden. Sie schwankte offenbar, ob sie bei der Lüge, die sie gegen mich vorgebracht hatte, daß sie den ganzen Abend zu Hause gewesen, verbleiben, oder ob sie sie widerrufen sollte. Sie sah ungewiß bald den Einen, bald den Andern von uns an, bald vor sich hin. Ihr Hochmuth, ihre Frechheit siegten.

„Ich war zu Hause,“ sagte sie. „Das Mädchen irrt sich, oder spricht die Unwahrheit.“

„Nun aber wurde das Mädchen offen.

„Fräulein,“ hielt sie der Verbrecherin vor, „geirrt habe ich mich nicht, und wenn hier Jemand die Unwahrheit spricht, so sind Sie es. Ich habe Sie ganz deutlich erkannt, und ich muß es jetzt auch heraussagen, daß Sie leise genug hereinkamen, damit Niemand Sie hören und sehen sollte. Gerade das, daß die Thür so leise aufging, hatte mich neugierig gemacht, zu sehen, wer da sei, und als ich Sie erkannte, dachte ich noch bei mir, auf welchen Wegen Sie gewesen sein möchten, daß man Ihre Rückkehr nicht gewahr werden solle. Und auch das muß ich jetzt sagen, daß Sie um sieben Uhr schon nicht mehr in Ihrer Stube gewesen waren. Die Frau Generalin schickte um die Zeit mich zu Ihnen, um Sie zu bitten, ob Sie nicht den Thee mit ihr trinken wollten. Aber Ihre Thür war verschlossen, und ich klopfte und rief vergebens davor.“

„Das sagte das Mädchen ihr in’s Gesicht.

„Sie bleiben dennoch dabei,“ fragte der Polizeibeamte sie, „zu Hause gewesen zu sein?“

„Sie blieb dabei.

„Ich kann nicht anders,“ sagte sie. „Machen Sie mit mir, was Sie wollen.“

„Sie sagte es mit ihrem vollen Trotz.

„Der Beamte forderte sie demnächst zuerst auf, ihm ihr vorräthiges baares Geld vorzuzeigen. Sie war allerdings sofort bereit dazu. Sie zeigte in einer Lade ihres Secretairs etwa sechzig Gulden vor. Darunter waren zweiunddreißig einzelne Guldenstücke. Gerade dreißig einzelne Guldenstücke waren mir am Abend entwendet worden. Wiedererkennen konnte ich natürlich die einzelnen Stücke nicht. Aber das ziemlich nahe Uebereinstimmen der Summe der Stücke war auffallend.

„Der Polizeicommissarius befragte sie nach dem Erwerbe des Geldes. Sie weigerte sich trotzig, Auskunft darüber zu geben. Man sollte ihr beweisen, daß sie es gestohlen habe.

„Der Polizeibeamte erklärte ihr darauf, daß er sie arretiren müsse. Sie erwiderte ihm nur, daß er seine Pflicht kennen müsse.“

Dies war die Aussage der Bestohlenen. Die Frau von Waldheim schloß ihre Aussage mit dem Bemerken, daß sie am Morgen, bevor sie zum Criminalgericht gekommen, bei der Generalin, die am gestrigen Abend nicht mehr zu Hause gewesen, vorgefahren sei, und diese ihr bestätigt habe, am Abende vorher um sieben Uhr das Stubenmädchen zu der Heisterberg geschickt, aber die Antwort erhalten zu haben, das Fräulein sei nicht in ihrer Stube und müsse ausgegangen sein.

Das Benehmen der Dame hatte den unangenehmen Eindruck, den schon ihr erstes Erscheinen auf mich gemacht hatte, wie ich bereits bemerkte, nicht gemildert. Die Thatsachen, die sie vorbrachte, hatten allerdings überall den Stempel innerer Wahrscheinlichkeit; auch die Art, wie sie sie vortrug, entbehrte im Ganzen des Ausdrucks der Wahrheit nicht. Allein desto mehr mußte die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, von der sie während des ganzen Verhörs beherrscht wurde, den Verdacht mancher Uebertreibung gegen sie erregen. Dazu kam, daß ihr Verfahren gegen die Angeschuldigte, namentlich der Umstand, daß sie selbst sich sofort zu dieser begeben und in ungestümer Weise gegen sie inquirirt hatte, wenig weiblich, gar roh war, und zudem kaum durch den Verdruß über den Diebstahl und den Verdacht gegen die Heisterberg allein sich erklären ließ, vielmehr höchst wahrscheinlich auch noch aus einem anderen Motive hervorgegangen sein mußte. Welches war dies?

Jedenfalls erschien in solcher Weise der ohnehin nur entfernte Verdacht gegen die Angeschuldigte sehr geschwächt. Hätte sie die Lüge ihrer Anwesenheit zu Hause nicht vorgebracht, so wäre ein Grund zu einem gerichtlichen Einschreiten gegen sie nicht vorhanden gewesen. Konnte sie sich deshalb rechtfertigen, so fiel auch der Grund zu einem ferneren Einschreiten gegen sie, jedenfalls für ihre fernere Haft, fort. Dies auch selbst, wenn man ihre Persönlichkeit in’s Auge faßte, den nicht vortheilhaften Eindruck, den auch ihre Erscheinung gemacht hatte, die Rolle der Abenteurerin, welche die Bestohlene ihr beilegen wollte und für welche in der That ihr auch gegen mich an den Tag gelegtes Heimlichthun nicht geringen Beleg geliefert hatte. Daß die Frau von Waldheim wirklich bestohlen war, konnte trotz jenem Uebertreiben in ihrer Aussage nicht wohl bezweifelt werden. Auch mochten ihre Angaben über die Treue ihrer Dienstboten richtig sein. Allein einerseits ging aus diesen nur hervor, daß man mit ihr nicht ohne Weiteres einen Verdacht auf ihre Dienstboten werfen dürfe. Dies konnte man aber auch eben so wenig gegenüber der Angeschuldigten, gegen deren Redlichkeit im Grunde, und abgesehen gerade von den in Frage stehenden Diebstählen, durchaus nichts mehr vorlag. Andererseits konnte es außer der Angeschuldigten noch mehrere Personen geben, die gleich dieser mit den Einrichtungen und Gewohnheiten der Bestohlenen bekannt, gar in ähnlichen Verhältnissen früher bei ihr gelebt hatten.

Ich stellte in dieser letzteren Beziehung eine ausdrückliche Frage an die Bestohlene. Sie wollte sich aber keiner Person erinnern können, auf welche sie den geringsten Verdacht werfen dürfe. Wie viele Personen, entlassene Dienstboten u. s. w. mochten gleichwohl in ihrem Hause gewesen sein, von denen, auch ohne daß sie die leiseste Ahnung hatte, Unredlichkeiten begangen sein konnten!

Der Polizeicommissarius, den ich gleich nach der Frau von Waldheim vernahm, konnte, wenigstens über die Diebstähle selbst, keine nähere Auskunft geben. Er bestätigte nur die Aussagen der Bestohlenen. Er war am Morgen in deren Wohnung gewesen, und er beschrieb die Einrichtung derselben, so wie speciell die Lage und Beschaffenheit des Schreibsecretairs und des Wandspindes ganz so, wie die Bestohlene. Er bestätigte auch die Vorgänge des gestrigen Abends in der Wohnung der Angeschuldigten, daß diese trotz des Widerspruches der Stubenmagd dabei geblieben, ihre Stube nicht verlassen zu haben, daß sie freilich dabei auch verlegen und verwirrt geworden sei.

Nur in einem Punkte wich er erheblich ab.

Die Frau von Waldheim hatte in dem Benehmen der Beschuldigten nur frechen Trotz finden wollen. Der Polizeibeamte erklärte dagegen ausdrücklich:

„Ich habe in dem Betragen der Verhafteten nichts weniger als Frechheit oder Trotz wahrgenommen. Sie zeigte allerdings Stolz, aber dies schien mir eher der Stolz eines guten Gewissens zu sein. Dies wurde mir beinahe zur Ueberzeugung, als ich sie aufforderte, sich über den Erwerb des bei ihr gefundenen Geldes auszuweisen. Und als ich sie befragte, ob sie, ungeachtet der entgegenstehenden bestimmten Versicherung des Hausmädchens, dabei verbleibe, das Haus nicht verlassen zu haben, hatte ihr Stolz gar eine solche Beimischung von Verachtung gegen die Frau von Waldheim, daß ich den Gedanken nicht zurückweisen konnte, zwischen den beiden Damen müsse ein ganz eigenthümliches, unbekanntes Verhältniß bestehen, auf welches gerade wahrscheinlich die Entfernung der Heisterberg aus ihrer Wohnung sich bezogen habe. Die Frau von Waldheim selbst schien dies insofern zu bestätigen, als sie plötzlich nachdenklich wurde, und darauf eine besondere Heftigkeit und Bitterkeit gegen die Andere an den Tag legte.“

Ich fragte den Polizeicommissarius, ob er keine Ahnung über die Natur dieses Verhältnisses habe. Er hatte nicht die geringste.

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