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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Der Genius, der einem Dichter hilft, ruht in seiner eigenen Brust – da müssen Sie ihn suchen. Die Wirklichkeit hat einen anderen noch nie geboten. Wohl Ihnen, wenn Sie ihn finden. Streben Sie ja danach. Denken Sie an das Schicksal Tasso’s, der ihn nicht suchte, oder besser, ihn nicht zu finden wußte, weil er ihn ebenfalls in den Reihen der Sterblichen suchte, und zu sich herabbeschwören zu können glaubte durch die Beschwörungsformeln der Leidenschaft.“

Der junge Mann schwieg; er schien verstummt vor so viel überlegener Geisteshöhe. Auch wohl ein wenig beschämt!

„Tasso hat doch den Genius gefunden,“ antwortete er nach einer Weile – „in Leonoren von Ferrara.“

„In seiner Fürstin,“ antwortete die Dame stolz, „– daß er in ihr den eigens für ihn gesandten Genius erblickte, war schon der Anfang jenes Wahnsinns, in den er verfiel, weil er in seinem Innern nicht das Maß, die Haltung und die Harmonie fand, die ihn gerettet hätten.“

Und damit erhob sie sich.

„Sie gehen – gehen, zürnend über meine Kühnheit?!“

„Bleiben Sie hier eine Weile zurück,“ erwiderte sie, ohne seine Frage zu beantworten. „Verlassen Sie diese Grotte nicht mit mir zugleich!“

„Und ich sehe Sie nie wieder, um mir Verzeihung zu erwerben?“

Ihre schöne, schlanke Gestalt war im Begriff, aus der Grotte zu verschwinden; da wandte sie sich zurück und sagte, mit demselben mehr strengen als milden Tone, den sie während der letzten Augenblicke der Unterredung wieder angenommen hatte:

„Lassen Sie sich den Nachmittag im Schlosse bei der Gräfin von Schwartzenau melden, mein Herr Doctor Goethe!“

„Sie kennen mich?!“ rief der junge Mann überrascht.

Sie war verschwunden, ohne zu antworten.

Der Fremde – oder, da sein Incognito jetzt von der weißen Dame der Grotte beseitigt ist, Goethe blickte ihr mit begeisterungsvollem Auge nach.

„Wer ist diese Frau? Dieser Inbegriff von Schönheit und Geist?“ rief er aus. „Sie ist voll Hoheit, wie eine Fürstin, wie eine Herrscherin, der nicht die Macht, sondern die Seelenschönheit und die angeborene Grazie die Menschen unterwirft – wer kann es sein, wer anders, als die Fürstin selbst, als Caroline, die bewunderte Landgräfin? Woher sie mich kannte? Liest sie die Namen der Menschen auf ihrer Stirn geschrieben, oder hat sie mich so genau sich schildern lassen, daß sie danach mich erkannte?“

Und die Arme über der Brust verschlingend, schritt er eine Weile, stumm, in Sinnen versinkend, in der kleinen Grotte auf und nieder.

Er mochte auf diese Weise, träumend und sinnend in dem mährchenhaften Raume, in welchem er sich befand, länger verweilt haben, als er selbst es glaubte. Endlich schickte er sich an, denselben zu verlassen. Er warf noch einen Blick umher, wie um sich das Bild der Grotte einzuprägen, und dann trat auch er durch die kleine Bogenwölbung in den Gang. Bald war er am Ende desselben. Die Flügelthüre auf der Hohe der emporführenden Stiegen stand nicht mehr offen. Als er sie erreicht hatte und die Hand auf’s Schloß legte, fand er sie verschlossen. Er klopfte an, erst leise, dann lauter – aber vergebens. Niemand schien ihn zu vernehmen, Niemand draußen zu sein. Er rüttelte, er pochte endlich aus Leibeskräften an die Thüre. Alles war umsonst – das Gärtnerhaus schien wie ausgestorben; nicht das leiseste Geräusch ließ sich vernehmen, viel weniger der Fußtritt eines nahenden Befreiers.

„Ich bin ein gefangener Mann, wie mein Götz im Thurm von Heilbronn,“ sagte er endlich; „ist’s ein Zufall, oder bin ich’s zur Strafe? Jedenfalls muß ich mich fügen!“

Und langsam, resignirt, schritt er den Weg, den er gekommen, zurück, wieder in die Grottenrotunde hinein.

„Da ist ja auch er, von dem sie sprach,“ sagte er, hier vor einer der Büsten stehen bleibend, die die Wände der unterirdischen Halle schmückten. „Armer Tasso!“

Und nachdem er eine Weile in die Züge des glücklichen Sängers geblickt hatte, warf er sich plötzlich, wie in einem Anfall von Leidenschaft, vor der Stelle, wo die hohe Frau gesessen hatte, auf die Kniee nieder, stützte die Arme auf die Bank und die Stirn auf seine Hand und rief aus:

„Soll ich Dich lieben, Fürstin, wie Tasso Leonoren? O, ich könnte es, heiß, verzehrend, wie er .... Aber still, Herz, dämpfe deinen Schlag! Verwirr’ dich nicht in die trügerischen Irrwindungen eines unabsehbaren Labyrinths, an dessen Ende das Verderben lauert. Bist du nicht gewarnt? Bin ich nicht für den bloßen Gedanken an solche Liebe schon jetzt ein armer Gefangener? O, wie fühle ich mit Dir, Torquato! Armer Torquato!“

Und er erhob sich, trat wieder vor die Büste des Dichters hin, aber während er auf sie schaute, verrieth sein Auge, daß er viel weniger den Gegenstand vor ihm anblickte, als mit einer Reihe innerer Bilder oder Gedanken beschäftigt war, in welche er immer mehr sich zu verlieren schien. Sein Auge flammte höher auf, seine Wange röthete sich. Er murmelte einzelne Worte vor sich hin. Er wandelte wieder auf und ab. Er warf sich auf die Bank nieder, und stützte das Kinn auf die Hand, den Arm auf das übergeschlagene Knie. Lange saß er so in Sinnen völlig verloren da. Dann erhob er sich wieder, nahm eines der Bücher von dem kleinen Altar in der Nische, warf es wieder hin, nahm ein zweites, ein drittes – dies hatte weiße Blätter am Ende, und schien zu sein, was er suchte; aus einem Etui in seiner Brusttasche nahm er einen Bleistift, und begann nun auf die weißen Blätter hastig zu schreiben.




V.

Einen eigentümlichen und für die Zeit in hohem Grade charakteristischen Contrast bildete das Herrscherpaar, welches in jenen Tagen über die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt und die durch eine Erbtochter von Hanau erworbenen Hanau-Lichtenbergschen Landestheile gebot. Nie hat es eine friedlichere Ehe gegeben, wie zwischen dem Landgrafen Ludwig IX. und der Landgräfin Caroline; denn nie hat ein Mann den Beruf der Frau, mit ihm das Scepter zu führen, mit größerer Klarheit eingesehen, mit größerer Bereitwilligkeit anerkannt. Dadurch, daß er seinem Volke eine solche Landesmutter zuführte und sie dann, ohne ihr irgend die Hände zu binden, landesmütterlich schalten und walten ließ, ist Ludwig IX. der Wohlthäter seines Landes geworden. Er selbst fühlte sich nicht geschaffen für das unruhig bewegte, in ungeregelten Kreisen sich durcheinander wirrende Treiben der großen Welt, des Hof- und Staatslebens; er war eine ausgebildete Einsiedlernatur, welche in der Einsamkeit, die sie frühe gesucht, immer mehr und mehr sich beschränkt hatte auf das Einzige, wodurch sie lebendig angeregt, freudig bewegt wurde – das Waffenhandwerk. Das Militair war Ludwigs IX. Steckenpferd, mehr, wie es je Friedrich Wilhelms I. oder irgend eines andern Fürsten Steckenpferd gewesen ist. Um beiden Neigungen, der einsiedlerischen und der militairischen, zugleich zu fröhnen, hatte er sich in seinen Landen einen stillen Winkel ausgesucht, in welchem er sicher sein konnte, von Niemandem, den er nicht wollte, gestört zu werden. Dieser Ort hieß Pirmasens.

(Fortsetzung folgt.)




Bilder aus Wien.
Der Esterházykeller.

Wer nimmt nicht gern auf einige Stunden Abschied vom goldigen Sonnenlicht, um tief im Bauch der Erde eines jener dunkeln Arsenale zu besuchen, worin die Waffen gegen unsern alten Erbfeind, den Durst, aufbewahrt liegen.

Jede Stadt von einiger Bedeutung hat ein solches Zeughaus, worin man sich männiglich bewaffnen und streiten kann. Freilich wankt Mancher schwer verwundet von dannen, aber nicht vom Feind, dem Durst, sondern von seinen eigenen Waffen, von denen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_092.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2020)