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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 8. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der gefangene Dichter.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Als Ludwig IX. zum ersten Male in diese öde, sandige Region kam, wo eine Gruppe von vierzehn Häusern das armselige Abbild eines Fleckens darstellte, fühlte seine Vorliebe für die Einsamkeit sich so sympathetisch von diesem Erdenwinkel angesprochen, daß er beschloß, hier „Hütten zu bauen.“ Er schuf sich hier Räume zum Wohnen für sich und sein Grenadierregiment.

Ob es ihn erfreute, daß auch andere Leute ihm hierher folgten, daß der Ort, der so unvermuthet zu der Ehre kam, eine Residenz zu sein, sich nach und nach vergrößerte, bis er statt 14 an 750 Häuser zählte, das wissen wir nicht. Jedenfalls blieb ihm seine Militair-Colonie für immer an’s Herz gewachsen, und nur selten besuchte er die Hauptstadt des Landes, wo die Landgräfin residirte, wo sie mit treuem Eifer über seine Interessen und das Wohl der Unterthanen wachte. Er selbst huldigte in Pirmasens zur Musik der Trommel, die berauschend auf ihn wirkte, in der er selbst Virtuose war, seiner einzigen Liebhaberei.

Ein Reisender jener Zeit, der dahin verschlagen wurde, gab ein lebhaftes Bild dieser militairischen Welt:

„Hier in Pirmasens,“ sagt er, „bin ich in eine ganz neue Schöpfung versetzt, unter eine zahlreiche Colonie von Soldaten und Bürgern, die kein Reisender auf einem so öden und undankbaren Boden suchen würde. Alles um mich her wimmelt von Uniformen, blinkt von Gewehren und tönt von kriegerischer Musik. Hier, wo ehemals nichts als Wald und Sandwüste war, wo ein einsames Jagdhaus blos zum Aufenthalte einiger Förster diente, und die ganze Gegend umher von Niemandem als einigen Räuberhorden besucht wurde, da legte der regierende Fürst von Hessen-Darmstadt mancherlei Wohnungen an, pflanzte Einwohner darein, versetzte den Kern seiner Kriegsvölker dahin und erkor sich den Ort, der sechzehn deutsche Meilen von seinem größeren Lande und seiner eigentlichen Residenz liegt, zu seinem Aufenthalte. Der Ort ist von mittlerer Größe, hat einige gut gebaute Häuser, aber keine vorzüglichen Straßen; der Landgraf wohnt in einem wohlgebauten Hause, das man weder ein Schloß noch ein Palais nennen kann, und das, genau genommen, nur aus einem Geschoß bestand. Nahe bei demselben, nur etwas höher, liegt das Exercierhaus. Hierin nun exercirt der Fürst täglich sein ansehnliches Grenadier-Regiment, das aus 2400 Mann bestehen soll. Schönere und wohlgeübtere Leute wird man schwerlich beisammen sehen. Allerlei Volk von mancherlei Zungen und Nationen trifft man unter ihnen an, die nun freilich auf die Länge nicht so zusammen bleiben würden, wenn sie nicht immer in die Stadt eingesperrt wären und Tag und Nacht von umherreitenden Husaren beobachtet würden. – So eben komm ich aus dem Exercierhause, von der eigentlichen Wachparade, ganz[WS 1] parfümirt von den Fett- und Oeldünsten der Schuhe, des Lederwerks, der eingeschmierten Haare und von dem allgemeinen Tabakrauchen der Soldaten vor dem Anfang der Parade. Wie ich eintrat, kam mir ein Qualm und Dampf entgegen, der so lange meine Sinne betäubte und mich kaum die Gegenstände unterscheiden ließ, bis meine Augen und Nase sich endlich an die mancherlei Dämpfe und, widrigen Ausflüsse einigermaßen gewöhnt hatten. Wer Liebhaber von wohlgeübten, aufgeputzten und schön gewachsenen Soldaten ist, wird für alle die widrigen Ausflüsse hinlänglich entschädigt.

„So wie das Regiment aufmarschirt und seine Fronte durch das ganze Haus ausdehnt, erblickt man von einem Flügel zum andern eine sehr gerade Linie, in welcher man sogar von der Spitze des Fußes bis an die Spitze des aufgesetzten Bajonnets kaum eine vorwärts- oder rückwärtsgehende Krümmung wahrnimmt. Durch alle Glieder erscheint diese pünktliche Richtung, und sie wird weder durch die häufigen Handgriffe, noch durch die vielfältigen Körperbewegungen verschoben. Die Schwenkungen und Manövers geschehen mit einer außerordentlichen Schnelligkeit und Pünktlichkeit, man glaubt, eine Maschine zu sehen, die durch Räder und Triebwerk bewegt und regiert wird. Man soll sogar öfters das ganze Regiment im Finstern exercirt und in den verschiedenen Tempo’s keinen einzigen Fehler bemerkt haben. Auf den 20. August, als dem Namensfest des Landgrafen, ist jährlich Hauptrevue, und dann wimmelt es in Pirmasens von auswärtigen Officieren und andern Fremden, die theils aus Frankreich, Zweibrücken, der Unterpfalz, Hessen und andern Ländern hierher reisen. Den Landgrafen habe ich auch dabei in aller Thätigkeit gesehen. Mit spähendem Blicke befand er sich bald auf dem rechten, bald auf dem linken Flügel, bald vor dem Centrum, bald in den hintern Gliedern, Alles war geschäftig an ihm und er scheint mit Leib und Seele Soldat zu sein. Doch läßt er hierbei keinen fremden Zuschauer aus dem Auge; es wurde sogleich bei Anfang der Parade ein Officier an mich geschickt, der sich nach meinem Namen erkundigen sollte, und nach einiger Zeit hatte ich die Ehre, den Herrn Landgrafen selbst zu sprechen, wobei er sich in den höflichsten und gefälligsten Ausdrücken mit mir unterhielt. In seinem Hause und in seinen Appartements erblickt man wenig Pracht. Man glaubt, bei einem campirenden Generale im Felde zu sein: überall leuchtet die Lieblingsneigung des Fürsten hervor.“

Aber nicht immer war der Landgraf in Pirmasens mit seinen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gan
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_101.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)