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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Silliya’s Rache.
Thatsache aus dem englisch-indischen Leben.




Ich lernte vor einiger Zeit einen Franzosen kennen, der die besten beiden deutschen Raucher in der Kunst, Taback zu vertilgen, übertraf. (So erzählt ein Engländer in Chambers’ Edinburgh-Journal.) Er war ein Künstler und Flüchtling und lebte im englischen Indien, als ich seine Bekanntschaft machte. Dort war er Jahre lang als Copist alter indischer Denkmäler und Inschriften für ein französisches Kunstinstitut beschäftigt, später traf ich ihn auf englischem Boden, wo er nie recht mit der Sprache über seine englisch-indischen Erfahrungen herauswollte, am wenigsten neuerdings, da er auf Grund dieser Erfahrungen ganz anderer Meinung über die indische National-Revolution war, als die meisten Engländer. Doch neulich Abends, als ihm die Pfeife besonders gut schmeckte und er mir sein Vertrauen zeigen wollte, während wir Beide vor der Kamingluth saßen, ging er ’mal ordentlich auf das sonst gemiedene Thema ein und erzählte mir mit der folgenden Einleitung folgendes Erlebniß.

„Sie bieten ein seltsames Studium, diese Hindu’s und ihre Nabobs, Herrscher, Brahmanen, Kasten und religiösen Ceremonieen. Die Natur hatte nie die Absicht, diese beiden Racen, Hindu’s und Engländer, in einem und demselben Lande zu dulden. Selbst wenn sie beiderseits den guten Willen hätten, sich mit einander zu verständigen, wär’ es eine absolute Unmöglichkeit. Dieser orientalische und der anglo-sächsische Charakter sind die beiden entgegengesetzten Pole der Menschheit. Deshalb hat die englische Herrschaft in Indien kein moralisches Resultat gehabt. Sie hat die Eingebornen mit europäischem Handel und Wandel vertraut gemacht und bis zu einem gewissen Grade auch mit europäischer Wissenschaft, aber der Hindu und der Muselmann bleiben eben so weit von den Britten, als die alten Bewohner Indiens.“

Meine Entgegnung war: „Missionäre, Schulen und Zeit.“

„Gut, meinetwegen,“ antwortete er, „darüber werden wir uns doch nie verständigen, aber ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich gleich im Anfange meines Aufenthaltes in Indien erlebte und die mich über dieses Thema wohl ziemlich aufgeklärt haben wird. Es war in Agra, der alten Hauptstadt persischer Herrscher über Indien, die noch jetzt Spuren ihrer Herrschaft, Baukunst und Cultur trägt, obgleich nach ihnen die mongolischen Kaiser in Delhi und die Engländer in deren Namen (nachdem sie ihnen das Recht dazu abgelistet und abgekauft hatten, ohne zu bezahlen) zusammen schon seit Jahrhunderten herrschten. Das moderne Agra ist noch immer sehr bedeutend, reich an heiligen Plätzen für die Hindu’s und Mohammedaner, Sitz einer englischen Garnison und blühender Gewerbe. Ringsherum ragen die Denkmäler früherer Macht und Pracht, Tempel und Paläste und königliche Grabmonumente empor, meilenweit in der Gegend umher verstreut zwischen Palmenhainen, Dörfern der Eingebornen und englischen Bungalows oder strohgedeckten Villa’s. Ich hatte auf ein Jahr Arbeit unter den Engländern hier, besonders in einer hohen, mächtigen Familie, Namens Jackson. Sie hatte eine sogenannte „starke Position“ unter den Eingebornen von Hindostan. Mr. Jackson war hoher Gerichtsbeamter in der Provinz. Sein Bruder hatte die Stelle eines Directors im Zollhause. Ein Sohn war Officier eines eingebornen Regiments von „Sepoys“, auf deren Menge und Treue die Engländer so lange den Glauben an ihre Fremdherrschaft gründeten. Eine Tochter hatte einen hohen Gerichtsbeamten der ostindischen Compagnie in Calcutta geheirathet. Mit diesen Familieninteressen, so mächtig repräsentirt, und ihren mächtigen Verwandten im alten England waren die Jackson’s gar reiche und mächtige Herrschaften in Indien, wie Sie sich leicht denken können. Sie besaßen ein großes Haus in Agra für Geschäftsangelegenheiten (die höchsten Beamten machten von jeher noch gern „Geschäfte“) und eine ausgedehnte, prächtige Bungalow vor der Stadt an einem Flüßchen mit grossem Garten voll indischer Blumen und vom Süden her beschattet durch hohe Palmen, durch deren schlanke Stämme man weit hinaus über prächtige Ruinen und indische Vegetation Aussichten genoß. Hier lebten sie in einem Luxus, wie ihn nur Anglo-Indier treiben können. Nichts, was übermüthigem Reichthume erreichbar schien, durfte ja fehlen, so daß ihre Liebe für Eleganz und Fülle stets im vollsten Maße befriedigt ward. Die Jackson’s galten als die höchste „Elite“ der Agraer Gesellschaft. Meine Bekanntschaft mit ihnen gründete sich deshalb hauptsächlich auf den Umstand, daß Europäer ohne Uniform dort sehr selten, das Leben einförmig, ihre Portraits und ich als deren Maler nöthig waren. Sie hatten dreißig Jahre in Indien gelebt und hielten sich deshalb für genaue Kenner Indiens und der Hindu’s. Aber sie waren als gut geborne Engländer gekommen und solche geblieben. Sie beurtheilten ihre dienenden Ali’s und Ranu’s und Silliya’s ganz eben so, wie Engländer zu Hause ihre „Bill’s, Dick’s, Tom’s, Jim’s und Jock’s“ nehmen und behandeln. Die hohe Dame des Hauses war sehr geistreich. Sie sprach gern klagend über das schlechte Fleisch in Indien und wunderte sich, warum die Hindu’s immer noch Götzen verehrten, da man ihnen doch gesagt, das sei unrecht. Ihr Sohn, mit rother Uniform und tornisterblondem Backenbart, hatte großen Respect vor letzterem und deshalb auch vor sich selbst. Von der Tochter in Calcutta hatte ich nur gehört, daß sie sehr schön sei und zwei Engel von Kindern, Zwillinge, habe, Abgötter aller Jackson’s. Während ich die Jackson’s malte, hieß es, Mr. Lester, der Schwiegersohn, und die Tochter und die lieben, lieben Kinder würden diesen Winter vor der Regenzeit zu einem Besuch heraufkommen und ich müsse sie malen mit aller Kraft und Schönheit meiner Kunst.

Die Jackson’s hatten natürlich, wie alle Anglo-Indier, eine große Menge dienstbare Geister um sich, lauter Eingeborne und für jede Art von Dienst besondere. (Vgl. „Qui hy?“ in der Gartenlaube Nr. 11. Jahrgang 1857.) Unter ihnen stand in der höchsten Gunst und im intimsten Vertrauen die Kammerjungfer der Dame des Hauses, zugleich auch Ausgeberin und Kleider-Superintendantin. Man nannte sie Silli, wofür Mrs. Jackson in der Eile oft den englischen Namen Sally gebrauchte. Ihr wahrer Hindu-Name war Silliya, eine „Pariah“ oder niedrigste Kaste, aber classisch in ihrer hohen, äußerst schlanken, elastischen Figur und Grazie, aufrechten Haltung und der hellen, bronzenen Farbe in dem feinen Gesicht mit den schwarzen, glänzenden Augen und dem langen, scheinenden Haar – Alles Eigenschaften, durch welche sich die schönsten Brahmanentöchter auszeichnen, wie sie der classischste Dichter Kalidasa in seiner weltberühmten, oft ganz germanisch klingenden „Sakontala“ besang. Sie war etwa siebzehn Jahre alt, schon eine reife Jugend im Osten. Sie hatte eine classische Schönheitsgewalt um sich, aber der kalte, eisige, stechende Zitterglanz in ihren Augen war mir unheimlich und abstoßend, nicht so dem Capitain Jackson, der in seiner Zuversicht und Oberflächlichkeit nur die Reize dieser dienenden Schönheit zu schätzen verstand. Capitain Jackson wohnte in der Nähe seiner indischen Soldaten in Agra und war zugleich wie zu Hause bei seinen Eltern, wo er Silliya oft genug zu sehen Gelegenheit suchte und fand. Sie gleitete leicht und graziös elastisch überall frei im Hause umher, ausbessernd, plättend, stärkend, zuschneidend. Befehle für die Küche auf indisch austheilend, mit der Herrin englisch plaudernd und bald englisch, bald indisch schreibend oder lesend. Die Hausherrin erzählte mit viel Selbstbewußtsein, daß das Mädchen alle diese Geschicklichkeiten und deren Angehörige ihr Glück nur ihnen verdankten, und daß des Mädchens Dankbarkeit und Vertrauen zu derselben grenzenlos seien. Ihre Mutter sei durch Mrs. Jackson vom Suttie (Verbrennung mit der Leiche des Gatten) gerettet worden, obgleich sie deshalb von ihren Glaubensgenossen hernach immer verachtet und genöthigt worden sei, sich im heiligen, sühnenden Flusse Dschumna zu ersäufen; ihre Brüder seien von den Jackson’s unterstützt worden, sich selber zu ernähren, nachdem die Compagnie sie von ihrem Grund und Boden getrieben. Silli oder Silliya selbst sei durch Jackson’s Vermittelung in eine indische Schule gekommen, wo sie Englisch und Christenthum gelernt habe, so daß sie sich wohl noch werde taufen lassen. Des Mädchens Dankbarkeit für alle diese Wohlthaten sei unerschöpflich.

Mr. Lester wurde mit Familie im Beginn des Winters, d. h. der erträglich warmen Jahreszeit vor Beginn der Regengüsse

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_722.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)