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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

zu. So erzählt Humboldt, daß bei St. Fernando gar eine Menge Geier sich dem königlichen Jaguar bis auf zwei Fuß näherten, so lüstern wachen sie über die Beute. Vom feinsten Geruche geleitet, finden aasfressende Geier die Stelle, wo sich ihre sterbensmüde Beute, nicht einem allgemeinen Reinlichkeitsgesetze in der Natur, wohl aber dem Triebe nach Ruhe und Sicherheit in der Todesstunde folgend, hingeflüchtet hat. Faulendes, organisches Leben im Wasser bleibt nicht lange unversehrt; gerade das Wasser birgt der aasvertilgenden Thiere eine Menge und der Krebs ist wahrlich nicht das unbedeutendste.

Aber wie nahe liegt auch uns die Gelegenheit, in der Insectenwelt Diener jener natürlichen Wohlfahrtspolizei zu erblicken! Vom frühesten Lenze an und wieder tief hinein bis in den Spätherbst laufen die Aaskäfer über alle Wege. Begierig streifen sie nach Beute umher und sie räumen vorzugsweise kleinere Thiere, Insecten und Würmer, bei Seite. Aber auch diese so häufigen Käfer vermöchten nicht völlig aufzuräumen, wenn ihnen nicht die Raubwespen, vor Allem die Ameisen und Sandwespen zur Seite ständen.

Beide Gattungen warten nicht einmal unter allen Umständen auf den Tod der sterbensmüden Thiere. Im Gegentheile, die Sandwespen stürzen sich auf ihre Beute und vergraben darin schließlich einen nicht kleinen Theil ihrer Eier, damit die ausschlüpfenden Maden über ihre erste Nahrung nicht in Verlegenheit kommen sollen. Ueberhaupt ist es auffällig, wie die Menge der kleinen Aasfresser unter allen überwiegt und nur nach dem Norden hin nach und nach abnimmt, wo die Kälte die faulenden thierischen Körper unschädlich, macht. Ja, die Kälte ist ein so vortrefflicher Reservator, daß man bereits riesige Repräsentanten einer ausgestorbenen Thierwelt mit Fleisch und Haar aus dem Eise der Lena und des nördlichen Eismeeres herausfischte.

Insbesondere sind die Ameisen aller Gegenden Wohlfahrtspolizeidiener; diese kleinen Zuchtmeister der Wälder und Wiesen mit dickem Kopf und großen Beißwerkzeugen, kleinen, schielenden Augen und verstecktem Stachel sind recht dazu geschaffen, in ihrer verschiedenen Maskirung hinter allerlei Geheimnisse zu kommen, wozu die feine Spürnase Außerordentliches beiträgt. Die höheren Classen dieser Ameisenpolizei sind geflügelt, um weiland Dr. Faust’s Mantel entbehren zu können, und nur die Arbeiter gehen ungeflügelt einher. Aber gerade diese Arbeiter nützen in unserer Weise mehr, als die vornehmen, oft in Schaaren ausfliegenden Männchen und Weibchen. Wie auch unsere Ameisen so vortrefflich skeletiren, weiß ein Jeder. Nicht so bekannt aber ist die Zeit, welche nöthig ist, um ein vollständiges Skelet von einer Schlange, einem Maulwurf, einem Frosch oder Sperling zu erlangen. 24 Stunden ist für diese Tiere, die man noch besonders in eine leichtschließende hölzerne Schachtel zu stellen pflegt, völlig hinreichend. Eichhörnchen, Hunde etc. erfordern zu ihrer Skeletirung mehr Zeit. Von allen Ameisensorten scheinen die großen Waldameisen die besten Präparatoren zu sein. Läßt man das Skelet länger in dem Ameisenhaufen liegen, so fällt schließlich das ganze Skelet auseinander, weil die Ameisen den zweiten Tag sich an die zäheren Sehnen wagen und diese mit derselben Schnelligkeit zernagen, als sie ja auch in größeres thierisches Leben zerstörend eindringen. Eins meiner größten Skelete ist das eines Eichkätzchen, welches ich von einem Forstbeamten erhielt. Er hatte es eben aus einem gefällten, hohlen Stamme hervorgezogen, wo es von den in der Nähe bauenden Ameisen aufgefunden und eben noch bearbeitet worden war; doch sind auch an ihm selbst einige Kopfnäthe bedeutend gelockert, da das Thier ein jedenfalls noch junges war.

Die Ameisen tödten aber auch über ihren Hunger hinaus; sie führen mit Leidenschaft, wenn sie nichts Fremdes zu tödten haben, unter sich selbst Kriege, die demnach oft ähnliche Gründe haben mögen, wie die der Menschen. Eine Pelzmütze, ein Paar verweigerte Handschuhe, ein gestelltes Bein, selbst ein schiefes Fenster genügen dem Räthsel, welches Mensch heißt, um Leben und Wohlsein tausend Mal auf’s Loos zu stellen. Die Ameisen sind dann aber auch würdige Seitenstücke zu den Mummius’, Attila’s, Melac’s, mit einem Worte zu den Kriegsräubern, indem sie wie diese einschleppen, was sie nur Genießbares finden. Am interessantesten sind die Gattungen unserer großen, schwarzen Waldameise mit ihren oft zwei bis drei Fuß hohen Haufen und die Zug- oder Visitenameise, Cephalote, in Surinam. Diese letzteren, braunen, fast wespengroßen Ameisen, mit vier Dornspitzen am Halse und starken Kiefern, aber verhältnißmäßig kleinen, behaarten Leibern sind unter Umständen Retter und Verwüster. Denn wenn sie auch in einer Nacht den Gärten und Plantagen bedeutenden Schaden thun können und Bäume zu Ruthenwerk entblättern, indem sie mit den scharfen Kiefern die Blätter abkneipen, so reinigen sie auch manche Gegenden durchweg von lästigem Ungeziefer, Aas und allerhand Schmarotzern. Dann ziehen sie aus ihren Nestern, die sehr hoch sind, hängen sich bei Abgründen eine an die andere, lassen sich vom Winde nach Art der schwebenden Spinne hinüber blasen auf’s andere Ufer und Tausende marschiren über diese lebendige Brücke. Spinnen, Raupen, Käfer, Frösche, Schlangen, Mäuse, Eidechsen, Salamander, selbst Ratten, kranke Esel und Rinder, todte Hunde und Katzen – Alles heißt Feind, heißt gute Prise und ist bald bis zum Gerippe verschwunden. Dann dringen sie in die Häuser, laufen durch alle Zimmer und spioniren. Die Menschen müssen selbst weichen; denn einmal bei Mund und Nase angelangt, wäre uns der grausamste Tod gewiß. Truppweise plündern diese Thiere nur eine Ortschaft durch; selbst die scheuesten Schaben, Wanzen und Kakerlaken und die stärksten Ratten überwältigend, welche letztere, einmal attrapirt und angebissen, wie toll durch alle Räume rennen. Da ist keine Gnade; Kranke müssen sogar hinausgetragen werden. Man kränkt sich aber nicht, wenn sie kommen, ebensowenig wie manche europäische Wohlthätigkeitsanstalt sich kränken würde, wenn sie einrückten. Im Gegentheile, Alles öffnet Kisten und Schränke, Läden und Thüren; man zieht sich auf einige Stunden zurück und hat nun die Zuversicht, seine Gewölbe lange ohne Näscher und seine Nachtlager ohne Ruhestörer zu finden.

Nur gereizt sollen sie auch vom gesunden Menschen nicht ablassen und mit der Zernagung von Schuhen und Strümpfen beginnen. Homberg bedauert sogar, daß sie ihre Würgereien nicht öfter vornehmen, denn oft vergehen zwei Jahre, ehe sie wieder einkehren. Drury erzählt von einer verwandten Gattung Afrika’s, welche in Gesellschaften umherzieht; sie ist so zahlreich und gefräßig, daß von getödteten Gazellen oder Schweinen, die nur über Nacht liegen blieben, andern Tages nur ein reingenagtes, weißes Gebein übrig war.

Auch die Termiten haben starkentwickelte Freßwerkzeuge und zernagen wie ihre Verwandten (auch Termiten-Larven und Puppen) pflanzliche und thierische Stoffe. So haben sie mehrfach Pagoden gestürzt, sichrer als die Mission; so haben sie in Mexico die meisten der aufbewahrten Documente aufgefressen und dieser Actenstoß wurde wider Erwarten verdaut und ist ihnen auch gut bekommen. In einer Nacht fressen sich diese Thiere durch den Boden starker Kisten und vertilgen dann oft leider mit dem Ungeziefer auch die Wäsche. Auch hier verstehen die Arbeiter nichts von den weisen Plänen und Ideen der Obenschwebenden ihrer Crème. Sie wurden von Haus aus mit Blindheit geschlagen.

Dabei geben diese Wohlfahrtsschützer noch realen Nutzen und geröstete Termiten sollen noch besser schmecken, als die berühmten Palmbohrerlarven der Westindier. Ihre Gebäude dienen später oft zu Backöfen, ja bei gänzlicher Verlassenheit zur Zuflucht träger Leute. Die zerstörende Holztermite wird gern gegessen und das durch sie in eine feine Filzmasse verarbeitete Holz ist der auch in unsern Sammlungen oft gezeigte Ameisenzunder der Berg- und Bravosindianer, der Bewohner von Maynas, Brasilien und Westindien.

Fast könnte es nun scheinen, daß zu Beobachtungen solcher Art vorzugsweise heiße Länderstriche Veranlassung geben könnten. Nimmermehr; uns liegt dieselbe Veranlassung an tausend Punkten nahe. Ich wähle einen der interessantesten Käfer bei uns aus, den Todtengräber oder gestreiften Aasgräber. Dieser schwarze Käfer, der in der Größe unserer Brachkäfer ist, wird leicht an den zwei gelbrothen Binden erkannt, welche über die Flügeldecken gehen. Aus weiter Ferne, oft kaum glaublich schnell, kommen sie heran, indem sie das Aas fein wittern; sie kriechen unter dasselbe, scharren die Erde weg und versenken das Aas, in welches sie ihre Eier legen. Die ausschlüpfenden Jungen finden solcherweise ihre Nahrung und ihr erstes Wohnhaus. Aber die Käfer verleugnen auch ihre Wiege nicht; wiedehopfartig riechen auch sie und zum Ueberflusse sind sie oft über und über mit Milben bedeckt, wie der ebenfalls so nützliche Roßkäfer, der ein wahrer Pariah-Arbeiter unter allen Wohlfahrtsdienern ist. – Legt man z. B. im Sommer eine todte Maus oder einen Maulwurf auf den Wiesenrand oder in’s Feld, so ist gemeiniglich ein einzelner Todtengräber als Tirailleur aus dem nächsten Reviere der erste zur Beute. Er beginnt seine

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