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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

endlich einen Blick an sich selber herabgeworfen, wie um den ganzen Zustand seiner äußeren Erscheinung zu mustern, begann er, den Blicken eine andere Richtung zu geben. Er spähte nämlich mit einer gewissen Unruhe durch die offene Hausthüre[WS 1] in das Innere des Häuschens; er ging darauf zum nächsten Fenster, – sodann zum zweiten und endlich zu einem dritten; aber überall stieß sein suchendes Auge auf einen neidischen Vorhang von rothgewürfeltem Calico, der hinter den Scheiben hing und jeden Einblick in die inneren Räume des idyllischen Hauses unmöglich machte. Mißvergnügt wandte sich der Bursche jetzt der Hausthüre zu – er setzte zögernd den Fuß auf die Schwelle – aber im nächsten Augenblicke zog er ihn wieder zurück, begann auf’s Neue den alten Dessauer zu pfeifen und, mit auffallend erhellten Zügen ging er von dannen, der Rückseite des Hauses zu.

Nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück, eine Leiter von ansehnlicher Länge auf der Schulter tragend. Er wandte sich damit nach der einen Giebelwand des Häuschens, lehnte die Leiter daran und stieg nun empor, bis auf die obersten Staffeln. Hier bog er vorsichtig, etwas scheu, wie es schien, den Kopf so zur Seite, daß er in das halb geöffnete Fenster, welches oben im Giebel angebracht war, blicken konnte. Eine Weile spähte er ungestört hinein; plötzlich aber, mit einer Bewegung so hastig, daß er beinahe das Gleichgewicht darüber verloren hätte, wandte er sich ab, stieg eine Staffel tiefer und begann mit wunderbarer Hast und grenzenlosem Eifer Rebenblätter abzupflücken.

Das Fenster oben hatte sich unterdeß auch zur anderen Hälfte geöffnet und ein ganz allerliebster feiner, schwarzäugiger Mädchenkopf blickte heraus.

„Aber Wilhelm, um Gotteswillen, was macht Er? Ist Er toll? Schämt Er sich denn nicht?“ sagte das junge Mädchen zornig.

„Schämen? Ei, weshalb denn, liebreizende Jungfer Minette?“

„Daß Er so keck und unartig ist, in meine Kammer hineinzuspioniren – und dazu hat Er am hellen Tage die Leiter an die Wand gestellt, damit’s Jedermann sieht, der Augen hat!“

„Weiß denn Jedermann, wo Ihre Kammer ist, Jungfer Minette?“ fragte der Bursch.

„Er ist abscheulich!“

„Levkoie!“

„Nun, macht Er bald, daß Er da fortkommt?“

„Goldlack!“

„Wilhelm, ich rufe den Vater, wenn Er nicht geht.“

„Aurikel!“

„Ich glaube, Er ist übergeschnappt!“

„Das bin ich freilich, und zwar aus Liebe zu einer so ungebildeten Person, die nicht einmal die Blumensprache versteht! Das war Alles Blumensprache, Minette!“

„Meinethalben spreche Er mit den Blumen, aber hier hat Er nichts zu schaffen!“

„Allerdings! ich habe alle Hände voll zu thun. Ich muß die Weinblätter abpflücken, damit die Sonne die jungen Trauben bescheinen kann; es ist die höchste Zeit, daß die Arbeit geschieht!“

Und nach diesen Worten gab Wilhelm sich auf’s Neue eifrig seiner Beschäftigung hin.

Minettens Zorn über ihn mußte nicht von der gefährlichsten Art sein. Sie blieb mit dem Oberkörper in dem Giebelfenster liegen und sah ihm aus ihren schwarzen Schelmen-Augen lächelnd zu.

Nach einer Weile blickte Wilhelm blinzelnd zu ihr auf. „Jungfer Minette,“ sagte er, „wie wird’s am Sonntag? Hat Sie’s dem Vater gesagt?“

Minette schüttelte den Kopf.

„Sie will’s nicht?“

„Was nützt’s? Er leidet’s nicht, daß ich mit Ihm zum Tanze geh’. Der verlaufene Schwab’, der Wilhelm Rath, ist ein Obenaus und Nirgendsan, sagt er.“

„Ich danke Ihr, Minette.“

„Mir?“

„Nun ja, weil Sie’s so hübsch boshaft nachspricht. Und ich hätt’ Ihr doch ein hübsches seidenes Band geschenkt, wenn Sie am Sonntag mit mir nach Bessungen hinaus zum Tanz gegangen wäre! Ich habe Geld, Minette.“

Wilhelm Rath klimperte mit den erhaltenen Silberstücken in der Tasche.

„So mach’ Er sich ein Vergnügen damit; geh’ Er heut’ Abend in den Birngarten Kegel schieben; es wird eine silberne Uhr ausgesetzt.“

Wilhelm schüttelte mißvergnügt den Kopf.

„Geh’ Er nur immer hin,“ fuhr Minette fort, „Er thut mir einen Gefallen damit.“

„Wenn ich Kegeln geh’?“

„Nun ja; es fällt den Leuten auf, daß Er alleweile die Abende hier umherlungert. Er geht nirgendwo hin. Er bringt mich in’s Gerede.“

„Was schadet’s, allerholdseligste Jungfer Minette? Bin ich denn kein anständiger Freier für die Jungfer? Bin guter ordentlicher Leute Kind. Mein Geschäft, die Gärtnerei, versteh’ ich auch. Daß ich bin durchgebrannt von den Soldaten fort und über die Grenze von unserm guten Schwabenländle – nun, das kann mir nicht schaden, bei keinem Menschen nicht. Wen die Werber gefaßt haben, der ist übel daran, absonderlich bei unserm Karl Herzog; und wer sich nicht aus dem Staube macht, sobald er Weg und Steg sieht, der ist ein Narr. Ich hab’s deshalb kein Hehl, daß ich das abscheuliche Ding, den Schießprügel, weggeworfen habe. Ihr Vater weiß es auch, Jungfer Minette; er hat mich doch zum Gehülfen angenommen und ich denk’, er nimmt mich noch zu etwas Besserem an.“

„Was Er sich einbildet!“ entgegnete Jungfer Minette spöttisch, und eine Handvoll Blätter von den Reben, die bis zu ihrem Fenster hinaufgeklettert waren, abreißend, um sie dem jungen Manne auf den Kopf zu werfen.

Wilhelm ergriff eine der lang niederhängenden Loden und führte damit einen Schlag nach dem jungen Mädchen.

Dieses sprang kichernd zurück und verschwand hinter dem Fenster.

Wilhelm schaute eine Weile in die Höhe, mit seiner Rebe bewaffnet, wie um den Schlag zu wiederholen, sobald sie sich auf’s Neue erblicken lasse. Aber Minette erschien nicht.

„Minette!“ begann er leise zu rufen.

Keine Antwort.

„Allersüßeste Jungfer Minette!“

Der schwarze Lockenkopf ließ sich bemerken, wie er vorsichtig um die Kante der Fenstereinfassung schaute.

„Will Er den Rebenzweig fallen lassen,“ kicherte sie, „sonst …“ und dabei streckte sie ihren hübschen runden Arm, den der offene Aermel des Morgenjäckchens vom Ellenbogen an unbedeckt ließ, über Wilhelms Haupt mit einem vollen Glase Wasser aus und drohte, dies über ihn niederzugießen. „Will Er sich jetzt auf’s Bitten legen?“

„Thu’ ich etwas Anderes, als mich auf’s Bitten legen bei der Jungfer Minette?“ entgegnete er, sich rasch zur Seite wendend, um dem drohenden Gusse auszuweichen. „Wenn’s nur hälfe bei der hoffährtigen Jungfer Minette. Sie ist gar zu stolz auf ihr verwettert hübsches Lärvchen und ihres Vaters große eiserne Geldkiste.“

„Geldkiste? Welche Geldkiste?“ versetzte Minette, indem sie das Glas neben sich auf die Fensterbank setzte.

„Nun, die große Geldkiste, die der Vater in der Hinterstube hat, die er Niemanden betreten läßt und immer so sorgfältig verschließt.“

Minettens Züge wurden plötzlich ernst. Sie schüttelte ihren hübschen rosigen Kopf und sagte:

„Einfältig Gerede! Kümmere Er sich nicht darum.“

„Nun, was hat’s denn sonst zu bedeuten, wenn’s nicht wahr wäre, was die Leute sagen, der Gärtner habe einen grausam reichen Onkel in Westindien beerbt und das Geld sei in einer großen eisernen Kiste gekommen und die habe der Gärtner in seiner Hinterstube fest in die Wand mauern lassen?“

„Davon ist keine Sylbe wahr, Wilhelm. Wenn Er deshalb nach mir freit, so lasse Er’s nur ja bleiben!“

„Es ist aber doch wahr, daß Niemand je von dem Gärtner in die Hinterstube gelassen ist; daß er nie einen Schritt aus dem Hause setzt, ohne vorher nachgesehen zu haben, ob auch die Thüre fest verschlossen; daß die Fenster mit dichten Vorhängen sorgfältig verschlossen sind, so daß Niemand vermag, einen Blick hineinzuwerfen – was bedeutet denn das Alles?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hauthüre
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_075.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2021)