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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

freilich nützt ihm die Flucht sehr wenig und von hundert Flüchtigen gelingt’s kaum Einem, der verfolgenden Justiz zu entgehen. Dessen ohngeachtet finden sehr häufige Fluchtversuche statt, besonders in der schönen Jahreszeit. Sobald ein Sträfling beim Appell fehlt, ertönen einige Kanonensalven und auf dieses Signal hin setzen sich alle Civil- und Militairbehörden in Bewegung, um auf den Flüchtigen zu fahnden. Wird dieser im Hafen selbst wieder ertappt, so erhält er die Bastonnade; fängt man ihn aber außerhalb des Hafens, so hat er eine Verlängerung seiner Strafzeit auszustehen, und wenn er bereits zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt war, wird er mit einer viel größern Härte als zuvor behandelt.

Gewöhnlich verbergen sich die Flüchtigen im Hafen selbst, ehe sie es versuchen, aus dem Festungsrayon zu kommen. Sie liegen wochenlang in den untersten Räumen der Schiffe, in Fässern, in unzugänglichen Schlupfwinkeln versteckt; aber sie mögen sich verstecken, wo sie wollen, sie werden von den nimmermüden Spähern am Ende doch aufgefunden. Ist es aber einem Sträfling gelungen, aus dem Hafen und dem Weichbilde der Stadt zu entkommen, so hat er neue Gefahren auszustehen, da man in der Umgegend durch die Behörden von seiner Flucht in Kenntniß gesetzt worden. Alles waffnet sich gegen ihn und hält es für eine Pflicht, zum Verräther an ihm zu werden. In der That ist ein entlaufener Sträfling sehr furchtbar, da er in seinem Selbsterhaltungstriebe keine Schonung, keine Rücksicht kennt und, um seinen Verfolgern zu entschlüpfen, nicht selten eine Mordthat begeht. Gelingt es ihm, bis Paris zu kommen, so kann er sich eines großen Glückes rühmen; denn hier wird es ihm leichter, den vielfachen Verfolgungen zu entrinnen. Allein von Brest bis Paris ist ein gar langer Weg und auf diesem langen Wege können ihn sein kurzgeschornes Haar, sein schleppender Gang, den er sich durch das vieljährige Tragen der Kette angewöhnt, sein unsicherer, mißtrauischer Blick und seine wilde Physiognomie hundertmal verrathen.

Man kann also ohne Uebertreibung behaupten, daß die Meisten von denen, die zu den Galeeren verurtheilt worden, im Bagno enden. Wer einmal in’s Bagno gebracht worden, ist aus der menschlichen Gesellschaft für immer ausgestoßen. Darin liegt das Grausame, das Unvernünftige, das Unmenschliche dieses Systems, das jetzt von allen Seiten auf’s Heftigste angegriffen wird. Die französische Regierung beabsichtigt daher, eine Verbrecher-Colonie zu gründen. Sie hat es bereits mit Cayenne versucht; aber das Cayenner Klima ist so ungesund, daß von den Sträflingen, die man dahin gesendet, nach einigen Monaten über die Hälfte hinweggerafft war. Sie wird sich nun, wie man glaubt, für Neu-Caledonien entscheiden. So viel aber ist sicher, daß die französischen Bagno’s kein Jahrzehend mehr bestehen werden.

L. K.




Die neue Landungsbühne vor Liverpool.

Die neue Landungsbühne in Liverpool.

Die Engländer haben für ihren fehlenden Formen- und Schönheitssinn die Leidenschaft für unförmlich Großes und Ausgedehntes, worin so manche Fehler verschwinden, da das Große immer imponirt, wenigstens der großen Menge, die auch durch ihre unfaßbare Vielheit groß ist. Wie jeder Rock jedem Engländer zu weit ist, macht man auch alles Andere so zu sagen „auf Zuwachs“. Der Rock, der Backenbart, London, die Colonien, das Parlamentsgebäude, der Leviathan, der atlantische Telegraph etc., Alles ist imposant durch seine Größe und „sitzt“ nicht. Die neue Landungsbühne vor Liverpool ist vielleicht nicht zu groß für ihren Zweck, da für den Meeresverkehr Liverpools in dem 3 deutsche Meilen umfassenden engeren Hafen voller Mastwald sobald nichts zu groß sein kann; aber er ist imposant und paßt wenigstens nicht. Er ist 1000 Fuß lang und 82 breit, also ein schwimmendes Verdeck, über 300 Fuß länger,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_009.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)