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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

oder tragen. Wie innerhalb des Bagno, so ist der Sträfling auch außerhalb desselben, nämlich bei der Arbeit, stets unter der strengsten Aufsicht. Er darf sich keinen Augenblick von der Arbeit entfernen. Wird er aber durch ein Bedürfniß unabweisbarer Natur dazu genöthigt, so muß er seinen Aufseher (garde-chiourme) erst um Erlaubniß bitten. Ist das ihm zugewiesene Quantum Arbeit vollbracht, so darf er ausruhen und wird dann unter Begleitung der Aufseher, von denen je einer einen Trupp von Zehn zu überwachen hat, nach dem Bagno zurückgebracht. Den Rest des Tages verbringt er dann gewöhnlich mit der Anfertigung kleiner Handarbeiten, die fast jeder Sträfling im Bagno ohne Meister erlernt. Sie wissen aus Holz, Elfenbein und Cocosschalen tausenderlei Dinge zu schnitzen, oder aus Stroh zierliche Körbchen oder Kästchen zu flechten. Solche Arbeiten zerstreuen den Sträfling und liefern ihm auch die Mittel zur Bestreitung seiner Bedürfnisse an Obst und Tabak. Die von den Sträflingen verfertigten Gegenstände werden in einem eigens für dieselben eingerichteten Laden, dem sogenannten Bazar, und unter der Aufsicht eines Beamten von einigen Sträflingen verkauft, die man im Bagno „Marchands“ nennt. Die Waaren haben, wie man sich leicht denken kann, feste Preise. Jedes verkaufte Stück wird von einem beständig anwesenden Aufseher in ein Buch eingetragen. Die Hälfte des Erlöses nimmt der Staat. Die andere Hälfte gehört zwar dem Sträfling, doch wird ihm auch von dieser Hälfte nur ein Theil eingehändigt und der Rest ihm aufbewahrt. Ueberhaupt darf kein Sträfling mehr als zehn Franken des Monats ausgeben und niemals mehr als diese Summe besitzen.

Es versteht sich von selbst, daß sich die Sträflinge im Bagno nicht ausschließlich mit diesen Handarbeiten beschäftigen können. Es gibt noch gar mancherlei Dinge, die sie dort zu verrichten haben. Sie müssen ihre Kleider ausbessern, ihr Linnenzeug waschen, den Saal sauber halten, die Küche besorgen und das Küchengeräthe scheuern. Auf diese Weise lebt der Sträfling einen Tag wie den andern, wenn er sich nämlich gegen die Disciplin nicht vergeht. Weh’ ihm aber, wenn er sich eines Vergehens gegen dieselbe schuldig macht! Die Strafe folgt sogleich nach und ist unter Umständen so hart, daß ihr der Bestrafte nur durch ein Wunder nicht unterliegt. Die mildeste dieser Strafen besteht darin, daß man dem Verurtheilten die Ration Wein und Fleisch entzieht, ihn dabei zu noch schwereren Arbeiten zwingt und das Gewicht seiner Ketten verdoppelt. Die härteren Strafen bestehen im Einzelgefängniß und in der Bastonnade. Das Einzelgefängniß wird von den Sträflingen sehr gefürchtet. Es besteht aus einem gleichsam in Stein gehauenen Kasten, in welchem sich eine Pritsche befindet. An diese wird der Sträfllng gekettet und muß mit Wasser und Brod fürlieb nehmen. Das Licht fällt durch ein dickes eisernes Gitter, aber mit dem Lichte dringen zugleich die kalte Luft, der Regen und der Schnee hindurch, da eine solche Zelle mit keinem Fenster versehen ist. So hart auch eine solche Strafe, so kann sie doch bis auf die Dauer von sechzig Tagen, ja, unter erschwerenden Umständen bis auf ein ganzes Jahr ausgedehnt werden. Wer übrigens ein Jahr in einem solchen Gefängnisse aushält, darf sich einer gußeisernen Gesundheit rühmen.

Was die Bastonnade betrifft, so wird diese mit der „Garcette“, einem dicken getheerten Strick, ertheilt. Der Verurtheilte wird auf ein Bret gelegt und in einem der großen Säle vor den versammelten Galerensträflingen gezüchtigt. Die Zahl der Streiche beträgt mindestens zehn und höchstens hundert. Doch ist es kaum möglich, daß Jemand den hundertsten Streich erlebt. Diese entsetzliche Züchtigung wird von einem auf Lebenszeit verurtheilten Sträfting ausgeführt, nachdem vorher mit lauter Stimme das Urtheil verlesen worden. Der Galeerensträfling, der die Streiche führt, wird von seinen Mitgefangenen gehaßt und verachtet. Jeder flieht ihn und er führt ein trauriges, einsames Leben; dadurch wird er nicht selten veranlaßt, bei der nächsten Gelegenheit die Streiche noch stärker und kräftiger zu führen. So hat im Bagno zu Toulon ein solches Individuum durch die teuflische Grausamkeit, mit der er die Garcette schwang, sich einst den Namen Jean le Bourreau erworben und er steht noch heute bei den dortigen Sträflingen in einem höchst traurigen Andenken.

Im Brester Bagno wird die Bastonnade nur nach einem sehr schweren Vergehen ertheilt, so daß sie unter den dritthalbtausend Sträflingen nur fünfzig bis sechzig Mal des Jahres stattfindet. In Toulon aber, dem größten und furchtbarsten der drei französischen Bagno’s, ist man durchaus nicht sparsam damit. Es soll dort kein Tag vergehen, an welchem die Bastonnade nicht an einem oder an mehreren Individuen ausgeführt würde, und zwar wegen sehr unbedeutender Vergehen, wie z. B. wegen Karten- oder Würfelspielens, ja, wegen des dort unerlaubten Tabakrauchens.

Einmal des Monats, und zwar an einem bestimmten Tage, ist es den Verwandten der Sträflinge gestattet, diese zu besuchen. Indessen wird diese Erlaubniß nur von denjenigen Verwandten benutzt, vor deren Liebe zu dem unglücklichen Gefangenen jede andere Rücksicht schwindet. Es fallen bei dieser Gelegenheit oft die rührendsten, die ergreifendsten Scenen vor.

Die Nahrung der Sträflinge ist gut und es gibt manchen ehrlichen Mann in Brest, dessen Kost nicht halb so schmackhaft ist. Von den meisten Verbrechern wird daher das Bagno dem Zellengefängniß vorgezogen. Aber die Folgen der Galeerenstrafe sind furchtbar, entsetzlich. Mag der Galeerensträfling während seiner Strafzeit sich noch so vortrefflich aufgeführt, mag er die tiefste Reue über sein begangenes Verbrechen, den löblichsten Vorsatz in Bezug auf sein künftiges moralisches Betragen gezeigt haben, – er ist doch für immer verloren. Seine Familie verleugnet ihn; die Gesellschaft schaudert vor ihm zurück und wehrt sich dagegen, mit ihm in Berührung zu kommen. Da sich ihm nun jede Thüre verschließt, da sein eigen Fleisch und Blut ihn von sich stößt, wird er bald mit Groll gegen die menschliche Gesellschaft erfüllt. Er verübt jetzt aus Rachegefühl und mit tückischem Vorbedacht das Verbrechen, das er früher in einem Augenblick der Verblendung und der wild auflodernden Leidenschaft begangen, und wird wieder in’s Bagno gebracht, aus welchem ihn diesmal nur der Tod befreit.

Solcher verhärteter Verbrecher gibt’s in jedem Bagno sehr viele. So sah ich im Brester Bagno einen alten Mann, der auf seiner Pritsche saß und Schachfiguren drechselte. Er war ein heiterer Geselle mit einem freien, offenen Gesichte; und als ich ihm meine Verwunderung über seine Heiterkeit ausdrückte, antwortete er:

„Mein Herr, ich bin Philosoph und denke, man muß das Leben nehmen, wie es eben ist. Wenn ich mich jetzt auch in Klagen ergösse, was würde das nützen? Durch Thränen wird diese Pritsche nicht weicher werden; durch Seufzer wird sie sich nicht in ein Federbett verwandeln. Der Eine wird geboren, um auf einen Thron, der Andere, um auf die Galeeren zu kommen. Der Mensch mag thun, was er will: er kann seinem Schicksal doch nicht entgehen. Das ist meine Meinung. Als ich vor einundzwanzig Jahren meine erste zehnjährige Strafzeit überstanden, hatte ich den festen Vorsatz, mir ein Stück Brod redlich zu verdienen. Die wenigen Verwandten, die ich früher hatte, waren alle inzwischen gestorben, bis auf einen reichen Vetter, mit dem ich zusammen auferzogen worden. Ich begab mich zu ihm, um von ihm so viel Geld zu erbitten, als nöthig ist, die Ueberfahrt nach Amerika zu bezahlen. Kaum hatte er mich aber erkannt, als er mir die Thüre wies und mir drohete, polizeilichen Beistand herbei zu rufen, wenn ich noch einmal es wagte, mich bei ihm sehen zu lassen. Ohne ein Wort zu erwidern, verließ ich ihn und wandte mich an den Geistlichen dem Ortes. Ich setzte ihm meine Lage auseinander; aber statt mir zu helfen, gab er mir christliche Ermahnungen und sprach dabei sehr viel von der ewigen Seligkeit, von der ewigen Verdammniß und dergleichen Dingen, die nicht kalt und nicht warm machen. Das Unglück wollte, daß zur selben Zeit in mehreren Häusern der Umgegend eingebrochen wurde. Man brachte meine Anwesenheit mit diesen Einbrüchen in Verbindung. Ich wurde verhaftet und der eifrigste Zeuge gegen mich war der Geistliche. Ich wurde natürlich schuldig erklärt und wiederum in’s Bagno gebracht. Nun, es ist gut, daß ich hier sitze; denn ließe man mich los, ich würde den Pfaffen am Altare umbringen.“

Bei den letzten Worten ballte er die Fäuste und sein Gesicht verzerrte sich so furchtbar, daß mich ein kalter Schauer ergriff.

Unter den vielen Sträflingen ist jedes Alter, vom Jüngling bis zum Greise, sehr zahlreich vertreten. Die Sträflinge, die das kräftige Mannesalter bereits zurückgelegt und deren Haupt im Bagno weiß geworden, denken selten an die Freiheit mehr; während es besonders unter den jungen Männern sehr viel verwegene Individuen gibt, die beständig auf die Flucht sinnen und dieselbe auch nicht selten ausführen. Nach allem, was bisher von der Einrichtung des Bagno gesagt worden, sollte man nun eine solche Flucht für unmöglich halten; aber es ist in jedem Bagno bekannt, daß dem Sträfling, der ernstlich an die Flucht denkt, das Unmögliche möglich wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_008.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)