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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Es ist gegen meine Grundsätze, Madame!“ versetzte der Landgraf kalt.

„Ew. Liebden werden in’s Auge fassen, daß hier ein ganz besonderer Fall vorliegt, der, als Sie die allgemeinen Grundsätze Ihres Handelns fixirten, unmöglich vorgesehen sein konnte. Ein junger Mann, den bereits ganz Deutschland kennt wegen seines seltenen Ingeniums und seiner bewundernswürdigen geistigen Gaben, kann nicht dazu verdammt sein, in einer niedrigen Lebens- und Thätigkeitssphäre sein besseres Selbst ersticken zu lassen. Es wäre ein himmelschreiendes Unrecht, eine Barbarei!“

Des Landgrafen Stirne erhellte sich nicht bei den Worten der immer wärmer und eifriger werdenden Fürstin. Diese sah, daß ihre Beredsamkeit hier nicht zum Ziele kommen werde; sie legte deshalb die Hand auf die Schulter ihres Gemahls und, indem sie ihm voll Innigkeit in die Augen sah, sagte sie:

„Ludwig! Quäle ich Sie viel mit Bitten? Habe ich je mit Ihnen gestritten über Ihre Weise, zu handeln und zu denken? Und nicht dies eine Mal wollen Sie mir nachgeben, nicht dies eine Mal mir eine Bitte erfüllen?“

Sie sagte das mit einer so schmelzenden Stimme, daß er sie an sich zog und überwunden antwortete:

„Du bist mein gutes Weib, Caroline, und Du sollst mit mir zufrieden sein. Wollen diesen Musjeh Goethe kommen lassen und –“

„Ihm die Freiheit ankündigen?“

Der Landgraf nickte lächelnd.

„Und dann,“ versetzte, er, „nach Befund der Sachen eine Entscheidung fällen.“

Damit wandte sich der Landgraf zur Klingel und gab sodann den Befehl, durch eine der diensthabenden Ordonnanzen den am Morgen neu eingestellten Rekruten herbeiholen und ihm vorführen zu lassen.

Die Landgräfin wandte sich zum Gehen. Um vieles in der Welt hätte sie nicht bleiben mögen, bis Goethe vor ihr erschienen wäre in der bunten Grenadier-Montur. Eine unüberwindliche Scham wäre über sie gekommen bei diesem Anblick.

„Werden Sie selbst mir Nachricht bringen, welches Ihre Entschließung gewesen, Ew. Liebden?“ sagte sie nur noch mit weiblicher Klugheit, um dem Landgrafen schwerer zu machen, ihren Willen nicht zu erfüllen, wenn er es persönlich ihr mittheilen mußte.

Er nickte gewährend.

„Werden damit in Dero Gemächern aufwarten,“ sagte er, und Caroline verschwand aus dem Saale.

Lebhaft bewegt schritt sie durch den Gang, der in ihre Wohnzimmer führte; als sie in diesen angekommen war, trat gleich darauf die Hofdame, Gräfin von Schwarzenau, ein und meldete, daß Minette, die Tochter des Hofgärtners Allgeyer, flehentlichst um Gehör bei Ihrer Durchlaucht bitte.

„Eben recht! laß sie eintreten,“ versetzte die Landgräfin.




VI.

Minette trat ein mit geschwollenen Augen, mit verweintem Gesicht, mit allen Zeichen eines Schmerzes, der an Verzweiflung grenzte. Aber es schien, daß dieser Anblick die Landgräfin durchaus nicht mild gegen Minette stimmte.

„Minette,“ sagte sie mit zornig strafendem Tone, „was muß ich erleben an Euch! Ich habe Dich und Deinen Vater mit Wohlthaten überhäuft; Ihr wißt, wie viel mir daran gelegen ist, daß Niemand auf Erden etwas von der Existenz meiner Grotte ahnt, damit ich wenigstens einen Fleck auf Erden habe, wohin man mir nicht folgt, wo ich mich sicher weiß vor den Menschen und ihren tausend egoistischen Anliegen, wo ich mir selber leben kann; Ihr wißt das – und so hütet Ihr mir das Geheimniß? Du läßt alle Thüren offen stehen und …“

„Ach, liebe, gnädigste Durchlaucht,“ unterbrach hier Minette, die ihr Schluchzen nicht mehr zurückhalten konnte, mit vom Weinen unterdrückter Stimme; „es war abscheulich von mir, ja, ich weiß es und will auch gern alle Strafen, die Sie mir auferlegen, dafür leiden, aber es ist ja noch ein viel größeres Unglück geschehen, der Vater hat die Wache holen lassen und nun haben die Soldaten …“

„Ich weiß, ich weiß,“ fiel die Landgräfin ein; „er ist zum Rekruten gepreßt, worden …“

„Und wenn Durchlaucht ihn nun nicht wieder frei machen,“ schluchzte Minette krampfhaft, „so ist es mein Tod, so spring’ ich in den großen Wog!“[1]

„Um Gotteswillen, welche frevlen Redensarten sind das, thörichtes Geschöpf!“

„Ja, ich thu’ es, ich thu’ es ganz gewiß, Gott steh’ mir bei, gnädigste Durchlaucht! O, ich bitte, ich flehe Sie an, Durchlaucht, reden Sie mit dem gnädigsten Herrn.“

Um dabei warf sich das verzweifelnde Mädchen vor der Fürstin nieder und umklammerte mit leidenschaftlicher Heftigkeit ihre Kniee.

„Ich muß gestehen,“ sagte die Landgräfin Caroline, „Deine Reue ist so lebhaft, daß sie mit Deiner Schuld versöhnen kann; stehe auf und fasse Dich, erzähle mir, wie das ganze Unglück gekommen ist … er hat sich Freiheiten gegen Dich erlaubt, Dir zudringlich den Hof gemacht –“

„Ach, zudringlich gewiß nicht, gnädigste Durchlaucht, ganz gewiß nicht, nur in Züchten und Ehren; er war nur so thöricht eifersüchtig.“

„Eifersüchtig? wie und auf wen konnte er denn eifersüchtig sein? Du redest ja, als wenn dies eine längere Liebschaft zwischen Euch wäre?“

„Das war es ja auch,“ versetzte Minette kleinmüthig; „wir wollten uns zu nächste Ostern, wenn’s nur der Vater zugegeben hätte, heirathen!“

„Heirathen? – Dich einfältige Person wollte er heirathen? Der Doctor Goethe Dich?!“

„Der Doctor – wer?“ fragte Minette verwundert.

„Nun, der junge Goethe, den man unter die Soldaten gesteckt hat.“

„Aber, gnädigste Durchlaucht, ich rede ja von keinem Doctor, sondern von meinem Wilhelm!“

„Wilhelm? Dem Wilhelm?“ rief die Landgräfin aus.

„Dem Wilhelm, dem Gärtnergehülfen!“

„Das ist etwas Anderes!“

Die Landgräfin lachte laut auf, ebenso sehr aus Freude über diese plötzliche Entdeckung, daß all’ ihre Sorge um das Schicksal des jungen Dichters eitel gewesen, als über das Komische des Mißverständnisses.

„Also Dein Wilhelm ist es, den man zum Rekruten gemacht hat?“ hub sie wieder an.

„Kein Anderer!“

„Nun, dann ist ja“ … „Alles gut,“ wollte sie ausrufen, aber sie besann sich, daß die Sache für Minette darum keineswegs gut stand, und so sagte sie nur: „Aber so erkläre mir, wie ist denn Alles zugegangen?“

„Nun sehen Sie, gnädigste Durchlaucht,“ erzählte Minette, „wie ich Sie diesen Morgen auf unser Haus zukommend erblickte, da war just ein fremder Herr da, der stand auf der Hausflur und schwätzte allerlei daher und wollte nicht weichen, und als ich plötzlich zwischen den Gebüschen Durchlaucht daher kommen sah; da war es zu spät, ihn fortzusenden, denn er wäre Ihnen begegnet; ich weiß doch, daß Sie nicht gesehen werden wollen, wenn Sie zu uns kommen, um in die Grotte zu gehen, und deshalb sandte ich den Fremden, um ihn nur rasch bei Seite zu schaffen, die Treppe hinauf, und dann lief ich, Durchlaucht die Grottenthüre aufzuschließen.“

„Ja, ich erinnere mich, Du warst in großer Aufregung und Eile, und liefst wie der Sturmwind davon, nachdem Du endlich die Thüre mir aufgeschlossen hattest, was gar lange währte.“

„In meinem Schreck hatte ich den unrechten Schlüssel ergriffen, und wußte dann den rechten gar nicht zu finden. Als ich zuletzt glücklich die Grottenthür aufgesperrt hatte und Durchlaucht eben hineingingen, eilte ich, nach oben zu kommen, um nun den fremden Herrn fortzusenden, der ganz allein oben im Hause war und sich da unnütz umhertreiben mochte – aber auf dem Flur angekommen – wen sehe ich da zur Hausthüre hereinstürzen? Den Wilhelm, und der Mensch ist ganz außer sich, er faßt mich am Arm und überschüttet mich mit Vorwürfen, mit Scheltworten –“

„Was hattest Du ihm denn zu Leide gethan?“ unterbracht hier die Landgräfin das junge Mädchen.

„Ach, auch nicht das Allermindeste, aber eifersüchtig war der tolle Mensch, eifersüchtig auf den fremden Herrn, der fürwitzig oben

  1. Ein Teich in der Nähe der Stadt.
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