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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Sprache, welche die Mutter derselben geredet hatte. Nach und nach ging sie zu dem Dialekt über, in dem die Unbekannte bei ihrer Ankunft in Offenbach sich ausgedrückt hatte, und die letztere vergaß die magyarische Schriftsprache ganz. Unterricht in der Religion, im Lesen und Schreiben u. s. w. erhielt sie gar nicht. Als sie an den häuslichen Arbeiten des Kochens, Waschens u. s. w. theilnehmen wollte, versagte ihr Bertha ihren Wunsch. Daß sie, wenn Bertha in der Küche das schmutzige Geräth reinigte, in ihre Stube eingeschlossen wurde, was sonst, außer bei Eleasars Anwesenheit, nie geschah, sollte ihr vielleicht die Lust an dem Erlernen solcher Arbeiten benehmen. Das Stricken durfte sie erlernen und, brachte es darin, obgleich ihr nie eine Aufgabe zugewiesen, auch kein Zwang irgend einer Art gebraucht wurde, zu der großen Geschicklichkeit, die in Offenbach so viel Aufsehen erregte. Vom Nähen lernte sie nur so viel, als man zu wissen braucht, um Hefteln und Häkchen befestigen zu können. Auch Bertha beschäftigte sich nicht mit Nadelarbeiten, aber die nöthigen Kleider waren immer zur rechten Zeit da. Caroline vermuthet daher, und gewiß mit Recht, daß Eleasar, der auch die zum Stricken nöthige Wolle und Baumwolle besorgte, sie gebracht habe.

So außerordentlich Carolinens geistige Entwickelung vernachlässigt, ja geflissentlich gehemmt wurde, so gewissenhaft wurde für ihre körperliche Pflege gesorgt. Bertha hielt sehr auf Reinlichkeit, in den Zimmern so gut wie bei ihrer Pflegebefohlenen. Wöchentlich zweimal mußte diese das Taghemd und einmal das Nachthemd wechseln, alle acht Tage badete sie in einer hölzernen, von breiten und schwarzen (eisernen) Reifen umgebenen Bütte. Ihre Nahrung war reichlich und gut, wenn auch nichts weniger als fein. Ihr Frühstück bestand jeden Tag in Schwarzbrod und Schweinefleisch mit Babrika (paprika, spanischem Pfeffer) und war so reichlich, daß sie es niemals verzehren konnte. Was übrig blieb, behielt sie in ihrer Stube und konnte davon während des ganzen Tages nach Belieben genießen. Die Mittagskost bestand in Suppe, Gemüse und Fleisch, gewöhnlich Hammelfleisch. Das Abendessen war entweder der Rest des am Mittag Uebriggebliebenen oder frische Suppe und Fleisch. Als Getränk diente Wasser, das Bertha über der Erde holte. Thee und Kaffee wurde ihr nicht gereicht, Milch selten und dann stets gekocht. Quantität und Qualität ihrer Nahrung wußte Caroline in Offenbach nicht genug zu rühmen. In der kalten Jahreszeit wurden lebende, zur Nahrung bestimmte Thiere in die Waldhöhle gebracht. Es waren Gänse, welche dort, um sie fett zu machen, mit „Kukeriza“ (Kukoricza, Mais) gestopft (genudelt) wurden. Bei diesem Geschäft durfte Caroline hülfreiche Hand leisten. Das Fett brauchte Bertha zum Schmalzen der Speisen, das Fleisch salzte sie roh ein, damit es später gekocht verzehrt werde.

Die Tagesordnung war, wie sich leicht denken läßt, die einförmigste von der Welt. Caroline stand sehr früh auf, um vier Uhr, nach ihren Offenbacher Gewohnheiten zu schließen. In ihrer Höhle kannte sie die Stunden nicht, obgleich in Bertha’s Stube eine Wanduhr hing und im Gange erhalten wurde. Sie glaubte, daß diese Uhr, deren schwingender Pendel ihr viele Freude machte, lediglich um dieser schönen Bewegung willen gehalten werde. Nachdem sie aufgestanden war, wozu Bertha durch Klopfen an die Thür das Zeichen gab, zog sie sich an. Die Wärterin brachte dann eine brennende Oellampe von weißem Blech und Waschwasser, worauf sie, wenn es kalt war, den Ofen heizte. Hatte Caroline sich gewaschen, so kämmte, flocht und ordnete Bertha ihr das Haar. Die letztere machte dann das Bett und reinigte die Stube. Caroline begann nun zu stricken und setzte diese Beschäftigung den ganzen Tag fort. Die gewöhnlich vorkommenden Abwechselungen waren das Aufheben und Zulegen des Deckels über dem Fenster, das Auslöschen und Anzünden der Oellampe, wenn der Tag erschien oder verschwand, und die verschiedenen Mahlzeiten. Einige Stunden nach der letzten entkleidete sich Caroline und ging zu Bett.

Da Bertha nur in den Zeiten, wenn Eleasar zugegen war, Carolinen in ihrem Zimmer eingeschlossen hielt, so hatte sie ohne Zweifel den Befehl, dies immer so zu halten. Ihr gutes Herz, das sich in ihrem ganzen Benehmen kundgibt, ließ sie von dieser Weisung abgehen. Ihr Ungehorsam hatte aber seine Grenzen. Daß Caroline den Gang, zu dessen Seiten die beiden Zimmer lagen, weiter verfolgte oder den Keller betrete, litt sie nicht. Wenn ihre Pflegebefohlene etwas in den Keller zu reichen hatte, mußte sie auf der halben Treppe stehen bleiben. Auf der andern Seite verließ sie mit Carolinen an manchen Tagen die unterirdischen Gemächer, um unter Gottes freiem Himmel Luft zu schöpfen. Diese Aufgänge wurden bei gutem Wetter an jedem Nachmittage unternommen, nachdem Bertha mit ihren häuslichen Arbeiten fertig war. Wurde Eleasar erwartet, so waren die Spaziergänge von kurzer Zeitdauer, anderen Falles währten sie länger. Weit haben sie, nach allen Mittheilungen zu schließen, an keinem Tage geführt. Etwa fünfzig bis sechzig Schritte von der Waldwohnung entfernt trat eine Quelle hervor, aus der Bertha das Trinkwasser schöpfte. Etwas weiterhin standen drei große Aepfelbäume mit vielen und dicken Aepfeln, von denen Caroline nach Belieben essen durfte. Mehrere hundert Schritte von der Wohnung entfernt lag ein langer Stein, auf den die beiden Spaziergängerinnen sich zuweilen setzten und ihr unaufhörliches Stricken fortsetzten. Jene Aepfelbäume waren die einzigen, welche Caroline jemals blühen sah. Erschienen die Blüthen, dann sagte Bertha: „Nun bist Du ein Jahr älter geworden!“ Außer der grünen Erde, dem Wald und dem Himmel sah die Gefangene nichts, weder ein Feld, noch eine Wiese, noch ein Haus. Aber Vögel verschiedener Art nahm sie wahr, auch kleine rothe Geschöpfe, die schnell auf die Bäume und von einem Baume zum andern sprangen, also Eichhörnchen, zuweilen noch größere graue Thiere mit vier Beinen, vermuthlich Rehe und Hirsche. Bertha hatte außerdem einen Hund, den sie Uedusch rief, und drei graue Katzen.

Der Aufenthalt Carolinens in der unterirdischen Wohnung hatte ungefähr sieben bis acht Jahre gedauert, als sie Gesellschaft erhielt. Eines Tages brachte Bertha auf einem Tragkissen einen Knaben, den sie Adolf nannte, in ihr Zimmer. Wahrscheinlich hatte Eleasar den Knaben, der zwei bis drei Monate alt gewesen sein soll, gebracht. Er bewohnte mit Carolinen dieselbe Stube und wurde so gut wie sie, natürlich seinem Alter angemessen, verpflegt. Bertha fütterte ihn in der ersten Zeit mit „Speise, von Mehl gekocht“ und ließ ihn aus einem länglichen Saugglase Milch trinken. Jetzt brannte die ganze Nacht ein Licht, das nicht hell war, wie die Oellampe. Caroline wurde mit seiner besondern Wartung beauftragt und trug ihn Nachts, wenn er schrie, im Zimmer herum. Als er älter geworden war, erhielt er statt der Wiege ein Bett und dieselbe Speise wie Caroline. Wenn diese mit Bertha in den Wald ging, war Adolf immer dabei. Sie beschäftigte sich sehr gern mit ihm, so lange er ein kleines Kind war, später wurde er ihr gleichgültiger und sie strickte nun wieder lieber.

Sechzehn Jahre mochte Caroline unter der Erde gelebt haben, als ihr Schicksal plötzlich eine andere Wendung erhielt. Bertha schnitt ihr das Haar ab, das sehr lang geworden war, da man dasselbe nicht ein einziges Mal gekürzt hatte. Acht Tage später legte die Wärterin wärmere Kleider als die gewöhnlichen für sie zurecht, mit dem Bedeuten, daß sie dieselben am andern Morgen anziehen solle. Dann wurde sie mit Adolf eingeschlossen, weshalb sie vermuthete, daß Eleasar anwesend sei. Am andern Morgen wurde früh geklopft, und Bertha, ebenfalls wärmer gekleidet, trat in’s Zimmer. Diese sagte ihr: „Komm’, liebe Karlinka, wir gehen zur lieben Mama, wovon ich schon immer gesagt habe.“ Caroline, die sich noch immer nach der Mutter sehnte, hatte sich bereits angekleidet und erhielt von der Wärterin noch die beiden Ohrringe und das Medaillon aus der Kommode. Bertha ergriff eine mit Kleidern gefüllte Reisetasche und so verließ man die Wohnung; Adolf, von dessen fernerem Schicksale Caroline nichts weiß, blieb zurück.

(Fortsetzung folgt.)


Die Berliner Wasserwerke.

Wer in dem heutigen Berlin durch eine der vielen Straßen wandert, hat wohl keine Ahnung, daß unter dem Steinpflaster ein vollständiges System von Canälen und Röhren verborgen liegt, die gleich den Adern und den übrigen wunderbaren Gebilden des menschlichen Körpers den größten Anspruch auf unsere Bewunderung haben. Die große Stadt gewinnt dadurch immer mehr das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_027.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)