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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 52. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der verhängnißvolle Schatten.

Nach schriftlichen Mittheilungen von Ernst Willkomm.
(Schluß.)


„Sie geben demnach zu,“ fragte der Vorsitzende weiter, „daß Sie selbst, in eigener Person, um die bezeichnete Nachtstunde, mit einem brennenden Lichte in der Hand, nach dem Bibliothekzimmer gingen?“

Auch diese Frage bejahte Cesar Hornburg.

„Was veranlaßte Sie dazu?“

„Ich bedurfte eines Bündels Papiere, Käufe enthaltend, welche mein Vater vor seiner zweiten Vermählung abgeschlossen hatte. Mein Halbbruder Ottwald verlangte dieselben am nächsten Tage zu sehen und durchzulesen, da er angeblich nichts von deren Existenz wußte.“

„Ich mache Sie darauf aufmerksam, Herr Hornburg,“ bemerkte der Vorsitzende, „daß Sie bei der Anwesenheit der Untersuchungs-Commission in Ihrer Besitzung das Bibliothekzimmer derselben nicht sogleich erschlossen, weil Sie den Schlüssel dazu nicht besitzen wollten. Aus welchem Grunde verheimlichten Sie, daß Sie denselben besaßen und vor so kurzer Zeit erst in jenem Zimmer gewesen waren?“

Mit lächelnder Miene und freimüthig umherblickend versetzte Cesar: „Es war unüberlegt, daß ich dies that, aber ich kann ja gern sagen, was mich dazu veranlaßte. Von Gerichtspersonen sein Eigenthum durchstöbern zu sehen, ist unter allen Umständen höchst störend. Man hat kein Recht, sich ihnen zu widersetzen, ihnen zu wehren, daß sie im Amtseifer möglicherweise auch ihre Befugnisse überschreiten. Der plötzliche Tod meines armen Bruders konnte ja die Commission leicht veranlassen, auch unsere Papiere näher einzusehen. Dies hielt ich für unnöthig und, um dieser Möglichkeit vorzubeugen, die ich wahrscheinlich nicht ohne Weiteres gestattet haben würde, stellte ich mich, als sei erwähntes Zimmer seit Jahr und Tag weder von mir noch von sonst Jemand betreten worden.“

Cesar Hornburg sprach so unbefangen und sorglos, daß seine Worte offenbar einen guten Eindruck auf das Publicum machten. Ob die Gerichtspersonen ebenfalls davon befriedigt wurden, ließ sich nicht erkennen.

„Hatten Sie einen besondern Grund,“ fuhr der Präsident fort, „der Sie veranlaßte, den Weg nach der Bibliothek durch die Zimmerreihe und nicht durch den Corridor zu nehmen?“

„Auf dem Corridor hätte der Bruder meine Schritte leicht hören können,“ erwiderte Cesar. „Nur um ihn nicht in seiner Nachtruhe zu stören, durchschritt ich die Zimmer.“

„Wie lange hielten Sie sich im Bibliothekzimmer auf?“

„Ich habe meine Uhr darüber nicht zu Rathe gezogen, glaube aber wohl, daß vielleicht eine Viertelstunde verstrichen sein kann, denn ich fand das Gesuchte nicht sogleich.“

„Wo stellten Sie das Licht während des Suchens hin?“

„Da es keinen leeren Tisch noch Sessel im Zimmer gab, mußte ich es wohl auf die Diele setzen.“

„Können Sie die Stelle, wo es stand, genau angeben?“

„Ich bin nicht so anmaßend, mich dessen rühmen zu wollen, denn offen gestanden habe ich gar nicht darauf geachtet, weil ich es wirklich für unwichtig hielt. Möglich aber ist es, daß es eine Zeit lang gerade da gestanden hat, wo die scharfsichtige Untersuchungs-Commission die Flecke bemerkte.“

„Fanden Sie das Gesuchte?“

Cesar Hornburg bejahte diese Frage, aber so unsicher, als denke er an etwas Anderes.

„Gingen Sie genau auf demselben Wege wieder zurück, den Sie gekommen waren?“

„Ohne mich im Geringsten zu verweilen.“

„Sie traten also nicht noch einmal in das Zimmer, wo Ihr Halbbruder krank lag?“

„Nein!“

„Wie erklären Sie dann das Licht, das genau in der Zeit, wo Sie im Bibliothekzimmer sich aufhielten, von diesem in das Gemach Ihres kranken Bruders drang?“

„Dafür habe ich keine Erklärung und – Sie gestatten, daß ich meine Meinung offen ausspreche – ich glaube nicht an diesen Lichtschimmer. Niemand hat ihn gesehen, als der Mühlenpachter Caspar. Es ist bekannt, daß in jener Nacht der Mond schien. Wie leicht kann auch ein scharfes Auge durch Mondlicht getäuscht werden! Es gibt der Fenster viele in meinem Schlosse; eins liegt dem andern gegenüber. Ist da nicht anzunehmen, daß auf irgend eine Weise, die sich freilich nicht so leicht nachahmen läßt, weil uns die Gesetze der Strahlenbrechung gerade bei der Stellung des nächtlichen Gestirnes nicht bekannt sind, das Licht des Mondes sich auf dem Fenster des Gemaches widerspiegelte, das meinen unglücklichen Bruder beherbergte? Oder Caspar konnte sich auch täuschen in der dämmerigen Nacht. Was er für einen von innen heraus gegen das Fenster sich bewegenden Schatten hielt, trat von außen, vielleicht als ein vom dunstenden Thale aufsteigender Nebel, vor das Fenster. Soviel ich weiß, lassen sich fest gemauerte Wände nicht beliebig verschieben, eine feste, Jahrhunderte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_709.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2021)