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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

erschweren. – So wird also in Folge der geschwächten Verdauung die Einfuhr von guten nahrhaften Stoffen (Speisesaft) in das Blut herabgesetzt und dieses natürlich in seiner Ernährungskraft beeinträchtigt.

Auch der Zutritt der ganz unentbehrlichen Lebensluft (des Sauerstoffs in der atmosphärischen Luft) zum Blute innerhalb der Lungen geht nicht mehr in dem gehörigen Maße vor sich, und zwar deshalb, weil der Athmungsapparat durch das Alter gelitten hat (weiter und starrer, weniger gut ausdehnbar geworden ist) und darum das Athmen weniger gut von statten geht. Der Brustkasten ist starrer, weniger beweglich und nur mit Mühe zu erweitern, um Luft einzuziehen, seine Knorpel sind verknöchert und seine Muskeln abgemagert; die Lungen haben ihre Elasticität und Contractilität verloren, sind zu weit und ziehen sich mit weniger Kraft zusammen, so daß die Luft nicht gehörig aus ihnen herausgetrieben wird; das Zwerchfell, der hauptsächlichste Athmungsmuskel, ist schlaff und matt, was ebenso gut auf das Ein- wie Ausathmen nachtheiligen Einfluß ausübt. Gewöhnlich leidet die den Athmungsapparat auskleidende Schleimhaut an chronischem Katarrh und deshalb haben die meisten Greise Husten mit einem zähen, grauen Auswurf (trockenes oder Schleimasthma.) – Die Reinigung des Blutes durch Ausscheiden seiner alten unbrauchbaren Bestandtheile (Gewebsschlacken) geht im Greisenalter deshalb unvollkommener vor sich, weil die dazu bestimmten Organe, nämlich die Nieren und Lungen, die Leber und Haut, ihrer Altersveränderungen halber unthätiger sind. Natürlich muß auf diese Weise das Blut ungehörig mit schlechten Stoffen geschwängert, also unrein werden.

Der Blutlauf, mit dessen Hülfe das Blut nach allen Theilen des Körpers hingeschafft wird, von dem also die ganze Ernährung, Leben und Gesundheit, abhängig ist, geht im Greisenkörper deshalb nicht so ordentlich vor sich, wie in den früheren Lebensjahren, weil die der Blutcirculation vorzugsweise dienenden Organe, das Herz und die Blutgefäße, von Entartungen heimgesucht wurden, welche die Thätigkeit derselben stören. Das Herz schlägt matter und setzt sogar bisweilen in seinem Schlagen aus, weil sein Fleisch welk und schwach geworden ist; die Adern, zumal die Pulsadern, sind in ihren Wänden starrer, weniger fähig sich zusammenzuziehen und leichter zerreißlich (daher Blutungen); sie verstopfen sich nicht selten mit Blutgerinnseln und veranlassen dann Brand (Altersbrand, besonders an den Zehen).

Die wichtigsten Altersveränderungen, weil sie auf die sogenannten geistigen Thätigkeiten nachtheiligen Einfluß ausüben, betreffen nun aber das Nervensystem, welches bei vorrückendem Greisenalter in allen seinen Theilen nach und nach verkümmert. Das Gehirn, dessen Thätigkeit in Bildung des Verstandes, Gefühls (Gemüths, Selbstbewußtseins) und Willens besteht, schrumpft ein und wird kleiner (Hirnschwund), leichter und zäher, seine Höhlen erweitern sich und füllen sich mit Wasser, ebenso die Räume außerhalb des Gehirns, zwischen diesem und der Schädelwand (d. i. der Alterswasserkopf). Die Nerven werden, ebenso wie die Nervenknoten und das Rückenmark, dünner, zäher, trockener, weniger leitungsfähig. Deshalb sind aber auch alle Empfindungen, besonders die der Sinnesorgane (deren einzelne Theile ebenfalls noch materielle Störungen erleiden) weit stumpfer. Der Schlaf ist entweder sparsamer oder auch widernatürlich vermehrt, artet bisweilen sogar in eine Art Betäubung mit stillen Delirien aus.

Der Hirnschwund und der Alterswasserkopf, das sind nun, ihrer Einwirkung auf die geistige Thätigkeit wegen, die schlimmsten Altersveränderungen und die ärgsten Feinde, aber weniger des Greises, als der ganzen Menschheit, denn sie erzeugen im Greise eine so falsche Meinung von seinen eigenen Geisteskräften und seinen Fähigkeiten, daß dadurch sehr oft die Strebungen reifer kräftiger Geister gehindert und der Jugend altersschwache Ideen eingeprägt werden. Es hängt zwar im Greisenhirn das früher Erlebte und Erlernte noch ziemlich fest, weshalb sich auch die Erinnerung und Theilnahme der Alten immer mehr der Vergangenheit zuwendet und das Urtheil von vorgefaßten, eingewöhnten Meinungen beherrscht und gegen Neuerungen allzu mißtrauisch wird, – aber das Streben nach vorwärts, der Blick in die Ferne, das Interesse an der Gegenwart und am Weltlaufe, sowie ein unbefangenes Urtheil darüber, ist stets mehr oder weniger zu vermissen. Das Gedächtniß (zumal für das erst vor Kurzem Erfahrene und Gethane), die Fassungskraft und das Urtheil, die Entschlußfähigkeit und somit die Tüchtigkeit zu Geschäften werden immer schwächer, während die Schwatzhaftigkeit und Bedenklichkeit, der Eigensinn und die Hartnäckigkeit zunehmen. Die Phantasie ist erkaltet, die Erregbarkeit des Gefühls hat nachgelassen, die Affecte sind seltener und schwach, die Begehrungen beschränkt und ruhig; die Stimmung wird trüber und mürrisch und endlich erscheint das Kindischsein mit Vergeßlichkeit, Theilnahmlosigkeit, gänzlicher Stumpfheit der Sinne und selbst Blödsinn.

Diese von der materiellen Veränderung im Gehirn abhängigen geistigen Schwächen treten im Alter stets, bald früher bald später, bald in höherem bald in niederem Grade ein, Niemand wird davon verschont und darum wohl „Ehre dem Alter, aber nicht Macht.“ (Ueber die Krankheiten und die richtige Behandlung des Greisenalters später).

Bock.



Maler-Reise durch Sibirien.

Der Engländer Atkinson ist zum Vergnügen und um seine Mappe mit Bildern zu füllen, mehrere Tausend Meilen durch Sibirien gereist und hat ein starkes, vielfach und vortrefflich mit colorirten Landschafts- und Menschenbildern ausgestattetes Buch darüber geschrieben. Nach diesen Bildern (und auch oft nach dem Texte) zu schließen, ist Sibirien ein Paradies, wenigstens „fleckerweise“, wie wir Sachsen sagen. „Um den Bea-See herum fand ich,“ sagt er, „die unzweifelhaft schönsten Gegenden der Welt.“ Und wenn er richtig gezeichnet hat, muß man das sofort den Bildern gegenüber zugeben. Wir können ihn hier nicht überall hin begleiten, durch Semipalatinsk, wo sich die russischen Karavanen mit denen von Taschkent) und Kokan begegnen und Waaren austauschen, an den Ufern des Tendschis-See hin (Balkasch Nov), wo die Russen eine Dampfflotte sammeln, von welcher die Times ganz ernstlich für Indien fürchtet (bis Kokan soll es nicht weit und von da bis Peschawur, wo das englische Indien schon anfängt, blos 100 geographische Meilen weit sein), durch Strecken der Mongolen, chinesischer Tataren, kirgisische Steppen und Theile Central-Asiens; wir begnügen uns mit einzelnen Bildern aus der merkwürdigen, russischen Riesenwelt, in welche jetzt mit frischer Kraft und festem Plane Cultur und Unternehmungsgeist hineingetragen wird, vielleicht bis Indien und China, über welches das sibirische Rußland schon hinausreicht – bis an’s Meer. Sibirien ist schon von Natur sehr reich, reich an Gold und Silber, nützlicheren Erzen und Kohlen. Atkinson meint, Sibirien sei reicher an Kohlen, als irgend ein Theil der Erde. Er fand dicke Kohlenlager offen liegend über einander, sogar eine 30 Fuß dicke Schicht in den Altaigebirgen. Damit kann man der wüthendsten Tyrannei des Winters trotzen und Maschinen treiben und die Petersburger Treibhäuser, die Erdbeeren und Kirschen frisch vom Baume im Januar liefern, im großartigsten Maßstabe anlegen. An Platz fehlt’s ohnehin nicht in Sibirien. Und was für ein Sommer! Zwar blos einer von 128 bis 150 Tagen jährlich und oft auf einer 600 Fuß dicken Eisdecke, auf welcher der Boden oben blos drei bis sechs Fuß aufthaut, aber auf dieser Eisdecke ein schneller, tropischer Sommer, der eine vierzig- bis funfzigfache Cerealien-Ernte empor, in Blüthe und Frucht treibt und unabsehbare Oeden des Winters in berauschende Reseda-Prairien verwandelt. Das Merkwürdigste ist, daß in Sibirien tropische und arktische Natur sich vielfach begegnen, ja miteinander freundschaftlich vereinigen. Der Tiger haust in Wäldern, in welchen der arktische Bär sein Winterschläfchen macht, und bei Nertschinsk wächst der Pfirsich-Baum wild mit süßen Früchten neben der nordischen, weißen, keuschen Birke. In den Regionen des Baikal-See’s bekämpfen und lieben sich einander arktische und tropische Faunen und Floren, Thiere und Pflanzen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_065.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)