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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

das ganze Fahrzeug von der unheilvollen Berührung bis in die Spitzen der Masten erzittert.

Das arme Schiff „Jacques Laffitte“ war allerdings, trotz der Leitung des Lootsen (vielleicht in Folge derselben!), auf eine Untiefe gerathen, und wurde durch die stark nach dieser hinwärts strömende Fluth immer fester auf das Felsenriff aufgewühlt. Die Anker wurden geworfen, die Segel wieder festgemacht und einige Versuche unternommen, das Schiff abzuwinden – doch Alles vergeblich. Botschafter, Hülfe von der Stadt zu holen, gingen ab, und die Besatzung flüchtete nach einer nahegelegenen, kleinen Insel, da das festsitzende Schiff von der immer höher steigenden Fluth überschwemmt wurde.

Ein anderer Morgen brach an; wir Alle hatten, in unsere Mäntel gehüllt, eine von traurigen Gedanken umwiegte Nacht auf der kleinen, sandigen Insel verlebt, denn die Ahnung des Unterganges des armen „Jacques Laffitte“ übte einen betrübenden Einfluß auf alle Gemüther, ähnlich den Gefühlen, die wir empfinden beim Anblick eines sterbenden Freundes.

Der Capitain M., in dessen wettergebräunten Zügen sich Verzweiflung spiegelte, bestieg mit seiner niedergeschlagenen Mannschaft sein Boot und der Agent und ich folgten, von unsern Negern gerudert, in einem andern Boote ihm nach, um in einem zweiten Versuch zu sehen, ob dem trotzenden Meere sein Opfer nicht zu entringen sei. Auch heute wurde den ganzen Tag gearbeitet, doch das Schiff war trotz einigen Hundert arabischen Handarbeitern, die wir gemiethet hatten, dennoch nicht einen Zoll breit abzubringen, und in dumpfem Schweigen fuhren wir des Abends zurück nach der kleinen Insel, die, belebt durch unsere zahlreichen Hülfsmannschaften, bald ein buntes Gemälde darbot. Die bronzefarbenen kräftigen Gestalten kauerten, in ihre braunen, kameelhaarenen Mäntel gehüllt, um kleine Feuer, angezündet, die Nachtkühle zu verscheuchen und um dabei das einfache Mahl, Reis und Wurzeln (mhogo), zu bereiten, wobei hier und da die eigenthümlich weichen Gesänge der Araber, bald einzeln, bald im Chöre erschallten. Unter diese Klänge mischten sich auch zuweilen fern herkommende Töne von der etwa eine Stunde entfernten festen Küste Afrika’s, und beobachtete man die braunen Kinder des Landes genau, während solche Töne laut wurden, so konnte man leicht an dem unwillkührlich erschreckten Lauschen erkennen, welcher gefürchteten Kehle sie entquollen. Zu Alle dem bildete das majestätische Rollen des Meeres den ehrfurchtgebietenden Grundton, und phantastische Träume lebten auf, während die Umgebung stiller und stiller ward.

Der Morgen des folgenden Tages warf uns stürmend einen unfreundlichen Ermunterungsruf entgegen; das Meer, gestern so ruhig und gleichförmig seine Wogen dahinrollend, warf heute ungestüm seine Wassermassen zu Bergen empor, und die Felsenriffe, die zahlreich in diesem Meerbusen sich zeigen, waren von tobender Brandung umbraust.

Trotzdem sollte auch heute ein Versuch gewagt werden, den trauernd seine Masten gen Himmel streckenden „Jacques Laffitte“ zu retten. Capitain M., der Agent und ich bestiegen unser Boot, um unsern Arabern und der Mannschaft voraus an Bord zu fahren In die Nähe des Schiffes gekommen, fanden wir dasselbe von Kisweli’s (Eingeborenen) wimmeln, eifrig beschäftigt die Ladung zu rauben und in Landesfahrzeugen fortzuschaffen. So wie wir uns mehr näherten, wurde uns mit wildem Geschrei mitgetheilt, jeder Weiße, der versuchen wolle, an Bord zu kommen, solle geköpft werden, denn das Schiff sei ihrem Strandrecht verfallen. Ein jauchzender Verzweiflungsschrei entfuhr dem Capitain, als wir ihm diese Nachricht übersetzten, und mit wilder Freude rief er: allons, poussons à bord! Nur mit Gewalt konnten wir den verzweifelten, fast wahnsinnigen Capitain bewegen, der Uebermacht zu weichen, und stets mit demselben ringend, umbraust von den empörten Wogen, jeden Augenblick in Gefahr auf den spitzen Felsenriffen zerschmettert zu werden, gewannen wir nach unendlichen Anstrengungen wieder unser kleines Asyl.

Daselbst zurückgekommen, trafen wir ein wildes buntes Treiben an; gegen 30 kleine Fahrzeuge hatten hier angelegt, nachdem sie vorher von ihren schwarzen Besitzern mit den Gütern des gestrandeten „Jacques Laffitte“ gefüllt worden waren; und mit der größten Gemüthlichkeit ruhten nun diese Räuber neben uns aus, wartend bis der Sturm erlauben würde, die Rettung(!) des Wrack’s fortzusetzen. Dabei unterhielten sie sich mit uns sehr naiv über den ganzen Vorfall, indem sie versicherten, es sei nun schon viele Jahre her, daß sie mit einem ähnlichen Geschenk gesegnet worden seien; andere verhandelten allerlei Gegenstände, die wohl nie bestimmt waren, solchen Besitzern zu dienen. Einer, der einen Fenstervorhang statt Turban um den Kopf gewunden hatte, klagte, dieser Stoff sei doch gar zu kurz und unzureichend, und fragte, ob wir nicht mit einem Stück ähnlichen Stoffes ihm dienen könnten. Ein Anderer hatte einige nautische Instrumente, und da er gar nicht wußte, was damit beginnen, so bot er dieselben mit liebenswürdiger Freimüthigkeit zum Kauf an, uns bei unserer Ehrlichkeit beschwörend, ihn nicht zu übervortheilen, da er nicht genau wisse, wie viel dies Spielwerk werth sei. Unsere geringe Anzahl zwang uns, zu alle dem gute Miene zu machen, um so mehr, da die arabischen Arbeiter, die wir gemiethet hatten, sich immer mehr minderten und zu den Kisweli’s überliefen, um an deren schönen Geschäften Theil zu nehmen.

So wie das Wetter es erlaubte, brachen wir auf, nach der gegen 4 Stunden entfernten Stadt L., um bei dem dortigen arabischen Gouverneur (eingesetzt vom Imaun von Maskat) Hülfe zu suchen. Nach Anhören unserer Berichte versicherte er uns seines Beileids und brach noch denselben Tag mit seinen sämmtlichen 500 Soldaten auf, zu versuchen, den Räubern ihre Beute streitig zu machen. Er eröffnete den kriegerischen Zug, in einem elenden Canoe stehend, und seinen Streitern die Schlachtmelodieen intonirend, worauf dann das gesammte Heer in wildem, brüllendem Chöre einstimmte, dabei gar grimmig die zweischneidigen Schwerter schwingend, oder die bis zur Mündung geladenen Flinten in die Luft abschießend.

Die Mannschaften waren während dieser kriegerischen Scene sämmtlich auf zwei Fahrzeugen untergebracht, und folgten nun ihrem schon greisen Anführer. Wir Zurückgebliebenen malten uns schon die gräßlichsten Kampfscenen aus, siehe, da kam noch denselben Tag das Heer zurück, noch immer gar kriegerisch lärmend, singend und schießend, und in Kurzem wurde uns die Kunde, daß es nach tapferen – Gegenreden habe der Uebermacht weichen müssen. Uebrigens brachten die Streiter, um sich über das verunglückte Unternehmen zu trösten, gar manche hübsche Kleinigkeit mit, die noch vor wenig Stunden an Bord des armen „Jacques Laffitte“ gewesen war, der nun mit unglaublicher Schnelligkeit stückweise die verschiedensten Besitzer bekam, so daß wenige Tage danach vom Schiffe Nichts mehr das Wasser überragte, und nur durch Tauchen die Fundgrube weiter auszubeuten war.

Als einige solcher Taucher an Nägeln unter Wasser hängen blieben und ertranken, behaupteten die Kisweli’s, nun sei genug ausgeführt worden, und Gott wolle den Rest des Schiffes selbst behalten, und Keiner wagte von da an, das Plündern des Wrack’s fortzusetzen.

Kurze Zeit darauf kam eine kleine spanische Brigg in L. an, mit welcher der Capitain und die Mannschaft des gebliebenen Schiffes nach Zanzibar abreisten. Bei dem dortigen französischen Consul beklagte sich der Capitain, und der Consul erhielt vom Gouverneur der Insel und Stadt Zanzibar, Seyd Madjid, (Sohn des alten Imaun’s von Maskat, Seyd Seyd) ein arabisches Kriegsschiff und unbedingte Vollmacht, in L. Gerechtigkeit über die Räuber zu üben.

So kamen denn der Consul und der Capitain M. auf dem kleinen Man of war, voll der besten Hoffnungen, in L. an, vielleicht gar den kühnen Gedanken hegend, die geraubten Güter wieder zu erlangen. Die zwölf ältesten Kisweli’s, die eine Art entscheidende Autorität in L. besitzen, kamen dem Consul entgegengefahren und führten ihn voller Freundlichkeit in L. ein, wo bei seiner Ankunft nicht enden wollende Freudenschüsse die Luft erzittern machten. Des Abends führten ihm zu Ehren gegen fünfzig junge Leute einen großen Fechttanz auf, und der Consul, der sein Quartier bei dem in L. residirenden französischen Agenten aufgeschlagen hatte (woselbst er sogleich eine prunkende französische Flagge aufpflanzen ließ), schien durch diesen freundlichen Empfang überzeugt, durch das Ansehen seiner schönen Uniform und hinter den Kanonen seines kleinen Kriegsschiffes auf dem besten Wege zu sein, sich unsterbliche Lorbeeren zu erringen.

In L. steht ein kleines Fort, das gleichzeitig als Festung und als Gefängniß dient und vor Jahrhunderten von Portugiesen erbaut wurde, die zu jenen Zeiten bedeutende Handelsgeschäfte mit den Eingeborenen hier betrieben; in dieses Fort steckte der Consul einige Rädelsführer der Räuber, die ihm bezeichnet worden waren,

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