Seite:Die Gartenlaube (1858) 035.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

II.

Trotz der scheinbaren Apathie, womit die Bauern die Behandlung Pawel’s mit ansahen, verfehlte doch das Ereigniß nicht, eine mächtige Aufregung in dem ganzen Dorfe hervorzurufen. Der Schmiedegesell hatte eine zahlreiche Verwandtschaft und war durch seine persönlichen Eigenschaften bei aller Welt beliebt. Mit einem gewinnenden Aeußern verband er eine große Gutmüthigkeit. Nie hatte er seine bekannte Körperkraft mißbraucht; er war im Gegensatz zu den andern Burschen des Dorfes so friedlicher Natur, daß er stets die Uebrigen von Händeln zurückhielt. Dabei übte er eine gewisse geistige Ueberlegenheit aus; er besaß jenen scharfen Verstand und die schnelle Fassungsgabe, welche weit öfter bei den oberschlesischen Bauern angetroffen wird, als man gewöhnlich glaubt. Freilich wird ihnen nur selten die Gelegenheit geboten, diese Gaben der Natur weiter auszubilden, und unter den drückenden Verhältnissen muß jeder bessere Keim zu Grunde gehen, wenn ihn nicht schon die angeborene Indolenz und Trägheit im Aufkommen hindert. Nur in einzelnen, begabten Naturen bricht das Licht der Seele aus den verhüllenden Wolken hervor.

Von Jugend auf zeigte Pawel einen Drang nach Erkenntniß, ein Streben, das er mit einer unter solchen Umständen bewunderungswürdigen Beharrlichkeit verfolgte. Er konnte nicht nur polnisch lesen, sondern auch schreiben und verstand sich in der deutschen Sprache ziemlich geläufig auszudrücken. Diese Wissenschaft verdankte er nicht dem noch heutzutage höchst mangelhaften Schulunterrichte, sondern weit mehr dem Zufall, den er zu benutzen verstand. Als Knabe fiel er durch seine körperlichen Vorzüge und eine gewisse Anstelligkeit dem katholischen Geistlichen des Dorfes auf, der ihn unter die Zahl der sogenannten Administranten aufnahm, welche während des Gottesdienstes kleine Verrichtungen verschen, das Weihrauchfaß schwingen und mit den Glöckchen zur Messe läuten. Diese kirchliche Stellung brachte ihn vielfach mit den Caplänen und dem Pfarrer in Berührung, deren Theilnahme vortheilhaft auf seine Bildung und Moralität einwirkte. – Sein Wohlthäter hatte sogar die Absicht, ihn studiren zu lassen und zum Theologen zu bestimmen. Leider starb derselbe, ehe er diesen Plan ausführen konnte, und Pawel, der unterdeß herangewachsen war, mußte sich entschließen, die Kanzel und den Beichtstuhl mit dem Ambos und dem Hammer zu vertauschen.

Auch in seiner neuen Lage bewahrte er jene Sehnsucht nach Erkenntniß, die er freilich jetzt nur wenig oder gar nicht befriedigen konnte. Jeder Unterricht hatte für ihn aufgehört; aber die Schmiede des Dorfes ist nächst dem Wirthshause der einzige Ort, wo ein lebhafter Verkehr stattfindet und ein gewisses Leben herrscht. – Hier kommen die Bauern zusammen und während der Meister und seine Gesellen den schadhaften Pflug oder den Wagen ausbessern, unterhalten sie sich über ihre Verhältnisse. Der Kutscher und die Bedienten des gnädigen Herrn bringen ein Pferd, um es beschlagen zu lassen, und theilen Neuigkeiten vom Schlosse mit. Zuweilen verirrt sich ein Reisender hierher, ein Hausirer mit seinem Gespann; der erzählt, wie es in der weiten Welt aussieht. –

So fehlte es Pawel auch hier nicht an Anregung und seinem lebhaften Geiste nicht an Nahrung. Er wurde wenigstens vor der Verdummung geschützt, welcher die meisten Landleute in ihrer Abgeschlossenheit und Beschränkung erliegen. – Mit gespannter Aufmerksamkeit horchte er auf all’ die Berichte, während er das Feuer schürte oder das glühende Eisen mit gewaltigen Streichen auf dem Ambos bearbeitete. Oft schaute er sinnend in die zuckenden Flammen, während der Blasebalg sauste, und träumte von einem andern Leben, von einem Schicksale.

Ein unbestimmter Thatendrang schlummerte in dieser halberwachten Seele; sie sehnte sich heraus aus dem engen Kreise, um ihre verborgenen Kräfte zu entfalten. Es gab Tage und Stunden, wo der einfache Schmiedegesell von einer Ahnung jener dem Menschen angeborenen Freiheit ergriffen wurde, welche gewaltsam an ihren Ketten rüttelt. Gedanken kamen und zogen an ihm vorüber, für die er keine Worte, keinen Ausdruck fand. – Vielleicht hätten die Zeit und der lähmende Einfluß seiner Umgebung auch diesen entzündeten Funken seines Geistes ausgelöscht, vielleicht wäre er auch der allgemeinen Stumpfheit seines Dorfes verfallen, wenn nicht die Ereignisse fast wider seinen Willen ihn fortgerissen hätten. Ein natürliches Rechtsgefühl und die Liebe zu seiner mißhandelten Schwester hatten ihn fast zum Mörder gemacht. Eine schwere Strafe erwartete ihn für seine unbedachte That. – Er lag jetzt in dem feuchten, dunklen Keller, der ihm vorläufig zum Gefängnisse angewiesen war. Anfänglich fühlte er nur die Erschöpfung, welche auf die höchste Anstrengung folgte, und den physischen Schmerz, den ihm seine Wunden verursachten. Die Hunde hatten ihn zerfleischt und die Stricke, mit denen er gebunden war, schnitten in die Muskeln seiner Arme. Zu diesen körperlichen Schmerzen gesellte sich das Gefühl der Demüthigung über die schimpfliche Behandlung, welche er erlitten. Er knirschte mit den Zähnen, wenn er daran dachte, und alle seine Gedanken athmeten Rache für den angethanen Schimpf.

Während Pawel solche Qualen duldete, sann seine Schwester, welche sich als die alleinige Ursache seines Unglücks betrachtete, auf Mittel und Wege, um den Bruder zu befreien. Nachdem sie in der Scheune schwer gearbeitet hatte, ging sie nach Hause, um nach ihrem kranken Manne zu sehen, und den Kindern das dürftige Abendbrod zu bereiten. Mit ihren Thränen benetzte sie das schwarze Brod, das sie für die Kleinen schnitt. Sobald der vom Fieber erschöpfte Kaziel und die Kinder schliefen, eilte sie trotz der späten Abendstunde auf das Schloß. Sie hoffte die Begnadigung ihres Bruders zu erlangen, da sie einige Zeit als Magd im Dienste des Gutsherrn gestanden hatte und daher ihm und seiner Familie persönlich bekannt war. Ihr größtes Vertrauen setzte sie auf das gnädige Fräulein, das Veronika hieß, und dessen Herzensgüte im ganzen Dorfe gepriesen wurde.

Der Baron von Koslowsky war der echte Typus eines oberschlesischen Edelmanns. Lebenslustig, gastfrei und von Herzen eher gutmüthig, als bös, besaß er eine überaus hohe Meinung von sich und seiner Stellung. Den größten Theil seines Lebens brachte er auf dem Lande zu; nur von Zeit zu Zeit fuhr er nach der benachbarten Kreisstadt, wo ihn seine Geschäfte hinriefen. Dort verkehrte er mit einigen jüdischen Kaufleuten, an die er sein Korn und seine Wolle verhandelte. Für die kleinen Vortheile, die er ihnen zuwendete, bezeigten sie ihm die tiefste orientalische Unterwürfigkeit. Ueber seine Bauern herrschte er unumschränkt, wie ein König; auf seinem Gute betrachtete er sich als die höchste und einzige Autorität. Sein Umgang bestand aus einigen gleichgesinnten Edelleuten, dem Pfarrer des Dorfes und dem Justitiarius, der in seinem Dienste stand, und daher nur selten oder nie dem Baron zu widersprechen wagte. Kein Wunder daher, daß er in seinen Vorurtheilen bestärkt wurde und kein anderes Gesetz kannte, als seinen Willen.

Das Schloß, welches er bewohnte, lag auf einer kleinen Anhöhe, und war ein großes stattliches Gebäude im Style des vorigen Jahrhunderts. Im Verhältniß zu den erbärmlichen Hütten der Bauern konnte es sogar imposant genannt werden. Diesem Eindrucke schadete nur eine gewisse Unsauberkeit und Vernachlässigung, welche man mit dem Namen der „polnischen Wirtschaft“ zu bezeichnen pflegt. So war die Mauer hier und da schadhaft, der Kalkbewurf abgefallen, ohne daß daran gedacht wurde, nur die geringste Ausbesserung vorzunehmen. Auf dem weiten Gehöfte trieb sich das Vieh ohne jede Aufsicht herum. Die Mitte desselben wurde von einem großen Tümpel eingenommen, auf dessen schmutzigschillerndem Wasser eine Entenheerde laut schnatternd schwamm, während in dem Morast des Ufers sich mehrere fette Schweine mit Behaglichkeit herumwälzten. Hohe Misthaufen lagen zu Bergen aufgethürmt und verbreiteten jene eigenthümlich ländliche Atmosphäre, welche den Städter zum schnellen Vorübergehen zwingt. Ein bei schlechtem Wetter fast bodenloser Weg führte zu dem herrschaftlichen Wohnhause. Nur der eine Flügel des weitläufigen Gebäudes war bewohnt, der andere dafür dem gänzlichen Verfalle überlassen, der sich durch eine Unzahl zerbrochener Fensterscheiben schon von außen ankündigte. Der Hausflur, mit Steinen gepflastert, befand sich jedoch in einem höchst gefährlichen Zustande; da man unterlassen hatte, die ausgefallenen Fließe durch neue zu ersetzen, so waren allerlei Löcher und Abgründe gebildet, welche bei dem mangelhaften schwankenden Lichte einer kleinen Oellampe in der Dunkelheit schon manchen arglosen Fuß zum Fallen gebracht.

In der ersten Etage lagen die Staats- und Empfangszimmer des Barons und seiner Familie, die aus seiner Tochter und einer bejahrten Schwester bestand, welche seit dem Tode seiner Frau die Oberaufsicht führte. Tante Kascha, die polnische Abkürzung für Katharina, war eine resolute Dame mit fast männlichen Zügen, zu denen noch ein schwarzer Schnurrbart kam, um den sie ein

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_035.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)