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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 3. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Kranken-Engel.
Novelle von Max Ring.


I.

Es war im Jahre 1811 am frühen Morgen, als der Verwalter Hartmuth auf einem oberschlesischen Vorwerke die zur Arbeit für die Gutsherrschaft verpflichteten Bauern musterte und jeden bei dem Namen aufrief, um sich von seiner Anwesenheit zu überzeugen. Die in Preußen damals bestehende Erbunterthänigkeit war noch nicht aufgehoben, obgleich eine dahin zielende Cabinetsordre bereits erlassen und der Termin für dieselbe festgestellt war. Die ländliche Bevölkerung hatte von diesem wohlwollenden Vorhaben der Regierung unbestimmte Kenntniß erlangt und in ihrer Weise die ausschweifendsten Hoffnungen daran geknüpft. In der Dorfschenke wurde diese Angelegenheit lebendig hin und her besprochen. Die Mehrzahl dieser polnischen Bauern hielt sich von allen Verpflichtungen gegen ihre bisherigen Herrn frei; sie glaubten, daß ihnen widerrechtlich die noch zu leistenden Dienste zugemuthet würden. Es bedurfte nur eines geringen Anlasses, um eine offene Empörung hervorzurufen. Der Verwalter Hartmuth war von Natur ein strenger und jähzorniger Mensch; der kleinste Widerspruch konnte ihn in Wuth versetzen.

„Anton Kaziel!“ rief er mit lauter Stimme zum zweiten Male, da er keine Antwort erhalten hatte.

Statt des Gerufenen trat eine blasse, abgezehrte Frau in der dürftigsten Kleidung und demüthigsten Stellung hervor. Nach slavischer Sitte beugte sie sich, um den Rockschooß des gnädigen Herrn Verwalters zu küssen.

„Verzeihung!“ bat sie mit schwacher Stimme, „aber mein Mann ist krank; er liegt am Fieber und kann nicht aufstehen.“

„Ich kenne das,“ entgegnete der Verwalter finster. „Eure Krankheit ist die Faulheit, aber ich werde Euch schon curiren. Diese Medicin ist die beste für solch’ Gesindel, wie Ihr Alle seid.“

Dabei schwang er den gewichtigen Ochsenziemer, den er in seiner Hand hielt. Ein dumpfes Murmeln in dem Kreise der anwesenden Bauern wurde hörbar und reizte den Wüthenden nur noch mehr, statt ihn einzuschüchtern.

„Wer wagt es,“ schrie er laut, während das aufsteigende Blut sein gewöhnlich rothes Gesicht ganz dunkel färbte, „hier ein Wort zu sprechen? Den Ersten, der sich muckt, lasse ich in’s Loch werfen und ihm fünfundzwanzig aus dem Pfeffer und Salz aufzählen. Ihr wißt, daß ich Wort halte.“

Die Drohung des großen und starken Mannes, so wie die angeborene Furcht verfehlten auch diesmal ihre Wirkung nicht. Die Roboter ließen ihre Köpfe hängen und beugten sich vor der gewohnten Autorität. Als der Verwalter seine Augen im Kreise herumschweifen ließ, begegnete er nur dem Ausdrucke der alten, stupiden Unterwürfigkeit. Nur im Innern seiner Untergebenen knirschte der Haß, welcher sich nicht offen zu zeigen wagte. Nachdem die Ruhe auf diese Weise wieder hergestellt war, wandte sich Hartmuth gegen die arme Frau.

„Gut,“ sagte er mit rauher Stimme, „wenn Dein Mann krank ist, so mußt Du an seiner Stelle hier bleiben und seine Arbeit thun. Die Herrschaft kann und darf nicht darunter leiden.“

„Lieber, gnädiger Herr!“ flehte die Frau. „Das werden Sie doch nicht im Ernst verlangen. Mein Mann kann sich nicht von der Stelle rühren. Wer soll ihn pflegen, ihm einen Trunk reichen, wenn ich nicht zugegen bin? Und die Kinder, meine armen Kinder; sie müssen hungern und verkommen, wenn ich mich nicht um sie kümmere.“

„Das geht mich nichts an. Zum Teufel! Wer heißt Euch so viele Kinder in die Welt setzen, die Ihr nicht einmal zu ernähren wißt! Marsch! in die Scheune mit den Dreschern und wenn Du nicht Deine Schuldigkeit thust, so sollst Du mich kennen lernen!“

„Um des Himmels willen, sein Sie barmherzig! Ich muß nach Hause. Mein Mann wird ja gern, wenn er erst wieder gesund ist, doppelt so viel arbeiten und das Versäumte reichlich einbringen.“

Die geängstigte Frau umschlang mit ihren schwachen Armen die Kniee des Verwalters, um ihn zurückzuhalten, da er sich zum Fortgehen anschickte. Hätte er nur ihr bleiches, bekümmertes Gesicht gesehen, so würde er vielleicht milder gewesen sein. Aber der Widerstand, den er von ihrer Seite zu finden glaubte, versetzte ihn auf’s Neue in Wuth. Er wollte sich losreißen und da sie ihn noch immer festzuhalten versuchte, so stieß er sie mit Heftigkeit von sich. Sie fiel und unglücklicher Weise mit dem Kopfe gegen einen großen Stein, der in der Nähe lag. Als sie so niederschlug, erhielt sie eine große Wunde und das Blut rieselte in warmen, rothen Strömen über ihr dunkles Haar und die bleiche Stirn. Regungslos lag sie auf dem Boden; die umstehenden Bauern waren stumm vor Entsetzen und auch der Verwalter selbst schien seine vorschnelle That zu bereuen. Einige anwesende Frauen beugten sich mitleidig zu der Ohnmächtigen herab und bemühten sich, sie in’s Leben zurückzurufen.

In diesem Augenblicke trat ein junger Mann von kräftiger Gestalt aus der benachbarten Schmiede, welche zu dem Hofe gehörte. In seiner schwieligen Faust trug er noch den gewichtigen Hammer, womit er so eben ein Pferd beschlagen hatte. Eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_033.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2018)