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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Beuth in seiner curiosen Rüstung, Lützow’s Brüder Leo und Wilhelm, sein Schwager Graf zu Dohna, die braven Petersdorff’s, Palm, Tümmel, Ennemoser, Friedrich Förster, Meckel, August v. Vietinghoff und endlich Friedrich Friesen, der edle, schöne, blonde Jüngling, mit den feinen, fast mädchenhaften Zügen, welcher von allen, die ihn kannten, heißgeliebt wurde, „an Leib und Seele ohne Fehl, voll Unschuld und Weisheit, beredt wie ein Seher, eine Siegfriedsgestalt von großen Gaben und Gnaden,“ wie ihn Jahn beschreibt, „ein lichter Schönheitsstrahl,“ wie Arndt ihm gesungen. Früh raffte ihn der Tod in den Ardennen dahin, und Elisa klagte lange um dieses edlen Lützower’s Verlust, der ihr mehr als alle Anderen lieb gewesen war. – O, dies war eine große Erscheinung in jener großen Zeit, und wir wollen hoffen, daß sich in Zeiten der Gefahr wieder freie Lützower finden und ein Weib, das sie zu edlen Thaten begeistert!


II.

Der Befreiungskampf war aus; ein Freiheitskampf war es nicht gewesen! Aus war es mit dem Klang der Schilde und der Schwerter, mit glühenden Liedern, mit Begeisterung und Hoffnung! Das Volk flickte seine Wunden zu und brütete; man dankte in schönen Erlassen und freute sich, daß die Throne wieder fest standen.

Die Gattin Lützow’s, die Braut der verwegenen Jagd, sehnte sich nach einem anderen Ideal, als nach dem begrabenen; eine glühende Liebe bildete sich bei Immermann für sie heran, und allmählich ward ihr das Verhältniß zu ihrem Gatten zu prosaisch. Lützow selbst, vielfach zurückgesetzt und verstimmt über den Undank des Staates, dem er gedient, sah in seinem Weibe nicht mehr die hochherzige, schwärmerische Geliebte von ehemals; eine Spannung beider trat ein, und die beiden Gatten ließen sich 1825 scheiden, ohne jedoch die freundschaftlichen Beziehungen zu einander abzubrechen. Lützow, im Grame um den Leichtsinn, mit dem er sich von Elisa hatte scheiden lassen, starb 1834.

Seine Gattin nahm nach der Scheidung ihren Familiennamen, Gräfin von Ahlefeldt, wieder an, und wurde die treue Freundin des deutschen Dichters Immermann, des Verfassers von „Münchhausen.“ Immermann, der durch der Geliebten Nähe einen reichen Dichterfrühling gefunden hatte, bot der Theuren wiederholt seine Hand an; aber sie konnte sich zu einer zweiten Ehe nicht entschließen, und blieb dem Dichter eine liebende Freundin, eine treue, sorgende Gefährtin, eine reiche, anregende Muse. Sie war mehr phantastisch, als leidenschaftlich, und dachte es sich schön, einem begabten Dichter in seiner Art sein Dasein zu versüßen. So lebte sie mit Immermann zu Düsseldorf in einem reizenden genußvollen Stillleben. Aber diese ihres Zieles verfehlende Liebe, konnte Immermann auf die Dauer nicht genügen; er lernte ein anderes Mädchen kennen und verheirathete sich endlich mit demselben. Bitter getäuscht, schied nun die Gräfin Ahlefeld aus seinem Hause. Immermann selbst aber starb in der besten Kraft bald nach dem Verlassen seiner Muse.

Gräfin Ahlefeldt lebte nach einer italienischen Reise bis zum März 1855 in Berlin, und hielt dort einen jener literarischen Cirkel, die das Geistesleben geistreicher und edler repräsentirten, als die Mode gewordenen cominerzienräthlichen Soireen. Ueber Vieles enttäuscht und oft von ihrer Phantasie und ihren Idealen betrogen, starb dies seltene, hochherzige und geistvolle Weib am 20. März 1855, betrauert von Vielen als edles Gebild der Weiblichkeit und als die frühere schöne Braut des schwarzen Gesellen-Corps.

E. Schmidt-Weißenfels.




Blätter und Blüthen.


Carnevale. Vor einigen Jahren wurde das Lesezimmer der Bibliothèque Royale in Paris von einer Person häufig besucht, deren seltsame Tracht die Aufmerksamkeit eines jeden Gegenwärtigen auf sich zog. Sie war einmal in rothes, das andere Mal in blaues oder gelbes Tuch vom Kopfe bis zu den Füßen gekleidet, um den Hals hing eine Schnur mit einem Orden und der Hut war geschmückt mit künstlichen Blumen, Perlen und anderem Flitter. So oft diese Person kam, setzte sie sich an einen besondern Platz und schien voll Aufmerksamkeit zu lesen. Es war ein Mann, der sich dem Greisenalter näherte, und die Furchen seines Gesichts erzählten von tiefem Leid, das die Neugierde, wer er wohl sei, steigerte. Fragte man, so war die kurze Antwort: „Es ist Carnevale“ Denn die gewöhnlichen Besucher der Bibliothek meinten, seine Geschichte sei aller Welt bekannt,

Carnevale war aus einer sehr achtbaren Familie in Neapel. Im Jahre 1826 kam er als junger, hübscher und sehr wohlhabender Mann nach Paris. Mit solchen Vortheilen fiel es ihm nicht schwer, in der Gesellschaft Zutritt zu erlangen, und seine Landsleute empfingen ihn mit offenen Armen. Plötzlich jedoch verschwand er, Niemand wußte, wo er war, bis man später entdeckte, daß er ein Mädchen liebe und sich zurückgezogen habe, um unbelästigt ihre Gesellschaft zu genießen. Doch sein Glück war von kurzer Dauer, das Mädchen starb und ihr Tod raubte dem Armen nicht blos das ihm Theuerste, sondern auch den Verstand.

Als er sich einigermaßen von dem heftigen Schlage erholt hatte, ging er täglich zum Grabe und weinte und betete. Der Wächter des Kirchhofs bemerkte, daß er bei jedem Besuche ein Papier in Form eines Briefes hervorzog und unter den Stein legte. Dies wurde den Freunden Carnevales bekannt, einer von ihnen ging zum Grabe und fand fünf Briefe, gerade so viel, als Tage seit dem Begräbnisse verflossen waren. Der letzte lautete:

„Theuerste! Du antwortest mir nicht und doch weißt Du, daß ich Dich liebe. Hast Du mich vergessen in Mitte der Beschäftigungen im Jenseits? O, das wäre ungütig, sehr ungütig! Aber fünf Tage, fünf lange Tage sind verflossen ohne Antwort, ohne Nachricht von Dir. Ich kann nicht schlafen, und schließe ich die Augen auf einen Augenblick, so träum’ ich von Dir.

Warum ließest Du nicht Deine Adresse zurück? Ich würde Dir Deine Kleider und Bijouterien senden. – Doch nein, schicke nicht nach ihnen; aus Erbarmen lasse sie mir. Ich habe sie auf Stühle gelegt und bilde mir ein, Du seiest im Nebenzimmer und daß Du bald eintrittst, um Dich zu kleiden. Außer diesen Sachen, die Du getragen hast, ist auch mein kleines Zimmer durchduftet; und das macht mich glücklich, wenn ich eintrete. – Ich wollte, ich hätte Dein Bildniß so recht ähnlich, so daß es wetteifern könnte mit dem, das ich schon habe. Dieses ist in meinen Augen und kann nie sich ändern Ob ich die Augen offen oder zu habe, ich sehe Dich stets. Heißgeliebte, wie geschickt ist der Künstler, der mir dieses Bildniß ließ. – Lebewohl, Einzige! Schreibe mir morgen oder heute, wenn Du kannst. Bist Du sehr beschäftigt, so schreibe mir wenigstens eine Zeile oder auch nur drei Worte. Sage mir, daß Du mich liebst.“

Seine Freunde meinten, er sei nur von tiefer Melancholie ergriffen, die mit der Zeit schwinden würde, und ersuchten den Wächter des Kirchhofs, die Briefe sogleich wegzunehmen, so bald Carnevale sie hingelegt haben würde; aber das Resultat war ein anderes, als sie erwartet hatten. Er fiel in. düstre Verzweiflung, als er von der Geliebten keine Antwort erhielt, und besuchte nicht weiter den Kirchhof.

Um diese Zeit war es, daß er auf den Boulevards bei einem Tuchhändler allerlei Tuch von Heller Farbe bemerkte. Er lächelte, trat in den Laden und kaufte mehrere Ellen von jeder Sorte Tuch. Eine Woche darauf erschien er in den Straßen völlig in Roth gekleidet; Hut, Rock, Weste, kurz alles war roth und von phantastischem Schnitt. Viele Leute sammelten sich um ihn und wohl fünfhundert Personen hängten sich an seine Fersen. Am nächsten Tage betrat er die Straße in Kleidern von gelber Farbe, einen Tag später in hellblau, stets gefolgt von einer gaffenden Menge. Doch bald wurden die Pariser seines Anblicks gewohnt und zuletzt sahen nur Fremde auf ihn. Man bemerkte jedoch, daß er sich nach der Stimmung seines Geistes zu kleiden schien; in der rothen Farbe erschien er immer am heitersten.

Während der Revolution von 1830 hätte seine sonderbare Kleidung ihm bald den Tod zugezogen. Da er nie eine Zeitung las, nie auch mit Andern sich in Gespräch einließ, so wußte er auch von der ganzen Bewegung nichts. Als er am 28. Juli längs den Quais ging, traf er mit Insurgenten zusammen, die ihn für einen fremden Prinzen hielten, wegen des Ordens an seiner Schnur. Schon faßte man ihn, um ihn in die Seine zu werfen, als Jemand ihn erkannte und befreite. Es fiel schwer, ihm verständlich zu machen, in welchem Zustande Paris sich befände und daß er sich anders zu kleiden habe. Als er sich aber wieder schwarz trug, verfiel er auch wieder in Trauer. Er fühlte sich wieder beunruhigt, erinnerte sich wieder des Verlustes seiner Geliebten und seine Vernunft, die er täglich mehr schwinden fühlte, gab ihm ein, sich nach dem Hospital von Bicêtre zu begeben und der Behandlung der Aerzte zu unterwerfen. Diese erstaunten nicht wenig, den Wahnsinnigen so ruhig über seinen Zustand reden zu hören.

„Schicket nach meinen hellen Kleidungsstücken,“ sagte er eines Tages.

Man that es, und sobald er seine Kleidung wieder an hatte, erlangte er auch wieder seine alte Heiterkeit.

„Die schwarzen Kleider machten mich krank,“ sagte er. „Welche Thoren seid Ihr, solcher häßlichen Mode zu huldigen. Was mich betrifft, so bin ich am heitersten in Roth, es steht mir so gut und außerdem wissen meine Freunde, was das zu bedeuten hat. Sehen sie mich in Roth, sagen sie: Carnevale ist heute gut gelaunt; bin ich das nicht, so kleide ich mich gelb, das sieht auch hübsch aus; fühle ich mich jedoch etwas melancholisch, so ziehe ich mich blau an.“

Als er das Hospital verließ, fand er, daß sein Vermögen sich gemindert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_031.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)