Seite:Die Gartenlaube (1858) 083.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

hatte seitdem Zeit genug gehabt, über ihre Lage nachzudenken; sie hatte sich diese klar machen können. Mochte sie sich schuldig oder unschuldig fühlen, sie mußte, zumal da sie nach ihren eigenen Worten mit dem gerichtlichen Verfahren nicht unbekannt war, sich sagen, daß sie unter allen Umständen einer unangenehmen, namentlich für eine Dame peinlichen, schmerzvollen Untersuchung und Haft entgegenging. Gestern, unmittelbar nach ihrer Verhaftung, hatte sie, mit trotzigem schlechten oder mit ruhigem guten Gewissen, Manches leichter nehmen, über Manches sich ganz hinwegsetzen können, was bei besonnenerem Nachdenken ihr in hellerem und mithin wahrerem Lichte erscheinen und dann nothwendig schwer auf sie drücken mußte! Sie erschien gleichwohl in der Verhörstube durchaus ruhig, sorglos, fast heiter. Ich hatte sie, meiner Gewohnheit beim Inquiriren gemäß, stehend empfangen. Sie blieb jedoch nur kurze Zeit stehen; dann nahm sie einen Stuhl und sagte kurz, aber höflich:

„Darf ich bitten, mein Herr?“

Sie setzte sich. Ihr Benehmen war das einer vornehmen Dame, die in ihrem eigenen Salon oder Boudoir ist. Ich ließ sie natürlich sitzen, blieb selbst aufrecht stehen und begann mit vollkommener Inquirenten-Ruhe und Kälte das Verhör, vielleicht auch, ich kann es nicht ganz leugnen, mit einigem Vorurtheil gegen sie, das sie durch ihr Benehmen nothwendig in mir hatte wecken müssen.

„Ihr Name ist?“ fragte ich.

Sie sah mich einen Augenblick verwundert an, als ob sie sich auf einmal besinne, dann sagte sie lächelnd:

„Ah, mein Name und mein Alter sind zwar schon in dem polizeilichen Berichte angegeben, den der Commissarius mir mitgetheilt hat. Aber ich dachte nicht sogleich daran, daß der Angeschuldigte vor Gericht Alles selbst angeben muß. So ist es ja wohl?“

„So ist es.“

„Mein Name ist also Rosa Heisterberg, bin dreiundzwanzig Jahre alt und evangelisch-protestantischer Religion.“

„In dem Polizeiberichte sind Sie Rosa von Heisterberg genannt.“

„Richtig.“

„Das ist also Ihr wahrer Name?“

„Ja.“

„Sie nannten sich eben blos Rosa Heisterberg.“

„So? That ich das? Ich lege auf das von kein Gewicht.“

„Woher sind Sie gebürtig?“

„Aus einer holländischen Provinz.“

„Der Name dieser Provinz?“

„Es wird wohl nicht darauf ankommen.“

„Es wäre doch möglich.“

„Sie haben Recht: es wäre möglich; es könnte für die Zwecke Ihrer Untersuchung erforderlich werden, mein ganzes bisheriges Leben bis zu meiner Wiege hin zu verfolgen. Das meinen Sie doch?“

„Das meinte ich.“

„Nun, so wird es alsdann, wenn dieses Erforderniß eintritt, früh genug sein, Ihnen meinen Geburtsort zu nennen.“

„Nach den Vorschriften des Gesetzes müssen Sie ihn sofort angeben.“

„Ich muß? Und wenn ich nun nicht will?“

„Mein Fräulein, körperliche Zwangsmaßregeln wenden wir gegen Angeschuldigte nicht an. Auch Sie werden sie nicht zu fürchten haben. Aber nur sich selbst haben Sie es beizumessen, wenn Sie durch Verschweigen oder Verdunkeln oder Entstellen von Thatsachen, die nun einmal zu der Untersuchung gehören, diese und Ihre Haft in eine, vielleicht unabsehbare Länge hinausziehen. Erlauben Sie mir überhaupt jetzt gleich schon die Bemerkung, daß Sie mir Ihre Lage so leicht, nicht mit jenem Ernst, noch weniger mit jenem weiblichen Gefühle aufzunehmen scheinen, welche eine schimpfliche und jedenfalls mit einigen Beweismitteln unterstützte Beschuldigung des Diebstahls, eines gemeinen Verbrechens, auch bei dem vollsten Bewußtsein der Unschuld, zumal in einer Dame von Ihrer Bildung und Stellung, nothwendig hervorrufen müssen.“

Diese Ermahnung machte sie doch nachdenklich, ernster; aber mehr fruchtete sie nicht.

„Herr Criminalrath,“ erwiderte sie, „gerade weil ich meine Lage ernst, sehr ernst auffasse, kann ich mich nicht dazu entschließen, Sie mit meinen heimathlichen Verhältnissen bekannt zu machen. So wie ich jetzt in der Untersuchung befangen bin, kann höchstens diese meine Person, wie sie hier vor Ihnen sitzt, compromittirt werden, nichts weiter in der Welt, kein Name, keine Person, kein Ort. Genügt Ihnen diese Aufklärung meiner Weigerung?“

„Sie würden also auch über Ihre übrigen persönlichen Verhältnisse keine Auskunft geben?“

„Nein.“

„Nicht über Namen und Stand Ihrer Eltern?“

„Nein.“

„Wo Sie erzogen sind? Wo Sie Ihre Ausbildung erhalten haben?“

„Nein.“

„Wo Sie sich bisher aufgehalten haben? Und in welchen Verhältnissen?“

„Nein, mein Herr, und immer nein, welche ähnliche Frage Sie auch an mich richten mögen.“

„Wie lange halten Sie sich in Berlin auf?“

„Seit einem Vierteljahre.“

„Woher kamen Sie damals?“

„Erlauben Sie, daß ich Ihnen darauf die Antwort wieder verweigere.“

„Kamen Sie mit einem Paß hier an?“

„Nein.“

„Hat die Polizei Sie ohne alle Legitimation hier geduldet?“

„O nein. Ich begab mich sogleich nach meiner Ankunft zu dem holländischen Gesandten und dieser stellte mir einen Paß aus.“

„Wo befindet sich dieser?“

„Ich habe ihn gegen eine Aufenthaltskarte bei der Polizei deponiren müssen; dort wird er noch sein.“

„Legitimirten Sie sich bei dem holländischen Gesandten?“

„Gewiß.“

„Ich welcher Weise?“

„Das muß wieder mein Geheimniß bleiben. Indeß, Sie werden sich darüber beruhigen dürfen, wenn Sie sich erinnern, daß der Gesandte ein gewissenhafter, gar ein peinlicher Mann war.“

„Sie vergessen, daß ich die Auskunft, die ich haben muß, mir leicht aus den Acten der Gesandtschaft verschaffen kann.“

„Ich zweifle.“

„So hätten Sie dem Gesandten gar keine Legitimationsdocumente übergeben oder vorgewiesen?“

„Es ist möglich.“

„Er kannte Sie persönlich?“

„Nein. Aber, mein Herr, konnte ich ihm nicht in anderer Art überzeugende Mittheilungen über meine Verhältnisse machen? Und konnten ihn diese nicht zugleich veranlassen, mein Geheimniß zu ehren?“

„Danach dürfte man auch den Namen, den Sie hier führen, nicht als Ihren wahren annehmen?“

„Ich bitte, ihn dafür zu halten.“

„Mein Fräulein, der holländische Gesandte ist vor Kurzem gestorben.“

„Ja.“

„Sollten die Gesandtschaftsacten keine Auskunft geben und sollte diese auch Niemand anderes von den Personen der Gesandtschaft geben können, so würde zu meinem Bedauern jene langwierige Verzögerung Ihrer Angelegenheit eintreten, die ich schon vorhin andeutete.“

„Auch ich würde das bedauern, um so mehr als alle Ihre Nachforschungen völlig vergeblich sein würden.“

„Was bewog Sie, hierher zu kommen?“

„Ich hatte durch eine bekannte Familie erfahren, daß eine Frau von Waldheim eine Gesellschafterin suche.“

„Sie werden mir auch den Namen dieser Familie nicht nennen wollen?“

„Nein.“

„Sie erhielten sofort die Stelle bei Frau von Waldheim?“

„Sofort.“

„Auf Grund besonderer Empfehlung?“

„Ich überbrachte ihr wenigstens keine fremde Empfehlung.“

„Sie haben Ihre Stellung bei der Frau von Waldheim aufgegeben?“

„Seit etwa drei Wochen.“

„Aus welchem Grunde?“

„Wir fanden beiderseits keinen Gefallen mehr an einander.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_083.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)