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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

flüchtete sich zuletzt die arme Gräfin in ein kleines Closet, welches seit vielen Jahren als Rumpelkammer diente, und hoffte, da unentdeckt zu bleiben. Doch gar bald spürten die Feinde der reichen Erbin, auf die sie es insbesondere abgesehen hatten, nach und fanden ihren Versteck. Das Freudengeschrei, welches die Verfolger bei ihrem Anblick ausgestoßen hatten, zeigte es der Entsetzten an, die in ihrer Todesangst die Augen geschlossen hatte, wie wenn sie dadurch der Gefahr zu entgehen vermöchte.

Die Arme hatte sich hinter einen Pfeiler von Koffern und Bretern versteckt; diese schieden sie von der brutalen Soldateska. Aber wie langte konnte diese Barriere sie von ihr trennen? In ihrer Verzweiflung blickte sie um sich her nach einem Vertheidigungsmittel, durch welches sie im Stande wäre, die Feinde abzuhalten, bis sie das Fenster erreicht hatte, entschlossen, lieber zu sterben, als sich den Brutalitäten dieser gesetzlosen Bande auszusetzen. Ihr Auge fiel auf einen alten, längst nicht mehr benutzten Regenschirm, der ihrem Vater gehörte und eben so staubig als von Motten zerfressen war. Diesen ergriff sie und stürzte nach dem Fenster in dem Augenblicke, als es dem Entsetzlichsten ihrer Verfolger gelungen war, sich durch die Barriere, die ihn von ihr trennte, durchzuarbeiten. Als sie bei seiner Annäherung den alten Regenschirm gegen ihn erhob, lachte er hell auf, dennoch bewirkte sein dadurch erregtes Erstaunen, daß er einen Schritt zurücktrat. Dieser Moment war es, in welchem die Gräfin auf die Fensterbrüstung sprang und dem Griffe des Soldaten nach ihren Kleidern entging; der nächste sah sie hinabstürzen.

Mit einem Schrei des Entsetzens stürzten die Verfolger nach dem Fenster, überzeugt, den schönen Leib der Gräfin auf dem Pflaster des Hofes zerschmettert zu sehen. Aber der alte Regenschirm, den sie noch fest in ihrer Hand gehalten, hatte sie vor Tod und Entehrung gerettet. Im Falle war er aufgegangen, hatte die Luft erfaßt und sie so unbeschädigt auf den Boden gebracht, von wo sie sogleich dem Thore zueilte, während die Soldaten voll Erstaunen über diese, ihnen fast wie ein Wunder erscheinende Begebenheit ihr nachblickten, ohne auch nur einen Fuß zu ihrer Verfolgung zu erheben. Inzwischen fand die Gräfin eine Zuflucht in der Hütte eines zum Gute gehörigen Bauern.

Die Gräfin ist jetzt wieder verheirathet und lebt am Hofe der Königin Isabella, wo sie eine der ersten Stellen einnimmt; der alte Regenschirm aber befindet sich in der Kirche des heiligen Isidor, wo er, reichlich verziert mit Gold und Perlen, hinter dem Altare der Mutter Gottes als Votivopfer hängt.

Alljährlich begibt sich die Gräfin mit ihren Kindern an dem Tage, da sie dem Tode und der Entehrung entging, in diese Capelle und der alte Regenschirm wird über der knieenden Gruppe ausgespannt gehalten, während der Priester seinen Segen spricht und die Glocke fröhlich zu Ehren der heiligen Jungfrau und des Regenschirmes tönt; denn jene war, so fühlte die dankbare Gräfin, die Retterin, dieser das wunderbare Mittel der Rettung.

In katholischen Ländern hat jede Corporation einen Heiligen zum Patron – und der heilige Medardus ist der Patron der Regen- und Sonnenschirmmacher. Daß diesen die Wahl traf, wird der Legende nach folgender Begebenheit aus dem Leben zugeschrieben. Eines Tages in Mitte des Sommers befand er sich mit mehreren Andern auf dem Felde, als plötzlich ein heftiger Regen niederfiel, welcher seine Begleiter in einigen Augenblicken bis auf die Haut naß machte, während er nicht nur trocken blieb, sondern auch sich nicht einmal bewußt wurde, daß es regne. Ein Adler von ungeheurer Größe schwebte in kurzer Entfernung über seinem Haupte mit ausgebreiteten Flügeln und schützte den heiligen Mann vor dem Regen, indem er ihn, immer über ihm schwebend, bis zu seiner Wohnung begleitete.

Die Kirche des heiligen Medardus in Paris besaß vor der großen Revolution einen Altar, welchen die Gilde der Regen- und Sonnenschirmmacher ihm geweiht hatte. In der von Mercier gegebenen Beschreibung dieser Kirche wird erzählt, daß sie merkwürdig war wegen eines sonderbaren Regenschirmes, welcher in der Form eines Domes den Altar des heiligen Medardus beschattete und so construirt war, daß er in einem Augenblicke aufgespannt wurde, obgleich er dann eine solche Größe erhielt, daß bequem sechs Mann darunter stehen konnten; zusammengezogen bildete er einen Baldachin mit Straußfedern auf der Spitze, die sich sehr artig ausgenommen haben sollen.


Die Bewegungen der Erdrinde. „Fest wie der Erde Grund,“ sagt zwar unser Schiller, doch wie es um die Festigkeit dieses Grundes steht, zeigen nicht nur die neuesten furchtbaren Erschütterungen im südlichen Italien, sondern auch die stetigen, ihrem Umfange nach so ungemein beträchtlichen Veränderungen auf dem Erdballe. Von letzteren sagt v. Rougemont in seinem neuesten Werke: „Geschichte der Erde,“ übersetzt von Favarius (Stuttgart, Besser): „Andere Thatsachen deuten dagegen an, daß unser Planet noch nicht in seinen definitiven Zustand eingetreten ist, daß er jeden Augenblick seinen Continenten eine neue Form geben kann und daß er sich für irgend eine ungeheure Katastrophe bereit hält. Ein großer Theil der Erdoberfläche ist beständig in Bewegung, hier sich senkend, dort sich erhebend und dem Meere Gebiete abgewinnend oder verlierend. An der Küste von Puzzuoli ist der berühmte Tempel des Serapis bis fünf Meter unter das Wasser hinabgestiegen und später wieder über den Meeresspiegel erhoben worden. Mittelitalien, Sardinien, Schweden haben gewisse Stellen, die in jenen Zeiten, als sie schon von Menschen beobachtet waren, versanken, darauf aber von im Innern der Erde unaufhörlich thätigen plutonischen Gewalten emporgehoben wurden. (Der Uebersetzer schrieb das Wort „thätig“ am 25. Juli 1857 gegen 12 3/4 Uhr, als sein Pult sich durch einen verticalen Stoß erhob, dem einige Secunden nachher eine Schwingung von Nordwest nach Südost folgte, die die Klingel des Hauses in Bewegung setzte.) Ganz Schweden (Schonen ausgenommen) steigt langsam, doch ungleichmäßig über das baltische Meer, welches sich zurückzieht und seine ehemaligen Ufer trocken läßt. Die Westküste Arabiens bietet dieselbe Erscheinung. Die Küste Grönlands hingegen hat sich seit vier Jahrhunderten auf einer Länge von 200 französischen Meilen fortwährend gesenkt. Im Jahre 1819 ist der untere Lauf des Indus durch das plötzliche Erscheinen eines Erdrückens von zwanzig Meilen Länge und sechs Meilen Breite und durch das Einsinken eines parallelen Erdgürtels bedeutend verändert. In der neuen Welt sinken, während heftige Erdbeben die Küste von Chile emporheben, die Chiloe-Inseln im Süden unter den Spiegel des Oceans. Die erstaunten Eingebornen finden ein tiefes Wasser, wo jüngst noch eine Muschelbank war, die sie mit ihren Reichthümern ernährte, und der Wald, der ihnen das Holz lieferte, ist mit mehreren Fuß Wasser bedeckt, oder ist von irgend einer ungeheuren Welle mit fortgerissen, die von einem Erdbeben in Bewegung gesetzt wurde, und dabei den Boden hoch mit Produkten des Oceans bedeckt hat. Von Otahaiti bis Madagaskar sind, wenn man sich auf Beobachtungen verlassen kann, alle Länder in Bewegung: die Gesellschafts- und die niedrigen Inseln senken sich allmählich auf einem Raum von 500 Meilen Länge und 150 Meilen Breite. Die neuen Hebriden, die Salomonsinseln und die Inseln von Neuirland haben sich dagegen erhoben, und in den weiten Seestrichen zwischen diesen Herden entgegengesetzter Thätigkeit sieht man steigende und sinkende Inseln regellos unter einander zerstreut, und durch die Erdbeben alle gleichmäßig in Bewegung gesetzt. Mehr nach Westen wiederholen sich dieselben Erscheinungen. Neuguinea, Timor, Java, Sumatra steigen empor, wie es ihre Ufer bezeugen, während an der Ostküste von Australien in Folge eines langsamen Sinkens der Canal, der sie von ihrer ungeheuren Vormauer der Korallenbänke trennt, sich mehr und mehr erweitern soll. Im Südwesten der Sundastraße sinken die Keeling- und Cocosinseln, die in zehn Jahren durch drei Erdbeben erschüttert wurden, unbestreitbar.“ So sieht es auf der Erde aus, das feurig-flüssige Erdinnere erkaltet nach der früher erkalteten starren Erdkruste immer mehr, letztere zieht sich zusammen und ruft die gewaltigsten Veränderungen und Erschütterungen dadurch hervor.




Die Arbeiterassociationen in Paris. In einem kürzlich erschienenen Werke von Vicomte Lemener über die Arbeiterassociationen in Paris findet man einige sehr interessante noch nicht veröffentliche Daten, welche wir hier mittheilen. Diese Associationen bestehen zum Theil blos aus Arbeitern, zum Theil auch aus Arbeitern und Principalen; einige der Gesellschaften wurden von der Regierung unterstützt, andere stehen ganz auf eigenen Füßen. Von den ersteren, deren Anzahl sich im Jahre 1848 auf 70 belief, existiren nur noch neun in Paris und zwei in den Departements. Die Association der Sammetarbeiter in Lyon beschäftigt 1000 Weber und 1000 andere Arbeiter. Die Association der Vergolder in Paris besteht schon seit 22 Jahren, wo sie mit vier Arbeitern anfing; in einem Berichte an die Nationalversammlung im Jahre 1850 ertheilt der Berichterstatter Herr Lefebvre-Durufle dieser Gesellschaft das größte Lob. Ferner ist zu erwähnen die Association der Lehnstuhlmacher in der Vorstadt St. Antoine, welche mit 504 Francs anfing, jetzt 68 Arbeiter und 100 Gehülfen zählt, ein Capital von 31,800 Francs besitzt, jährlich für 400,000 Francs Geschäfte und einen Profit von 11,000 Francs macht, dann zählen wir noch die Association der Feilenhauer und die der Drucker; letztere ist im besten Stande und ihre Mitglieder verdienen mehr als die Arbeiter in den Druckereien. – Die zweite Classe dieser Associationen, diejenigen, welche ganz auf eigenen Füßen stehen und sich selbst herausgearbeitet haben, verdienen unstreitig weit mehr Interesse als die ersteren; viele von ihnen wurden im Jahre 1851 genöthigt, sich aufzulösen, namentlich die vortrefflichen Associationen der Zeugdrucker, der Riemenschneider, der Kleidermacher etc. Unter den noch jetzt bestehenden verdient die der Klempner besondere Erwähnung. Als sie sich in einem sehr bescheidenen Locale in der Vorstadt St. Antoine installirt hatte, blieben noch 10 Frcs. in der Casse. Es fehlte an Arbeit: eine Laterne von 12 Frcs. blieb lange Zeit die einzige Bestellung. Mit Geduld und unerhörten Anstrengungen erhielt man im Jahre 1849 endlich Arbeit, so daß man sogar sparen konnte, in der Casse sind 710 Frcs., sie wird gestohlen und die Gesellschaft geräth wieder in’s Elend; die übrigen Associationen stehen ihr bei und machen Vorschüsse, welche Souweise zurückbezahlt werden. 1850 bezog die Gesellschaft ein besseres Local; durch Erfahrungen klug geworden, verbesserte sie ihre Statuten, und jetzt zählt sie 45 Mitglieder. Ebenso ist es mit der Association der Stuhldrechsler gegangen, welche sich jetzt durch ihre Sittenstrenge und ihre guten Geschäfte auszeichnet. – Kurz, im Allgemeinen sind die Hauptcharakterzüge dieser freien Association folgende: „im Anfang haben die Arbeiter den schwersten Stand; verlieren sie aber den Muth nicht, so werden sie nicht nur besser, sondern erhalten auch eine unbezwingbare Energie. Um die Gesellschaft zu gründen oder ihr im Fall der Noth beizustehen, haben die Arbeiter manchmal ihre Kleider, die Frauen und Mädchen ihre Schmucksachen auf’s Leihhaus getragen. Ausgezeichnete Arbeiter opfern einen hohen Lohn, und begnügen sich mit Wenigem, nur um die Gesellschaft zu halten. Diese Beharrlichkeit und Ausdauer hat auch meistens ihren Lohn gefunden. Unter den Mitgliedern herrscht die größte Brüderlichkeit, die lobenswertheste Rechtschaffenheit und Aufmerksamkeit und ein unerschütterliches Vertrauen in die Stärke der Gesellschaft. Was ihnen besonders nachzurühmen ist, das ist die aufrichtige Erkenntniß der eigenen Fehler, und das fortwährende Streben nach Besserung in der Organisation der Gesellschaft, wozu die harte Erfahrung nicht wenig beigetragen hat.




Morgenländische Sage vom Weine. Die verschiedenen Wirkungen des Weingenusses sucht eine mohammedanische Sage auf folgende Weise zu erklären. Als Noah den ersten Weinstock gepflanzt hatte, trat in der Nacht darauf der Satan herzu und sprach: „Liebe Pflanze, ich will dich düngen.“ Und er schlachtete zuerst ein Lamm, dann einen Löwen und zuletzt eine Sau, und goß das Blut aller drei Thiere rings um das Gewächs. Darum macht der Wein, mäßig genossen, des Menschen Herz mild wie ein Lamm; trinkt er mehr, so wird er aufgeregt wie ein Löwe; überschreitet er endlich das Maß gar zu sehr, so verliert er seine Sinne und wälzt sich wie eine Sau im Kothe.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_072.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2020)