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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Frag’ Er den Vater!“ entgegnete Minette, ernst lächelnd.

„Ich werde mich hüten. Wer ihn fragt, den wirft er zur Thüre hinaus. Also muß doch etwas ganz Absonderliches in der Stube sein. Etwas Lebendes ist’s nicht, denn dann müßte man bemerken, daß Speise und Trank hineingebracht würde –“

„Vielleicht geschieht’s des Nachts, wenn Alles schläft,“ warf Minette spöttisch ein.

Wilhelm schüttelte den Kopf.

„Dann müßt’ ich’s hören,“ sagte er; „denn ich, Jungfer Minette, damit Sie’s nur weiß, ich schlafe mein Lebstage nicht.“

„Bei Tage nicht, das glaub’ ich.“

„Auch in der Nacht nicht, weil ich an meinen allerholdseligsten und allergrausamsten Schatz denke.“

Minette griff wieder zum Wasserglase und streckte es lachend über Wilhelms Kopf aus. Dieser bog zur Seite aus, aber der Guß kam nicht.

„Nachts,“ fuhr der Gärtnerbursche dann fort, „bleibt’s im ganzen Hause still. Also ein Mensch kann’s nicht sein, der in der Hinterstube versteckt ist. Eine rare Pflanze, welche der Gärtner erzöge, auch nicht, die müßte Licht und frische Luft haben. Was ist’s nun? Der Gärtner wird doch Niemanden todtgeschlagen und darin versteckt haben? Es ist freilich nicht mit ihm zu spaßen, er kann zornig genug werden, wenn ihm etwas in die Quere kommt!“

„Wie mag Er nur so abscheuliches Zeug reden,“ versetzte Minette, die Farbe leicht wechselnd; „pfui, Wilhelm!“

„Aber es muß doch seinen Grund haben,“ fuhr der Gärtnerbursche fort.

„Den hat’s auch, seinen guten Grund, daß der Vater Niemanden in die Stube läßt. Aber es hat sich auch keiner darum zu kümmern – Er auch nicht, versteht Er, Wilhelm! laß Er’s sich gesagt sein oder mit unserer Freundschaft ist’s ein für alle Mal aus, daß Er’s weiß. Laß Er die Leute reden, wenn’s ihnen Vergnügen macht, thörichtes Zeug zu schwätzen!“

Und damit zog sich Minette vom Fenster zurück.

Wilhelm blickte eine Weile hinauf, um zu sehen, ob sie nicht wieder erscheine.

„Sie hat’s quer genommen, daß ich endlich einmal davon begonnen habe,“ sagte er dann halblaut für sich. „Und so klug bin ich, als wie zuvor. Curios ist’s bei alle dem. Neulich Abends kommt der Lehrbub’, der Matthes, gelaufen und sagt, er habe in der Dämmerung die weiße Frau über den Schloßplatz her in den Garten schreiten sehen verschleiert, langsam sei sie daher gegangen und auf des Gärtners Wohnung zu – die Thüre sei wie von selbst vor ihr aufgesprungen – drinnen sei sie verschwunden … hat der Bube gelogen oder die Wahrheit gesprochen? Ja, ja, seltsam ist’s, die Geschichte mit der Hinterstube; wie oft hab’ ich mich auf die Lauer gelegt, aber wahrzunehmen ist nichts. Nun freilich, wenn etwas wahrzunehmen ist, wird’s der Herr Gärtner schon vorher wissen, und dann heißt’s: Wilhelm, die Bäume hinten im Küchengarten müssen heute beschnitten werden, und Du, Matthes, lauf’ nach Kranichstein, dem Herrn Wildmeister sollst Du Quittenreiser bringen – damit sind die Aufpasser beseitigt!“




III.

Kehren wir jetzt zu dem jungen Manne mit dem Strauße zurück. Er hatte sich in einen der abgelegensten Theile der Anlagen begeben und dort auf eine Gartenbank niedergeworfen. Hier hatte er lange gesessen, das Haupt auf die Lehne der Bank zurückgelegt und so in die dunkle Bläue des Himmels starrend. Sein Auge hatte dabei einen eigenthümlichen schwärmerischen Glanz angenommen; auf seiner schönen Stirn lag etwas wie ein Weben unendlich beglückender hochfliegender Gedanken. Dann stand er auf und sagte halblaut für sich:

„Genug geträumt in der freien schönen Gotteswelt! Wir müssen jetzt zu Merk zurückkehren, der von seinem Kriegszahlamt nun wieder daheim sein wird. Wollen hören, wie Johann Heinrich Reinhard der Jüngere[1] über all die Sachen denkt, die uns durch den Kopf gegangen, und welche Bosheiten er uns und allen seinen lieben Mitchristen an den Kopf werfen wird!“

Mit raschen Schritten suchte er dann den Ausgang auf und zwar den Hauptausgang nach dem Schloßplatze hin, in dessen Nähe die Wohnung des Gärtners lag. Ein paar hundert Schritt von demselben entfernt blieb er plötzlich stehen.

„Aber mein Strauß!“ sagte er, indem er das große Bouquet, welches Wilhelm ihm vor einer Weile hatte schneiden müssen, betrachtete und sein Gesicht darin barg, um den Duft in langen Zügen einzusaugen. „Schöner Strauß, Du bist Contrebande! Am Thore werden wir auf eine Wache oder einen Aufseher stoßen, die Dich confisciren und am Ende den Frevler, der Dich trägt, dazu! Soll ich ihn fortwerfen? Es wäre Schade darum; aber, sieh da, taucht nicht da ein allerliebstes Mädchenantlitz vor uns auf? – bringen wir ihr die Kinder Florens zum Angebinde!“

(Fortsetzung folgt.)
  1. Merk’s Schriftstellername.




Wild-, Wald- und Waidmanns-Bilder.
Von Guido Hammer.
2. Das Wildschwein.


Die deutschen Wälder dürften wohl kaum ein urwüchsigeres Wild, selbst den Bär und das Elen, die beide wenigstens die Grenzen unseres Vaterlandes streifen, in sich bergen, als das Wildschwein. Mächtig und einfach von Formen, bietet es in seiner dunkeln, borstigen Bedeckung einen überaus wilden, fast dämonischen Anblick, dessen Eindruck durch das kleine, funkelnde, namentlich in der blutunterlaufenen Farbe der Wuth dem Feinde wahrhaft tödtlich entgegen leuchtende Auge noch verschärft wird. Ueberhaupt ist das merkwürdige Thier, was seinen Charakter anlangt, von einer seltenen Entschlossenheit, immer bereit, es mit jedem Gegner aufzunehmen. Unerschütterlichen Muthes voll bis zum letzten Augenblick des Unterliegens, verwindet es auch dann noch alle Schmerzen, so daß selbst der Todeskampf ihm keinen andern Laut auspreßt, als ein wuthgiftiges Schnauben und jenes unheilverkündende Zusammenschlagen der Gewehre.[1] Ein ritterlicher Kämpe verkauft der geharnischte Eber, wenn er, sei es vom Menschen oder Hunde, verfolgt und angegriffen wird, oder habe er gegen Bär, Wolf und Luchs zu kämpfen, sein Leben gewiß auf’s Theuerste. Kommt doch sogar der Jäger der Jetztzeit, trotz seiner überlegenen Feuerwaffe, bei solcher Jagd noch manchmal in Lebensgefahr. Lassen wir zur Veranschaulichung derselben ein Bild folgen und führen wir den Leser abermals an einem Wintertage in den Wald, wie neulich, da wir der Fährte des edeln Hirsches in Frieden nachgehen konnten. Diesmal richten wir unsere Blicke auf einen harten Kampf.

Es war an einem Decemberfrühmorgen. Die Natur hatte sich in ihr einförmigstes Gewand gehüllt. Kein blasser Streifen verkündete im Osten die Sonne; nur eintöniges Grau deckte den Himmel – den Boden fahles Weiß, das während der noch herrschenden Dunkelheit mit dem weißlichgrauen Horizonte in der Ferne zusammenschmolz. Der dunkle Föhrenwald, aus dem hier und da der mächtige und oft vom Blitz zersplitterte Wipfel einer aus einer früheren Generation von Bäumen herstammenden Eiche oder Buche emporragte, bildete den Contrast dazu, milderte aber nicht die tiefe Melancholie, die sich gleichsam auf Alles, so weit das Auge reichte, gelagert hatte, sondern gab ihr einen nur noch tieferen Ausdruck. Auf einem Kreuzwege im Walde, an einer vielleicht tausendjährigen Eiche, die in die trübe dämmerige Luft hineinragte, stand, wie es schien, erwartungsvoll die jugendliche, aber durchaus männliche Gestalt eines Jägers. Brandschwarzen Haares und Bartes und tiefer brauner Farbe des Gesichts von slavischer Bildung, hatte diese breitschulterige Gestalt etwas ungemein Imponirendes, was durch das kühne, dunkelblitzende Auge, mit dem es in die Ferne schaute, wo man die unbestimmten Umrisse eines daherschreitenden Menschen gewahrte, noch bedeutend unterstützt wurde. Mit den Füßen den

  1. Gewehre: Hauer, Zähne.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_076.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2018)