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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

herrührenden von den Briefen noch Lebender sondere, erblicke ich unter jenen kürzere oder längere, mehr oder weniger zahlreiche Zuschriften von Nicolaus Lenau, dem berühmten Nationalökonomen Friedrich List aus seinem letzten Aufenthalte in London, dem „alten“ Jahn, Franz von Gaudy, F. von Sallet, Eduard Ferrand, Heinrich Stieglitz, Max Waldau, Robert Blum, Helmina von Chézy, dem Maler W. Lindenschmitt, dem Meister des bekannten Frescobildes an der Kirche in Obersendlingen, dem in Noth und Trübsal untergegangenen Dichter August Schnezler, C. Mebold, Theodor Hell, C. von Wachsmann, Bacherer und andern minder Bekannten oder seitdem Verschollenen. Auch begegne ich darunter mancher interessanten Reliquie, einer versificirten Uebersetzung eines Spottgedichtes des Punch von dem Nationalökonomen List, einem Sonett von Helmina von Chézy „der Rosenmond“ aus dem Sturmjahr 1848 u. s. w. Vielleicht erweise ich den Lesern wie den Literaturfreunden einen Gefallen, wenn ich das Interessanteste und Charakteristischste aus den Briefen der Bedeutendern unter ihnen mittheile und mit meinen persönlichen Erinnerungen an ihre Verfasser in Verbindung bringe. Schriftstellerische Freuden und Leiden, Künstler- und Poetentreiben, nord- und süddeutsches Leben werden dabei in Einzelbildern vor den Augen der Leser vorbeigeführt werden, auch manche eigenthümliche Persönlichkeit, die sich an dem Conflict mit der äußern wie mit der eigenen innern Welt aufgerieben hat. Ich werde dabei chronologisch verfahren und so Gelegenheit haben, zuvorderst ein kleines Bild aus dem Berliner Dichterleben zu bieten.

Berlin mit seiner von aller Romantik leeren Umgebung, Berlin mit seinen vielen geradlinigen und modern einförmigen Straßen, seinen vielen Geheimräthen, Gardeofficieren, Gensd’armen, Constablern, Banquiers und Epiciers, Berlin und Dichterleben scheinen auf den ersten Blick zwei ganz heterogene Dinge zu sein. Und dennoch verhält oder verhielt es sich wenigstens in der Zeit, von der ich hier spreche, in Wirklichkeit anders. Je weniger die Gegend, der Volkscharakter und die fast allen mittelalterlichen Stoffes und Colorits entkleidete Architektur geeignet sind, praktische Gemüther zu befriedigen und zu befruchten, um so mehr sind diese darauf angewiesen, sich ihre eigene Phantasiewelt zu schaffen, die dann freilich mit der wirklichen oft in einem schneidenden und grellen Contrast steht. So war Berlin recht eigentlich der Hauptsitz der romantischen Poesie. Hier war Tieck, der Schöpfer der Poesie mondbeglänzter Zaubernächte und Waldeinsamkeiten, geboren, hier lebte Heinrich von Kleist, Achim von Arnim, Fouqué und eine Zeitlang auch Clemens Brentano, hier lebten Eichendorff und Bettina, hier schuf sich Callot-Hoffmann eine eigene Welt moderner Dämonen und Kobolde, hier verpflanzte Ludwig Devrient die düstern Schatten und grellen Lichter der Romantik auch auf die Bühne. Die eigenthümlich zersetzende Schärfe und Säure der Berliner Ironie, welche später in Heine ihren entschiedensten und glücklichsten Repräsentanten fand, läßt sich freilich auch in den Schöpfungen der Romantiker nirgends verkennen. Aber man will auch einige Poesie nicht blos in der Einbildung, man will sie auch im Leben haben, und so rückten einige dieser Romantiker, Hoffmann und Ludwig Devrient an der Spitze, in der berühmten Weinstube von Lutter und Wegener zusammen und zechten unter genialen Späßen die liebe lange Nacht hindurch. Sonst sehr prosaische Räthe und höhere Beamte fühlten sich glücklich, an einem Nebentischchen einen Platz zu erhalten, um dann mit einem gewissen Gefühle des Stolzes erzählen zu können, daß sie Hoffmann und Devrient hinter ihren Weingläsern gesehen. Mancher Philister besuchte noch nach dem Tode der genialen Zechbrüder diese geweihte Trinkstube, um seine Erinnerung an sie an Ort und Stelle aufzufrischen. Ueberhaupt ist Pietät gegen Männer berühmten Namens, die gewissermaßen integrirende Bestandtheile des öffentlichen Berliner Lebens geworden sind, ein schöner Charakterzug der Berliner; wenigstens ist sie in Berlin allgemeiner und dauernder als sonst in Deutschland. Freilich gehört ein längerer Aufenthalt in der Stadt dazu, und eine allgemein deutsche Berühmtheit ist darum noch keine Berliner.

In der preußischen Metropole, deren Thore alle vom Mittelpunkte der Stadt sehr weit entfernt sind und deren Naturreize nicht viel Verlockendes haben, ist es für praktisch gestimmte Gemüther ein doppeltes Bedürfniß, sich zusammenzufinden. Zwar bestand schon eine ältere Gesellschaft von Dichtern und Dichtergenossen bekannten Namens, in der es jedoch ziemlich steif und vornehm hergegangen sein soll, aber die strebenden jüngeren Poeten hatten keinen gesellschaftlichen Mittelpunkt. Diesen schuf im Jahre 1835 der liebenswürdige Dichter Eduard Ferrand (E. Schulze aus Landsberg an der Warthe), indem er auf junge Dichter förmlich Jagd machte und sie aus allen Winkeln Berlins aufstöberte. So entstand ein Dichterverein, dem man auswärts zum Gespött den Namen einer märkisch-pommerschen Dichterschule oder der „Spreeschäfer“ beilegte. Außer Eduard Ferrand gehörten ihm F. v. Sallet, A. Rebenstein (Bernstein), seitdem als Verfasser von naturhistorischen Schriften und Redacteur von Volksblättern bekannt, die beiden Brüder Kossarski, Leopold Schweizer, jetzt Redacteur der Wiener Zeitung, ich und mein Bruder Rudolf, jetzt in München, Julius Minding, der sich später als politischer Flüchtling in Newyork vergiftete, F. Brunold (als auswärtiges Mitglied), A. Horwitz, Hugo Hagendorf und noch eine gute Anzahl Anderer an, die theils in der Literatur verschollen sind, theils jetzt in Amt und Brod stehen und das Dichten aufgegeben haben. So viel ich weiß, befand sich unter uns nur ein einziger aus Berlin selbst gebürtiger Dichter, Jäger. Der Verein war einer der harmlosesten Art. Wir versammelten uns wöchentlich einmal Abends in einem öffentlichen Orte, wo es auch allerlei Getränke gab, um die in Augenblicken der Langeweile, die bei solchen Zusammenkünften niemals ausbleiben, sinkenden und ermattenden Lebensgeister aufzufrischen. Wer im Laufe der vorangegangenen Woche eins oder mehrere Gedichte zu Stande gebracht hatte und sie vorlesenswerth hielt, las sie vor und es wurde dann über ihren Werth durch Nr. 1, 2 und 3 abgestimmt. Eduard Ferrand’s lyrischer Geschmack war dabei maßgebend. Weiche, zarte und melancholische Empfindungen, Lust und Leid der Liebe, Wein und Frühling, höchstens Balladenstoffe waren die Gegenstände, die wir in Verse brachten; doch war Heinische Ironie ein sehr beliebtes Element. Aus Gedichten dieser Art bestand der „norddeutsche Frühlingsalmanach“, welchen der Verein herausgab. Didaktische, religiöse und politische Tendenzen durften sich nicht blicken lassen. Zuweilen, namentlich wenn Ehrengäste (Laube, Gaudy u. s. w.) eingeladen waren, beschloß eine tüchtige Bowle, die dann mehrmals aufgelegt wurde, die eigentlichen Vereinsarbeiten, die eben im Vorlesen und Beurtheilen der Gedichte bestanden. Jedenfalls war dieser Verein mitten in dem als gemüthlos verschrieenen Berlin von einem gemüthlichern Geiste beseelt als irgend einer, den ich später in andern Städten Deutschlands kennen zu lernen Gelegenheit hatte.

Eduard Ferrand war die Seele des Vereins und gewiß war es Niemand schmerzlicher als ihm, als der immer und überall umgehende Teufel des Zerwürfnisses auch unter den Weizen dieses Vereins sein Unkraut säete, und diesem bei seiner weiteren Ausdehnung Persönlichkeiten bei- oder näher traten, die ätzende und zersetzende Elemente hinzubrachten. In der That habe ich nicht leicht einen gemüthvolleren, treueren und neidloseren Menschen kennen lernen, als E. Ferrand; er war mild und weich, wie seine Lieder, und jedes herben und verletzenden Wortes unfähig, und nie war er liebenswürdiger und anziehender, als beim Becher. In die goldene Fluth, die den Rheinweinpokal füllte, blickte er dann wie in sich verloren, nippte davon wie im Traume, bis er ihn ausgenippt, und sprach wie im Traume. Es war keine laute Lustigkeit, es war ein Versenken und ein Verdämmern, eine traumhaft glückliche Stimmung, die er auch auf seine Zechgenossen zu verbreiten wußte. Im stillen Weinkeller fand er, wie so manche Dichter und Künstler, Rettung und Schutz vor der Fadheit und Philiströsität des modernen Lebens. „Man sagt,“ äußerte er dann wohl, „daß ich nicht eingezogen genug lebe; wie kann ich irgendwo eingezogener leben, als in diesem stillen dunkeln Keller?“ Es war nur sein Unglück, daß es nicht immer, und namentlich in seinen letzten Lebensjahren, beim bloßen Nippen blieb. Ganz merkwürdig war es, wie er in den einförmigen Straßen Berlins poetische Gegenstände aufzufinden wußte, wo Niemand sie ahnte. So hatte er in einer entlegenen, Abends meist todtstillen Straße einen einzeln stehenden dichtbelaubten Nußbaum entdeckt, und hierher begab er sich zuweilen an schönen Mondscheinabenden beim Nachhausegehen, eine Flasche Wein in der Tasche, lehnte sich gegen den Stamm und leerte die Flasche allmählich aus, ganz in seine poetischen Träume versunken. Als komische Episode diente dann wohl eine Unterhaltung mit dem Nachtwächter, der die sonderbare Laune des Dichters gar nicht mehr so übel fand, nachdem er die

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