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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Zu einem für die Sache selbst sehr heilsamen Wetteifer ward das Große Concert durch eine Gesellschaft italienischer Opernsänger angestachelt, welche in dem Reithause am Ranstädter Thore unter der Direction[WS 1] eines gewissen Pietro Mingotti ihre Vorstellungen gaben. Unter dieser Gesellschaft befanden sich zwei Castraten und zwei Damen, Rosa Costa und Stella, deren Gesang mit dem ungetheiltesten Beifall aufgenommen ward.

Mit dem Großen Concert ging schon im zweiten Jahre seines Bestehens eine bedeutende Veränderung vor. Buchhändler Gleditsch, welcher das Amt eines Directors bekleidet, starb und der Verein beschloß nun, die musikalischen Unterhaltungen in den Gasthof zu den drei Schwanen im Brühl zu verlegen. Zugleich wurde die Anzahl der Mitglieder auf dreißig vermehrt und in einer Generalversammlung derselben beschlossen, daß von nun an Niemand ohne Billet Einlaß erhalten sollte. Ein solches Billet liegt den Notizen, aus welchen wir diese Nachrichten schöpfen, bei. Es hat die Größe eines Kartenblattes, auf welchem die Muse der Tonkunst sehr sauber gestochen erscheint. Oben darüber stehen die Worte: „Vetat Tristari“ (Es wehret der Traurigkeit) und darunter: „Leipziger Concert 1744.“ Die Damen beschloß man, wie zeither, so auch in Zukunft frei einzulassen, eben so wie die „Fremden und reisenden Passagiers.“

Unter den außerordentlichen Mitgliedern des Concerts befanden sich damals die zwei Prinzen von Fürstenberg, der Minister Graf von Manteuffel und viele andere gräfliche und adelige Personen.

Drei Jahre später ward das Große Concert durch Signor Carini und Signora Forcellini, welche Beide mit ungemeinem Beifall auftraten, verherrlicht. In demselben Jahre wurden nach einem gedruckt vorliegenden Circular in Bezug auf die ökonomischen Bestimmungen des Concertinstituts einige Abänderungen getroffen. „Da“ – so heißt es in diesem Circular – „die Gesellschaft des Leipziger Großen Concerts den mit den Billets getriebenen Mißbrauch wahrgenommen, so zeigt sie an, daß künftighin gar keine Billets mehr umsonst ausgegeben werden sollen.“ Für die Zukunft solle mit drei Ducaten auf das ganze Jahr pränumerirt werden, was aber blos von den Einheimischen zu verstehen sei. Fremde Cavaliere und auswärtige Studirende sollten vier Ducaten zahlen. Niemand sollte ohne Vorzeigung eines authentischen Billets passiren, ausgenommen durchreisende Fremde, welche nach geschehener Anzeige beim Director oder dessen Assistenten freien Eintritt haben sollten. Auch Damen sollten keines aparten Billetes bedürfen, aber nur in Begleitung eines mit einem Billet versehenen Führers zugelassen werden. Jeder Abonnent konnte sonach damals den weiblichen Theil seiner Familie frei mit in das Concert bringen. Das Concert wurde jedes Mal vom ersten Juni eines jeden Jahres an berechnet und fand im Sommer alle vierzehn Tage, im Winter aber von Michaelis bis Ostern alle acht Tage und zwar Donnerstags um fünf Uhr statt.

Das fortwährende Gedeihen und immer erfreulichere Emporblühen dieses Kunstinstituts hatte seinen Grund in der Thätigkeit nicht blos vieler begeisterter Kunstfreunde, z. B. des verdienstvollen Gottlieb Benedict Zehmisch, Besitzers der drei Schwanen, in späterer Zeit des Baumeisters Limburger und Anderer, sondern auch einer fast ununterbrochenen Reihe tüchtiger Dirigenten, namentlich eines Hiller, Schicht, Polenz, Mendelssohn-Bartholdy u. s. w.

Aus dem Gasthause zu den drei Schwanen siedelte das Große Concert in das Thomä’sche Haus am Markte über, wo es unter Hiller bis 1781 blieb und dann in den jetzigen großen Concertsaal auf dem Zeug- oder Gewandhause verlegt ward.

Die einfache, aber dennoch berühmte Ausschmückung dieses Saales ward dem Künstler Oeser anvertraut, der hier ein Deckengemälde ausführte, welches bis zum Jahre 1833 zu den Sehenswürdigkeiten Leipzigs gehörte. Es versinnbildlichte die Vertreibung der älteren Musik durch die neuere. Im eben erwähnten Jahre aber kam die Concertdirection auf den heute noch unbegreiflichen Einfall, dieses herrliche Gemälde mit rother Farbe überpinseln zu lassen.

Im Jahre 1831 feierte das Gewandhausconcert sein funfzigjähriges Jubiläum und der Contrabassist Wach figurirte auf demselben als besonderes Curiosum, weil er auch schon bei jener ersten Eröffnung des Concerts in dem neuen Saale mitgewirkt hatte und sonach seit länger als fünfzig Jahren diesem Orchester angehörte.

Daß auch der gegenwärtige Dirigent der Gewandhausconcerte, der als ausübender Künstler sowohl als auch als tüchtiger Componist rühmlich bekannte Concertmeister Rietz, ganz der Mann ist, um dieses Kunstinstitut auf seiner Höhe zu erhalten und zeitgemäß weiter zu entwickeln, ist anerkannte Sache.




Rosa Heisterberg.


Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“


(Fortsetzung.)


Ich hatte oft Verhöre mit Angeschuldigten aus den höheren Ständen gehabt. Sie hatten stets einen peinlichen Eindruck in mir zurückgelassen. Personen aus jenen Ständen werden als Angeklagte, zumal als Verhaftete, äußerst selten unschuldig vor Gericht gestellt. In der Regel sind die schon vom Beginn der Untersuchung an gegen sie vorhandenen Beweise so überzeugend, daß sie entweder gar nicht mehr wagen dürfen, das System des Leugnens aufzustellen, oder daß sie dieses System nur noch mit ohnmächtigem Trotze ergreifen können. In jenem ersten Falle wirkte das mit jedem aufrichtigen Geständnisse verbundene Gefühl der Reue, der Zerknirschung, das Bewußtsein der Vernichtung der Existenz an Ehre, an Stellung für sich und für die Familie um so peinlicher auf mich ein, je höher an Ehre, Stellung und Bildung der Schuldige im Leben da stand, je tiefer und erschütternder mithin sein Sturz war. In dem letzten Falle trat das Empörende, Ekelhafte des gemeinen Trotzes in dem gebildeten und hochstehenden, bisher so hochgeachteten Verbrecher hinzu.

In dem mir jetzt vorliegenden Falle hatte ich von Schuld oder Unschuld keine Ueberzeugung gewinnen können. Ich hatte nur die eine, aber desto festere Ueberzeugung, daß ich es mit einer sehr gewandten Person zu thun habe, gegen die ich, wenn sie schuldig sei, sehr auf meiner Hut sein müsse, deren Unschuld aber, wenn wirklich vorhanden, sicher sehr leicht an den Tag kommen werde. Ueber alles Andere war ich bei ihr noch im Unklaren. Ich konnte nicht einmal eine Ahnung davon haben, ob die Feststellung ihrer Schuld sie besonders unglücklich machen werde. Sie konnte vermöge ihrer großen Ruhe und Kälte gar eine schon bestrafte, verhärtete Verbrecherin sein. Zeugte dafür nicht am Ende auch ihr hartnäckiges Schweigen über ihr früheres Leben? Ja, vielleicht selbst ihre Kenntniß des gerichtlichen Untersuchungsverfahrens? Hatte sie dagegen nicht andererseits mehrfach plötzlich, aber desto wahrer und tiefer und inniger hervorbrechende Züge eines warm, fein, ja weich fühlenden Herzens gezeigt?

Sie war mir ein Räthsel. Ich war begierig auf die Lösung des Räthsels. Sie mußte mir zunächst werden durch die Vernehmung der Bestohlenen, Frau von Waldheim, und des Polizeicommissarius.

Die Frau von Waldheim war schon vor Beendigung des Verhörs der Gefangenen an der Gerichtsstelle erschienen. Sie hatte sich ohne Vorladung eingefunden. Ein Beweis, daß die Sache für sie von großer Wichtigkeit war.

Ich ließ sie sofort eintreten.

Ich wußte wenig mehr von ihr, als was ich schon oben angegeben habe: daß sie der höchsten Gesellschaft der Residenz angehöre, ein angenehmes Haus mache und selbst am Hofe gern gesehen sei. Sie war Wittwe. Ihr Mann war ein sehr braver Officier gewesen. Sie bezog eine anständige Wittwenpension und sollte auch außerdem noch Vermögen besitzen. Sie war noch jung und hatte keine Kinder. Das war Alles, was ich von ihr wußte.

Eine schöne stolze Dame trat in mein Verhörzimmer. Sie war nicht mehr so jung, wie die Gefangene Rosa Heisterberg; sie konnte dreißig oder einige Jahre darüber zählen, aber sie war schöner; die Farbe ihres Gesichtes war lebhafter; die Formen ihres Körpers zeigten wunderbar reizende, üppige Rundungen. Dennoch fehlte ihr

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_097.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)