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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

wieder bekommen“, wie sich der Mann ausdrückt. Um dabei auch etwas wissenschaftliche Einsicht zu bekommen, fragen wir den Mann bald nach Diesem, bald nach Jenem.

„Wie macht ihr’s eigentlich, um aus diesen engen Gängen und Schluchten jährlich beinahe 2000 Tonnen Kohlen zu ernten?“

Er zeigt mit dem Daumen rückwärts auf einen eckig hervorragenden Felsen und erwidert:

„Wir treiben durch die verschiedenen Strata (geologischen Schichten) und durchschneiden dabei die einzelnen Kohlenbetten. In der jetzigen Tiefe haben wir 21 solcher Betten innerhalb einer Dicke von 600 Yards durchschnitten. Dies sind die weit berühmten unteren Lager von Süd-Wales, mit welchen alle die großen Kohlen- und Eisenbetten von Wales parallel liegen. Hier haben wir bis jetzt Kohlenschichten von 72 Fuß Durchmesser zusammen; 61 Fuß davon vertheilen sich in Betten von je 3 Fuß und mehr. Jeder Fuß Kohle, über einen Morgen ausgedehnt, enthält ungefähr 1500 Tonnen. Zwar sind sie nicht alle verwerthbar, wenigstens bis jetzt nicht, doch sind’s immer Kohlen, die mit wohlfeileren Erhebungsmitteln noch verkäuflich sein werden. Wenn die Lager oder Betten sich gut flach und eben ausbreiten, so daß wir gleich nach allen Richtungen hineinarbeiten können, bekommen wir auch manchmal 1000 Tonnen los und in die Höhe.“

Auf die Frage, wie es mit der Unverwerthbarkeit mancher Kohlenbetten stehe, gibt er mir folgende Auskunft:

„Für unsereinen hier unten sind sie alle so ziemlich gleich, aber oben beim Verbrennen nicht. Da hab’ ich ein Bischen weiter oben ein Bett, das hat eine zu feste Decke, die nicht losläßt von den Kohlen. Wenn die Leute oben nun Kohlen aus diesem Stratum bekommen, so schreiben sie: I, da habt ihr mir ja nichts geschickt, als Steine! Andere Kohlenschichten enthalten zu viel Schwefel, die, in Haufen gelassen, sich leicht von selbst entzünden. So müssen wir sie liegen lassen. Wenn nicht, schreibt uns der Händler oder Consument: Na, da habt ihr mir ja Kohlen geschickt, die rosten wie ein altes Hufeisen und fortwährend begossen werden müssen, um sie schwarz zu halten. Ein Anderer drückt sich manierlicher aus und schreibt: Sie haben mir keine Kohlen geschickt, sondern Schlacken! – Kohlen aus wieder andern Betten geben zu viel Asche, noch andere sind zu „frei“ und wollen nicht zusammenhalten, wieder andere haben Scheiden in sich. Kurz, Gentlemen, Sie können’s mir glauben, die rechte Sorte von Ding ist nicht so leicht zu haben.“

„Was sind das für Scheiden, die manche Lager in sich haben?“

„Scheiden, Sir? Ja, daran erkenne ich die Ansicht der Oberwelt. Sie denkt, die Kohlen liegen so nur eben da, solid und einig. Weit davon wird’s erst richtig. Es gibt sehr selten Schichten ohne dazwischen sich hinziehende andere, fremde Substanzen, größtentheils parallel mit deren Ebene und durchweg, manchmal blos ’n Messerrücken dick, manchmal ’n Fuß oder ’n Zoll, wie’s sich eben findet. Dann kommen auch mitten in der Schicht Eisensteine und „shale“[1] vor und dann verkaufen sie sich besonders schlecht. Manche Scheidungen sind klafterndick und machen aus einem Bett zwei. So hat unsere Arbeit manche Schwierigkeit.“

„Und wie arbeitet man denn nur eigentlich?“

„Das ist verschieden, Gentlemen! Hauptsächlich doppelt, nämlich: „stall and pillar“ das ist eine Art, und dann „long wall“. Die Abstallungs- und Säulenmethode (stall and pillar) besteht darin, daß man blos einen Theil der Kohlen aushackt und die übrigen in Säulen und Abtheilungen zur Tragung der Erdrinde darüber stehen läßt, bis rückwärts gearbeitet wird. Dann schlägt man nämlich das Säulen- und Tragewerk los und läßt, retirirend, die ausgebeuteten Höhlungen zusammenfallen. Solche Districte heißen dann goafs. Die Lange-Wand-Methode (long wall) schafft die benutzbaren Kohlen alle auf einmal weg, so daß auf beiden Seiten lange Wände entstehen, welche die Höhlung in natürlichen Bogen tragen. Für beide Arten der Bearbeitung ist es nothwendig, den Boden in ebenen Driften zu halten, mit Eisenschienen zu belegen und die Kohlen so zu entfernen. Diese ebenen Driften sind zugleich Luftwege der ganzen Mine, neben welchen die Wasserwege besonders angelegt werden.“

Unser Mentor und Führer, der während der Zeit fast stets an dem Dochte seiner Davy-Lampe herumdoctert, fordert uns nun auf, ihm weiter zu folgen, da er voraussetzt, daß wir nun unsere Augen für die Unterwelt bekommen haben. Ganz gewiß. Wir hätten eine Nadel auf dem Boden gesehen. Wir folgen ihm gebückt.

„Keine Furcht für den Kopf,“ ruft er. „Wir haben hier 10 Fuß Höhe und 7 Breite. Das ist unsere Hauptluftstraße, durch welche jede Minute so etwa 70,000 Cubikfuß Luft passiren, auch unsere Hauptstraße durch die Strata und an ihnen entlang. Die Luft wird von hier aus in verschiedene Districte abgeleitet, hindurchgetrieben und durch den Luftschornstein wieder nach oben geführt. Jeder District hat am Ende einen Regulator oder eine Fallthür, durch deren Oeffnung oder Schließung mehr oder weniger Luft von der Hauptstraße weg eingesogen wird.“

„Nun beachten Sie die verschiedenen Strata. Auf dem Wege durch diese Drift können Sie nicht weniger als 133 verschiedene Blattungen derselben bemerken, außerdem 21 Kohlenadern innerhalb 320 Vertical-Yards des Bodens. Die Hauptbestandtheile zwischen diesen Adern nennen wir Clift, der, pulverisirt und dem Wetter ausgesetzt, zu thonigem Schmutz wird. Dazwischen kommt Gestein vor, das, seiner Bindemittel beraubt, zu Sand zerfällt. Auch ziehen sich Betten von Eisengestein hindurch und jedes Kohlenbett steht überall auf einer Schicht von Feuerthon, worin man überall Fossilien findet, die unter dem Namen stigmaria bekannt sind. Das ganze Kohlengebiet hier ist nach Ermittelung der Geologen 2000 Klaftern dick; doch enthält es in den oberen Lagen zu viel Clift, in den mittleren zu viel Sandstein.“

Während dieses Vortrages sind wir mitten in das eigentliche, bearbeitete Kohlenlager gekommen und bemerken mit Staunen dessen ungeheuere Dicke, die sich durch ein glitzerndes Meer von schwarzem Glanze abzeichnet. Zwölf Fuß dick solide Steinkohle. Die Pickäxte der Arbeiter ertönen daran wie lustige Hochzeitsglocken, so metallisch dicht ist die ehemalige grüne Vegetation krystallisirt und zusammengedrückt worden. Man mißt uns die volle Dicke des Lagers, zeigt uns die Scheiden, Geklüfte und Geschiebe dazwischen, das Dach oben und das Thonbett unten. Die „Verdienste“ des Lagers werden geschildert, wie Tugenden eines lieben Freundes, doch wird das benachbarte Lager, obwohl nur 8 Fuß dick, nicht vergessen. Man räumt ihm sogar einige Vorzüge vor seinem dickeren Nachbar ein. In den verschiedenen Driften umherwandelnd lernten wir auch manche Abstallungen und Brattices kennen. Letztere bestehen aus Röhren von zusammengenagelten Bretern, durch welche die Luft gezogen und gedrückt wird, um sie in die fernsten Winkel zu leiten und jedes böse Wetter im Entstehen zu verjagen. Endlich stehen wir vor einem ungeheuern Feuer.

„Wie,“ rief Einer von uns, „fürchtet man sich nicht, mit dieser mächtigen Flamme die Kohlen zu entzünden?“

„Hat nichts zu sagen, unsere Luftwege und Gegenbogen sind Schutzes genug.“

Wir können’s kaum vor dem Feuer aushalten: ein Stück Dante’sche Hölle, ein Meer von Flammen und dicken Rauchwallungen in unbekannte Finsternisse verzinkend und grimmig hineinleuchtend in dicke Nacht der tiefen Unterwelt, aus einem gemauerten Ofen mit einem Schaft von 500 Fuß Höhe. Das so im schärfsten Zuge weißglühende Feuer ist der eigentliche Ventilator und zieht stets fabelhafte Massen Luft aus der Oberwelt hinunter durch alle Adern und Driften und mit allen Spuren gefährlichen Gases wieder herauf. Mit Stolz und Freude zeigt man uns an der Hoflosigkeit um enthüllte Davy-Lampen, daß die Luft nicht „geladen“ ist und also auch nicht losgehen kann. In einem entlegenen Winkel wird uns der „Hof“ um die geschirmten Flammen gezeigt und unser Freund ruft in die unheimlich umdunkelte Flamme hinein:

„Nun, Gentlemen, sehen Sie, was eine Davy ist. Ohne diese Umschirmung der Lampe wären wir jetzt schon versengte und verstümmelte Leichen.“

Das klingt sehr ungemüthlich, so daß wir eilen, wieder in einen der fortwährend auf- und abschnurrenden Tramen zu kommen und mit sausender Geschwindigkeit emporzufliegen auf die Erde und ihr herrliches Tageslicht, an welches wir uns freilich auch erst wieder gewöhnen mußten, so sehr drückte dessen helle Fluth auf unsere Augen und alle Nerven.

  1. Ich habe vergessen, was er damit meinte, und fand auch unter Engländern der Oberwelt keine klare Auskunft darüber.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_024.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)