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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Wo wohnen Sie seitdem?“

„Bei der verwittweten Generalin von Hochkirch, die ich bei der Frau von Waldheim kennen gelernt hatte.“

„Gleichfalls als Gesellschafterin?“

„Als Mietherin, als Kostgängerin. Die Generalin lebt von einer geringen Pension.“

„Ich muß Sie bitten, mir zu sagen, wovon Sie leben?“

„Von meinen Ersparnissen.“

„Bei der Frau von Waldheim?“

„Auch früheren.“

„Sie brachten also Geld mit hierher?“

„Gewiß.“

„Wie viel?“

„Ich weiß das nicht mehr.“

„Ungefähr!“

„Ich kann es auch nicht ungefähr angeben. Und selbst wenn ich es könnte, ich würde wieder bitten, dies als mein Geheimniß zu betrachten.“

„Mein Fräulein, es wäre das ein Geheimniß, das mehr als eine Verzögerung Ihrer Untersuchung herbeiführen, das zugleich einen Verdacht gegen Sie begründen würde.“

„Ich muß das erwarten.“

„Werden Sie mir auch die Auskunft darüber verweigern, auf welche Art Sie jene früheren Ersparnisse erworben hatten?“

„Auch darüber.“

„Fräulein, ich komme jetzt unmittelbar zu der gegen Sie erhobenen Beschuldigung des Diebstahls. Bevor ich Sie darüber befrage, habe ich die Verpflichtung, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß hier jede Verweigerung einer Antwort oder jede unbestimmte oder unwahre Antwort doppelt zu Ihrem Nachtheile wirken, geradezu als eine Anzeige für Ihre Schuld gelten muß. Ich bitte Sie, das wohl zu erwägen.“

„Fragen Sie, mein Herr.“

„Die Frau von Waldheim soll mehrere Male schon vor einiger Zeit bestohlen worden sein, im Ganzen um eine nicht unbedeutende Summe, und Sie sollen die Urheberin dieser Diebstähle sein. Die näheren Umstände sind zu den Acten noch nicht angegeben. Sie werden durch offene Mittheilung von dem, was sich darauf bezieht, Ihre Sache nur verbessern.“

Wie sie bisher ruhig, kalt, unbefangen, in der letztern Zeit nur ernster, aber noch keinen Augenblick verlegen gewesen war, so zeigte sie auch, als ich ihr jetzt das ihr angeschuldigte beschimpfende, entehrende, nicht blos aus aller besseren, sondern aus jeder anständigen, ehrenvollen Gesellschaft ausstoßende Verbrechen vorhielt, nicht die geringste Verwirrung, nicht einmal irgend eine Aufregung. Der Blick ihres Auges blieb[WS 1] fest und klar; ihre Lippen zuckten nicht, ihre Farbe veränderte sich nicht. Ich muß gestehen, daß diese Unempfindlichkeit einen unangenehmen Eindruck auf mich machte. Mochte sie eine natürliche, mochte sie eine gemachte sein, auf keinen Fall entsprach sie den Anforderungen einer wahren Bildung, eines richtig fühlenden Herzens, der Ehre; am wenigsten war sie weiblich.

„Fragen Sie mich, mein Herr,“ wiederholte sie.

„Bei dem Mangel an Thatsachen kann ich specielle Fragen nicht an Sie stellen.“

„So kann ich Ihnen auch nichts antworten, als das Eine, daß, wenn die Frau von Waldheim wirklich bestohlen ist, ich an diesen Diebstählen unschuldig bin.“

„Sie scheinen zu begreifen, daß die Frau von Waldheim bestohlen sei?“

„Ich habe keine Untersuchung darüber angestellt.“

„Sie können sich auch außerdem eine Ueberzeugung, mindestens eine bestimmte Meinung darüber gebildet haben.“

„Bis jetzt war das noch nicht der Fall.“

„Was hat man Ihnen darüber, so wie über Ihre Betheiligung vorgehalten?“

„Von welcher Seite?“

„Zunächst von Seite der Frau von Waldheim.“

„Von Seite der Frau von Waldheim?“

Sie warf ihre Lippen spöttisch verächtlich auf. Es war die erste Bewegung, die sie während des Verhörs zeigte.

„Ich soll am gestrigen Nachmittage aus dem Schlafzimmer der Frau von Waldheim dreißig Gulden entwendet haben. Bei der Gelegenheit, hielt mir dann der Polizeicommissarius vor, sei zugleich der Verdacht auf mich gefallen, daß ich schon früher, als ich noch in dem Hause war, dort vorgefallene Diebstähle verübt hätte, einen von hundertundachtzig bis zweihundert Gulden und mehrere kleinere; selbst an Kleinigkeiten, wie eine Scheere, ein elfenbeinernes Nadeletui; vielleicht gar auch die Nadeln. Es wäre lächerlich, wenn es nicht im höchsten Grade empörend wäre, ein unschuldiges, achtbares Mädchen in solcher Weise zu beschimpfen und zu – verfolgen.“

Sie war mehr und mehr aufgeregt geworden. Sie legte namentlich auf das letzte Wort: verfolgen, nachdem sie zuerst gezögert hatte, es auszusprechen, einen eigenthümlich nachdrücklichen Ton.

Ich griff dies auf.

„Wer verfolgt Sie?“ fragte ich rasch.

Sie war plötzlich wieder kalt geworden. War ihre Aufregung nur eine gemachte gewesen? Beinahe kam es mir so vor.

„Es gehört nicht hierher,“ antwortete sie mir ruhig. „Wenigstens zur Zeit nicht. Später.“

„In welchen Beziehungen blieben Sie zu der Frau von Waldheim, nachdem Sie deren Haus verlassen hatten?“

„Sie blieb freundlich gegen mich, und hat mich in meiner späteren Wohnung mehrmals besucht, mich auch wiederholt zu sich eingeladen.“

„Und Sie?“

„Ich kenne die Gesetze der Höflichkeit.“

„Sie haben auch jene Einladungen angenommen?“

„Ja.“

„Würden Sie mir einen speciellen Grund Ihrer Abneigung angeben, von der Sie vorhin sprachen?“

„Von Abneigung habe ich wohl nicht gesprochen.“

„Von Kälte denn.“

„Besondere Gründe dafür wünschen Sie zu wissen?“

„So sagte ich.“

Sie besann sich einen Augenblick, dann sagte sie:

„Auch das vielleicht später.“

Ich hatte sie nur noch über zwei Punkte zu befragen. Im Uebrigen konnte bei dem Fehlen allen thatsächlichen Anhalts ein weiteres Verhör zu keinem Resultate führen.

„Waren Sie gestern in der Wohnung der Frau von Waldheim?“

„Nein.“

„Sie haben gestern noch ein Bette erhalten?“

Sie stutzte, als ich plötzlich und ihr völlig unerwartet die Worte an sie richtete.

„Verzeihen Sie mir,“ sagte sie, „daß ich Ihnen für diese gütige Bevorzugung noch nicht meinen Dank gesagt habe.“

„Mir sind Sie keinen Dank dafür schuldig.“

„Die gewöhnliche Gefängnißordnung würde es mir nicht verschafft haben.“

„Ein junger Mann Ihrer Bekanntschaft hat es für Sie gebracht.“ Sie wurde auf einmal roth und blaß.

„Nannte er sich?“

Sie sprach die Frage ängstlich lauernd aus. Es schien ihr viel daran gelegen zu sein, ob der junge Mensch sich genannt habe oder nicht. Damit stand auch wohl am gestrigen Abende ihre Verlegenheit in Verbindung, als der Gerichtsdiener mir den Besuch des jungen Menschen meldete.

Ich hätte durch eine kleine Unwahrheit jetzt leicht den Namen des Unbekannten erfahren können. Das Gesetz läßt dem Inquirenten hierin einen weiten Spielraum. Ich habe aus Achtung vor dem Rechte und vor meiner Ehre stets jede, auch die geringste Unwahrheit gegen meine Inquisiten verschmäht.

„Nein,“ antwortete ich der Gefangenen, „er nannte sich nicht.“

Die Mittheilung erleichterte sie sichtlich.

„Ich sehe,“ sagte ich, „ich würde auch Sie vergeblich nach seinem Namen fragen.“

Es schien plötzlich eine seltsame, aber tiefe Rührung sie erfaßt zu haben. Mit feuchten Augen und einer fast zitternden Stimme antwortete sie mir:

„O, mein Herr der brave Mensch hat um meinetwillen, aus Besorgniß für mich, Ihnen seinen Namen verweigert. Ich kann Ihnen diesen um seinetwillen nicht nennen. Dringen Sie nicht ferner in mich.“ Ich ließ sie in das Gefängniß zurückführen.

(Fortsetzung folgt.)



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bieb
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_084.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)