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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

die einzige Chance für den Unterbemittelten, sich durch Ausdauer und Fleiß eine bessere Zukunft zu gründen. Meine Gedanken gingen indeß bald in Träume über, Müdigkeit und Hitze thaten das Uebrige und endlich mußte ich, trotz des warnenden Summens der Musquitos, fest eingeschlafen sein, denn die Sonne stand bereits im Westen, Als ich plötzlich erwachte

„Hierher, zu Hülfe!“ hatte ich in englischer Sprache rufen hören und war eben noch bemüht, mit mir in’s Klare zu kommen, ob ich dies nicht etwa blos geträumt hätte, als ich denselben Ruf deutlich nochmals aus dem nahen Hochwald vor mir herüberschallen hörte. Im Nu war ich auf den Beinen und mit ein paar Sätzen hatte ich die kurze Prairiestrecke, die mich vom Waldsaume trennte, durchlaufen, als ich auch schon den Urheber des Hülferufes erblickte und zwar unter Umständen, die keinen Zweifel darüber ließen, daß der Lärm in der That kein blinder sei. Es war ein junger Mann von höchstens 34 Jahren, schlank und kräftig gebaut, der einen ziemlich ungleichen Kampf mit zwei Kerlen – Irländern, wie man auf den ersten Blick sehen könnte – zu bestehen hatte, Der Kampf war ungleich, nicht etwa wegen der feindlichen Ueberzahl, denn der junge Mann sah recht wohl danach aus, als ob er es mit beiden Lumpen aufnehmen könne, sondern ungleich vielmehr wegen der äußerst ungünstigen Nebenumstände, die ihn begleiteten. Mit der rechten Hand hatte er eine Revolver-Pistole festzuhalten, die der eine der Strolche ihm aus dem Gürtel gezogen hatte und die derselbe fortwährend bemüht war, ihm gänzlich zu entreißen; mit der freigebliebenen Hand mußte er den zweiten Vagabunden abwehren, der mit einem dicken Stocke auf ihn losschlug, und dabei hatte er auch noch so zu manövriren, daß er beide Kerle von seinem Reitpferde abhielt, das an einem Baume in der Nähe angebunden war und das ihm die Schlingel jedenfalls gestohlen haben würden, wenn es nur irgend möglich gewesen wäre. Mein Erscheinen machte der Sache ein schnelles Ende. Ich war, den Revolver in der Hand, bis auf etwa acht oder zehn Schritt zugesprungen, entschlossen, jedem der beiden Strolche einen Denkzettel zu geben, als sie Beide, sich zur Flucht wendend, vom Wege abwärts in den Hochwald hineinsprangen, dessen dicke Riesenstämme uns jede Chance benahmen, ihnen noch ein paar Kugeln mit nur einiger Aussicht auf Erfolg nachzusenden.

Der junge Mann drückte mir auf’s herzlichste die Hand und bedankte sich mit Wärme für den kleinen Dienst, den ihm mehr der Zufall als ich selbst geleistet hatte. Er sagte mir, er sei auf der Reise zur nächsten Land-Office, habe sich diesen Nachmittag ermüdet unter einen Baum gelegt, sei fest eingeschlafen und glücklicherweise eben noch rechtzeitig erwacht, als der eine der Kerle ihm schon die Pistole zur Hälfte aus dem Gürtel gezogen und der andere eben mit Losbinden seines Pferdes beschäftigt gewesen sei. Das Ende der Geschichte wußte ich und da auch mein Weg mich an der Land-Office vorbeiführte, so setzten wir unsere Wanderung gemeinschaftlich und zwar zu Fuße fort, indem mein Begleiter, wohl aus Artigkeit gegen mich, es verzog, sein Pferd am Zügel zu führen. Da es indeß schon Abend geworden war und die Nacht hier ziemlich schnell hereinbricht, so waren wir sehr erfreut, schon nach einem Marsche von einer kleinen halben Stunde ein leerstehendes Shanty anzutreffen, wie man sie in dieser Gegend so häufig vorfindet. Wir richteten uns, so gut es gehen wollte, für die Nacht darin ein, zündeten ein großes Feuer an, auf welches wir frische Zweige warfen, um uns durch den Rauch gegen die Musquitos zu schützen, und da mein Begleiter unterwegs ein paar wilde Tauben geschossen hatte, ich selbst aber noch eine wohlgefüllte Feldflasche besaß, so erfreuten wir uns eines recht wohlschmeckenden Mahles, nach dessen Beendigung wir unsere Pfeifen ansteckten und uns bald im unterhaltenden Gespräch befanden.

Mein Begleiter hatte viel von der Welt gesehen. Er war der Sohn eines ziemlich wohlhabenden Farmer in Ohio, hatte – sechzehn Jahre alt – das elterliche Haus verlassen, um in einem großen Handlungshause in Philadelphia das kaufmännische Geschäft zu erlernen. Dessen Einförmigkeit hatte ihm jedoch so wenig zugesagt, daß er sich schon nach Verlauf eines Jahres gegen den Willen seiner Eltern, nur mit unbedeutenden Mitteln und weniger mit einem bestimmten Plane, als vielmehr mit unbegrenzter Lust am Abenteuerlichen versehen, nach Peru aufgemacht hatte. Hier hatte ihm die Kenntniß der spanischen Sprache, seine kaufmännische Bildung und seine angenehme persönliche Erscheinung sehr bald eine Officiersstelle in den damaligen inneren Kriegen dieser Republik verschafft und er war wirklich für den Zeitraum von sechs Jahren – der ihm wie eine Ewigkeit erschien – stationär geblieben, als plötzlich die Kunde von der Auffindung fabelhaft reicher Goldminen im westlichen Californien ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in das neue Eldorado gelockt hatte. Unter Abenteuern, Gefahren und Strapazen aller Art war es ihm hier wirklich geglückt, in einigen Jahren ein paar tausend Dollars zu erwerben, mit denen er dann nach den fernen Sandwichsinseln hinübergesegelt war und dort sich in Landspeculationen eingelassen hatte. Er hatte es hier abermals beinahe sieben Jahre ausgehalten, als ihm unerwartet eine günstige Gelegenheit wurde, seine Besitzungen an die englische Missionsgesellschaft verlaufen zu können. Durch dieses Geschäft hatte er, wie er meinte, eine ziemlich beträchtliche Summe realisirt, als mit einem Male lange geschlummerte Sehnsucht nach den Seinigen und zwar mit solchem Nachdrucke in ihm erwachte, daß er mit fieberhafter Ungeduld das Schiff erwartete, das ihn der Heimath zuführen sollte.

Achtzehn Jahre waren verflossen, seit er das elterliche Haus verlassen, und in diesem langen Zeitraume war ihm auch nicht eine Kunde von den Seinen zugekommen. Mehrere Briefe, die er in langen Zwischenräumen an sie geschrieben, waren ohne Antwort geblieben, und er wußte nicht, ob das treue Elternpaar, das mit solcher Liebe und Sorgfalt über seine Kindheit gewacht hatte und gegen das er wohl manche Sünde auf dem Herzen haben mochte, noch am Leben sei. Eine lange und gefahrvolle Seereise hatte ihn endlich in den gewünschten Hafen gebracht, mit steigender Ungeduld war er dann Tag und Nacht reisend, dem wohlbekannten Landstädtchen zugefahren, von wo aus ihn nur noch wenige Meilen von der Farm seiner Eltern, dem Schauplatze der glücklichen Tage seiner Kindheit, trennten. Aber ach, das wohlbekannte Landstädtchen war unterdessen zur unbekannten großen Stadt geworden; mit bangen und immer zunehmenden Besorgnissen war er auf neuen Wegen der alten Farm zugeschritten. Der Anblick eines Obstgartens von hochstämmigen Fruchtbäumen brachte Thränen in seine Augen, diesen wenigstens kannte er noch von früher her und sein Herz klopfte gewaltig, als er daran dachte, daß er hinter demselben endlich das väterliche Farmhaus erblicken müsse. Ja, hier stand es wirklich, dasselbe Haus! Er mußte einige Augenblicke anhalten, sich sammeln. Die vorübergehenden Feldarbeiter hatten ihm mit neugierigen Blicken nachgesehen; er suchte seine Aufregung so gut es gehen wollte, niederzukämpfen, er stieg über die Fenz und trat mit schwankenden Schritten in das wohlbekannte Haus.

Ein mächtiger Neufundländer stellte sich ihm drohend und die langen spitzen Zähne weisend entgegen und eine fremde Stimme fragte ihn, was er wolle. Er nannte seinen Namen und fragte nach den Seinigen; der Mann warf ihm, statt aller Antwort, die Thüre vor der Nase zu und noch lange hörte er das heisere Bellen des Hundes, das allmählich in ein leiseres Knurren überging und zuletzt mit einem langen Geheul endigte, verursacht vermuthlich durch ein paar Fußtritte seitens des neuen Besitzers der Farm.

Mein Begleiter schwieg hier und als ich ihn fragend aussah, glänzten ihm ein paar große Tropfen im Auge. hell bestrahlt von dem lodernden Feuer, das vor der Thüre unseres Shanty’s knisterte. – Wir saßen lange Zeit schweigend neben einander. Ich frug ihn endlich ob er erfahren, wodurch die Farm in andere Hände gekommen sei?

„Subhastirt,“ sagte er; „vor sechs Jahren.“

„Und Ihre Eltern?“

„Ich weiß es nicht,“ gab er mir zur Antwort. „Ich erfuhr nur, sie seien gleich nach der öffentlichen Versteigerung mit dem Wenigen, was ihnen geblieben, nach dem Westen gezogen. Seit drei Monaten suche ich sie vergeblich. Ich habe keine Mühe, keine Kosten gescheut, um sie aufzufinden; ich bin endlich ihrer Spur bis hierher nach Minnesota gefolgt; ich habe im ganzen Territorium in jeder Land-Office die Register nachschlagen lassen, die über den Ort ihrer Ansiedlung Auskunft geben könnten; es ist nur noch die einzige in Lessueur übrig, an die ich mich morgen wenden will. Wenn auch diese mir keinen Nachweis geben kann so habe ich jede Hoffnung, sie aufzufinden, veloren.“

Die helle Flamme vor der Thür beschien abermals eine Thräne, die langsam über die gebräunte Wange meines Begleiters rann. – Er hatte ein offenes, ehrliches Gesicht, das beim ersten Blick für ihn einnahm. Das Oberhemd von rother Wolle, das sich eng

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_086.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)