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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Redner, welcher der Buschmüller hieß und ein bekannter Wilddieb war.

„Er weiß um Alles und hat mir Verschwiegenheit gelobt. Wir können offen vor ihm reden.“

Die Unterhaltung drehte sich jetzt um die bevorstehende Erhebung des oberschlesischen Landvolkes. Die hier anwesenden Männer, deren Zahl eine ziemlich ansehnliche war, betrachteten sich gleichsam als die Vertreter der verschiedenen Dörfer. Sie hatten sich in der einsamen Waldschenke zusammengefunden, um die näheren Umstände unbelauscht und ohne Verdacht zu erregen, mit einander zu verabreden. Pawel erfuhr jetzt zu seinem Erstaunen die Existenz einer weitverzweigten Verschwörung, welche sich seit Wochen und Monaten über den größten Theil des flachen Landes erstreckte und einen allgemeinen Aufstand der Bauern gegen ihre Gutsherrn zum Zwecke hatte. Man war nur noch über die Zeit nicht einig und diese sollte festgestellt werden, auch fehlte es noch hier und da an zuverlässigen Führern. Eine solche Stellung wurde ihm angeboten und er dazu bestimmt, in seinem Dorfe die Leitung der bereits durch den Actuar aufgereizten und hinlänglich bearbeiteten Bewohner zu übernehmen.

„Bald wird es Dir nicht an Gelegenheit zur Rache fehlen,“ sagte dieser, seinen Schützling anfeuernd.

Pawel erklärte sich sofort bereit, die ihm zugedachte Rolle zu übernehmen. Sein Thatendrang fand endlich eine Gelegenheit, sich auszuzeichnen; und dieses Gefühl beherrschte ihn noch weit mehr, als sein Durst nach Rache. Oft hatte er in seinen einsamen Stunden am Schmiedeheerd über die Ungerechtigkeit des Schicksals geseufzt. In seiner Seele schlummerte eine dunkle Ahnung der angeborenen Menschenrechte, die er so frevelhaft an sich selbst und seiner Schwester verletzt sah. Zu der ihm angethanen persönlichen Beleidigung gesellte sich noch das Gefühl des allgemeinen Elends und der widerrechtlichen Knechtschaft, die seit Jahrhunderten schwer auf der ländlichen Bevölkerung lastete. Auch er hatte von der Cabinetsordre des Königs gehört, auch er theilte die verbreitete Meinung, daß die Edelleute sich gegen den ausdrücklichen Befehl des Herrschers auflehnten und die den Bauern verliehene Freiheit diesen vorenthalten wollten. Nicht gemeine und persönliche Motive, sondern weit mehr noch der Gedanke, dem Volke zu seinem Rechte zu verhelfen, machte Pawel geneigt, auf die Vorschläge seiner neuen Freunde einzugehen und zur Ausführung ihrer Pläne behülflich zu sein. – Einstweilen, bis zu dem festgesetzten Tage, hielt er sich in der abgelegenen Waldschenke auf den Rath des Actuars verborgen. Sobald seine Flucht bekannt wurde, ließ es der Verwalter nicht an Nachforschungen fehlen; dieselben blieben aber fruchtlos und Hartmuth mußte sich damit begnügen, seine Wuth an den unschuldigen Knechten auszulassen, denen er die Bewachung des Gefangenen anvertraut hatte. – Auch Jadwiga ließ er seinen Zorn empfinden, da er mit Bestimmtheit glaubte, daß sie um den Aufenthalt ihres Bruders wüßte. Er hütete sich jedoch vor jeder neuen Thätlichkeit, da er die Rache des Abwesenden fürchtete. Nach und nach, als die Verfolgung gegen ihn lässiger wurde, wagte sich Pawel aus seinem sichern Schlupfwinkel hervor. Zuerst benachrichtigte er seine Schwester von seinem Aufenthalte und sie flog sogleich herbei, beladen mit Lebensmitteln und Vorräthen, die sie sich selbst vom Munde abgespart hatte. Niemand gibt lieber und leichter, als der Arme, weil er weiß, wie weh der Hunger thut.

In der Nähe des Waldes lag eine Capelle, welche er ihr zum Ort des Stelldicheins bezeichnet hatte. Zu den Füßen der schmerzhaften Gottesmutter, von hundert Schwertern durchbohrt, saßen die Geschwister, und das zwar roh, aber nicht ohne Ausdruck gemalte Bild schaute auf die beiden Schmerzenskinder nieder. Jadwiga theilte dem Bruder die ihn betreffenden Ereignisse mit, ihre vergeblichen Bemühungen bei dem Baron, seine Freilassung zu bewirken, und das edle Benehmen Veronika’s bei dieser Gelegenheit.

„O! sie ist ein Engel, eine Heilige,“ sagte sie in schwärmerischer Begeisterung. „Sie ist seitdem noch mehrere Male bei mir gewesen und hat sich auch nach Dir erkundigt.“

„Sie war als Kind schon immer so gut und freundlich gegen mich,“ antwortete Pawel, in Gedanken versunken.

„Wenn Du sie gesehen hättest, wie sie für Dich bat, aber der Baron wollte sie nicht hören. Der ist härter noch wie Stein und ohne Erbarmen.“

„Er soll an mich denken. Die Zeit der Rache wird bald kommen.“

„Pawel!“ rief die Schwester erschrocken. „Ist es wahr, was die Leute im Dorfe sagen? Es geht etwas vor; die Männer wollen gegen den Baron Gewalt brauchen und Du sollst an ihrer Spitze stehen. Um Gotteswillen, mache Dich nicht noch unglücklicher, als Du ohnehin schon bist. Vor allen Dingen mußt Du mir versprechen, dem gnädigen Fräulein nichts zu Leide zu thun.“

„Wo denkst Du hin? Hat sie mir nicht helfen wollen, hat sie Dich nicht getröstet und Dir Geld für Deinen kranken Mann gegeben?“

„Schwöre mir bei der heiligen Jungfrau, die zu uns niedersieht, sie zu schützen.“

„Ich schwöre Dir. Was auch immer kommen mag, ihr soll kein Haar gekrümmt werden.“

Durch seine feierlichen Worte beruhigt, entfernte sich Jadwiga. Pawel blieb allein zurück, von den widersprechendsten Gefühlen bewegt. Bald dachte er an den Baron, dessen Härte er verwünschte, bald an das liebliche Bild Veronika’s, deren Andenken wieder in seiner Seele auflebte. Fast reute es ihn, sich so weit in das gewagte Unternehmen eingelassen zu haben, aber er konnte nicht mehr zurücktreten, da er sich durch einen Schwur gebunden hatte. Der Actuarius, welcher ihn zu suchen kam, beschwichtigte vollends jede Bedenklichkeit durch seine Ueberredungskraft.

„Heut’ in der Nacht geht der Tanz los,“ sagte dieser. „Wir machen den Anfang und zugleich stehen alle Dörfer in der ganzen Umgegend auf. Das soll ein Leben werden! Um Mitternacht brechen wir auf; die Bauern erwarten uns an der Ziegelscheune. Zuerst statten wir dem Verwalter einen Besuch im Vorübergehen ab und dann ziehen wir auf das Schloß, wo der Herr Baron uns kennen lernen soll. Freust Du Dich nicht, alter Bursche?“

„Gewiß!“ antwortete Pawel zerstreut.

„Also auf Wiedersehen um Mitternacht!“

(Schluß folgt.)




Ein brasilianischer Urwald.

Die Urwälder, welche als Zeugen der schöpferischen Kraft des neuen Continents in ursprünglicher Wildheit und noch unentweiht durch menschliche Einwirkung dastehen, nennt man in Brasilien jungfräuliche Wälder. In ihnen weht den Wanderer europäische Kühle an, und zugleich tritt ihm das Bild der üppigsten Fülle entgegen; eine ewig junge Vegetation treibt die Bäume zu majestätischer Größe empor, und noch nicht zufrieden mit diesen riesenhaften, uralten Denkmälern, ruft die Natur auf jedem Stamme eine neue Schöpfung von vielen grünenden und blühenden Parasiten hervor. Statt jener einförmigen Armuth an Arten in europäischen, besonders in nördlichen Wäldern, entfaltet sich hier eine unübersehbare Mannichfaltigkeit der Bildungen in Stämmen, Blättern und Blüthen. Fast ein jeder dieser Fürsten des Waldes, welche hier neben einander stehen, unterscheidet sich in dem Gesammtausdrucke von seinen Nachbarn.

Wenn wir es versuchen, ein Gemälde von dem Innern einer tropischen Urwaldung zu entwerfen, dürfen wir nicht vergessen, auf das Verhältniß aufmerksam zu machen, welches rücksichtlich des Selbsterhaltungstriebes zwischen den einzelnen Individuen stattfindet. Bei einer so großen Fülle von Leben und einem so kräftigen Ringen nach Entwicklung vermag selbst ein Boden, so fruchtbar und üppig, wie der hiesige, nicht die nöthige Nahrung in gehörigem Maße zu reichen; daher stehen jene riesenartigen Gewächse in einem beständigen Kampfe der Selbsterhaltung unter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_048.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)