Seite:Die Gartenlaube (1857) 667.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Nur das Wetter war unangenehm. Es fiel fortwährend ein feiner Regen, der recht empfindlich ward, und sämmtliche Jäger bis auf die Haut durchnäßte.

Ottwald, der unter die eifrigsten Jäger zählte, mochte sich heftig erkältet haben. Schon auf dem Heimwege fühlte er sich nicht ganz wohl und am andern Morgen erwachte er im vollen Fieber.

Cesar wollte zum Arzte schicken, was jedoch Ottwald nicht zugab.

„Ich medicinire nicht gern,“ sagte er, „auch hat es ja gar keine Gefahr. Wenn ich mich ein paar Tage ruhig im Zimmer halte, geht die Erkältung schnell vorüber. Sorge nur für etwas Lectüre, damit ich mir die Zeit vertreiben kann.“

Diesen Wunsch des Bruders erfüllte Cesar mit größter Bereitwilligkeit. Das Wohnzimmer des Kranken stieß an das Bibliothekzimmer. Es waren die letzten zum alten Schlosse gehörenden Räumlichkeiten, hingen aber mit dem Neubau nur durch einen Corridor zusammen. Als Knaben hatten die Brüder ihre Lectionen in dem Bibliothekzimmer gemeinschaftlich gelernt und der Raum, wo Ottwald gegenwärtig wohnte, war ihr Schlafzimmer gewesen. Ein altes großes Himmelbett mit schweren Vorhängen stand noch jetzt in dem Gemache und diente Ottwald als Ruhestatt. Die Wände bestanden aus Tafelwerk und kunstvollen Holzschnitzereien, deren Betrachtung einem Einsamen wohl einige Zeit Unterhaltung gewähren konnte.

Cesar brachte, so oft seine Zeit es erlaubte, einige Stunden bei dem leidenden Bruder zu. Abends las er ihm gewöhnlich vor. Auch speisten die Brüder gemeinschaftlich im Zimmer des Kranken oder vielmehr Cesar genoß Mittag- und Abendbrod bei dem Bruder. Ottwald selbst fastete größtentheils, da er wirklich heftig litt. Nur zu trinken begehrte er häufig und Cesar bereitete ihm nicht selten mit eigener Hand einen kühlenden Trank.

Inzwischen ward das Wetter stürmisch und rauh. Es regnete ununterbrochen und bald schwoll der Gebirgsfluß zu einem tosenden Strome an, der weiter oben im Gebirge beträchtlichen Schaden anrichtete. Weiter unten im Thale hatten die Mühlenwerke von dem zu starken Wasserzuflusse zu leiden. Einige waren genöthigt, ganz zu feiern, um von den heftig stürzenden Fluthen nicht Alles zerstören zu lassen. Nur da, wo der Bach durch Schleußen und Schützen besser geregelt werden konnte, trat keine Unterbrechung ein. Die von Caspar gepachtete Schneidemühle gegenüber dem Schlosse feierte nicht. Man mußte aber sehr vorsichtig sein und Tag und Nacht ein Auge auf den Zustand des treibenden Baches und auf die Schützen haben, damit diese, je nach der Menge des zuströmenden Wassers, bald mehr gehoben, bald tiefer gestellt werden konnten.

Ottwald’s Befinden besserte sich nicht, und Cesar drang abermals in ihn, doch ärztliche Hülfe zu brauchen.

„Nur noch zwei bis drei Tage lasse mir Zeit,“ versetzte der Kranke. „Ich kenne meine Natur und bin fest überzeugt, daß ich mich nach Ablauf von sieben bis acht Tagen in der Besserung befinde. Es ist nichts, als eine starke Erkältung, die sich auf den Unterleib geworfen hat. Daher meine andauernde Appetitlosigkeit und mein immerwährendes Uebelsein.“

Cesar fügte sich dem Wunsche des Bruders, dessen Aussehen Besorgniß erwecken mußte. Seine Gesichtsfarbe ward fahl, das Auge glanzlos. Die Hände zitterten ihm und ein feuchter Schweiß drang aus allen Poren. Die gestellte Frist verstrich, ohne daß Besserung eintrat. Ottwald war vielmehr so schwach geworden, daß er das Bett nicht mehr verlassen konnte. Cesar blieb meistentheils bei dem Kranken oder gab einem seiner Leute Auftrag, sich auf dem Corridor aufzuhalten, wenn Beschäftigungen ihn abriefen. Ohne weiter zu fragen, schickte Cesar nach dem Ärzte.

Die Kunde von der Erkrankung des jungen Herrn war bereits in die nächste Umgebung des Schlosses gedrungen, und diejenigen, welche Ottwald von jeher lieber gehabt hatten, als den barschen, stolzen und meistentheils verschlossenen Cesar, unterließen nicht, sich täglich nach dem Befinden des Kranken zu erkundigen. Caspar namentlich, der hoch erfreut war, nach Aussöhnung der Geschwister künftighin nur mit Ottwald allein zu thun zu haben, erschien jeden Morgen persönlich im Schlosse, um nachzufragen, wie sein Herr die Nacht zugebracht und wie es ihm jetzt ergehe.

Bald nach Entsendung des Boten schien Ottwalds Befinden sich zu bessern. Er lächelte jetzt über des Bruders Aengstlichkeit und berief sich abermals auf die Kenntniß seiner Natur.

„Morgen bin ich ein ganz anderer Mensch, gib Acht,“ sprach er. „Wollte sich nur der Appetit wieder finden und die häßliche Uebelkeit mich verlassen, so fehlte mir gar nichts mehr. Ich gedenke diese Nacht gut zu schlafen, denn ich fühle mich merkwürdig müde. Darum will ich auch Niemand belästigen. Ihr Alle bedürft ebenfalls der Ruhe, Du namentlich, Cesar. Also laßt mich allein! Sollte ich Jemandes Hülfe bedürftig sein, so läute ich; ich weiß aber im Voraus, daß es nicht nöthig sein wird.“

Cesar wollte den Bruder durch Widerspruch nicht aufregen. Deshalb fügte er sich dem Wunsche des Kranken. Gegen zehn Uhr ließ er ihm noch von seiner Haushälterin Anna ein kühlendes Getränk bereiten, wovon Ottwald jedoch nur wenig genoß. Er gestattete indeß, daß ein zweites volles Glas noch neben sein Bett gestellt werde, damit er auch während der Nacht in jeder Hinsicht mit allem Nöthigen versehen sei. Als auch dies zweite Glas von der Haushälterin Anna gebracht und von Cesar versucht worden war, trieb Ottwald den Bruder fast mit Gewalt fort. Dieser verließ den Kranken nur widerstrebend und betrat nach zehn Uhr nochmals dessen Zimmer. Er fand den Bruder ruhig schlafend und befahl Anna, deren Zimmer dem Wohngemach desselben schräg gegenüber lag, sich möglichst ruhig zu verhalten, damit Ottwald in keiner Weise gestört werde.

Am Abende des Tages, wo der bedenkliche Zustand Ottwald’s die Hülfe eines Arztes zur Pflicht machte, hellte der Himmel sich auf und eine stille sternen- und mondhelle Nacht breitete ihre Fittiche aus über Schloß, Bergwald und Fluß, dessen hochgehende Wellen noch immer Vorsicht nöthig machten.

Caspar, der am liebsten selbst überall nachsah, blieb wach. Er vermuthete ein Fallen des Wassers gegen Mitternacht. Geschah dies, so konnte er die fast zu drei Viertheilen geschlossenen Schützen heben und das Werk rascher arbeiten lassen, ohne zu fürchten, daß die stürzende Welle Schaden anrichten werde. Um sich nicht zu langweilen, griff er zu seinem Reißbret und zeichnete den Entwurf eines Grundrisses. Da er die Fensterladen an seinem Zimmer nicht schloß, um stets das vorüberrauschende Wasser im Auge zu behalten, blieb das gerade gegenüber gelegene Schloß ihm in Sicht. Die weißen Mauern des neuen Gebäudes glänzten im klaren Vollmondschein, als wären sie von Schnee. Dagegen stachen die schwarzen Wände des alten Schlosses grell ab. Nur in den beiden Eckzimmern, die gerade nach dem Mühlenthale sahen und die nach beiden Seiten hin Fenster hatten, flimmerte das Mondlicht so hell, daß sie fast illuminirt erschienen.

„Der arme Herr!“ sagte Caspar, hinüberblickend nach den monderleuchteten Fenstern. „Was ihm nur zugestoßen ist! Morgen laß ich mich nicht abweisen! Ich muß wissen, wie es ihm geht, was ihm fehlt! Unser einer hat manchmal auch einen guten Einfall und weiß mit einem Hausmittel oft mehr auszurichten, als die studirten Doctoren mit all’ ihren künstlich zusammengesetzten Getränken!“

Jetzt schlug es drei Viertel auf Mitternacht. Caspar stellte sein Reißbret bei Seite und verließ das Zimmer, um nach dem Stande des Mühlbaches zu sehen. Wie er den Bach entlang schritt, bemerkte er Licht in einem Zimmer des neuen Schlosses. Dieses Licht bewegte sich von einem Zimmer in’s andere, einen dunkeln Schatten hinter sich werfend. Am Ende des Neubaues verschwand es auf kurze Zeit; dann ward es wieder sichtbar in jenem Eckzimmer, wo sich die Bibliothek befand. Bald aber schimmerte es nur noch sehr schwach und zwar so, als ob es auf die Diele gestellt werde. Darauf deutete auch der ungeheuerliche Schatten hin, der sich gespenstisch am Fenster bewegte. Plötzlich war es, als ob eine breite Wandfläche sich vor das mondbeschienene Fenster des Nebenzimmers stelle. Es war ein dunkler Schatten, der das Fenster ganz verdeckte und jetzt mithin völlig verdunkelte. Dieser feste Schatten blieb geraume Zeit stehen. Endlich trat er wieder zurück, machte dem Mondlicht Platz und verschwand. Es war nicht anders, als ob eine breite Thür sich in ihren Angeln drehe oder als ob Jemand einen Schirm deckend vor das Fenster stelle und dann wieder entferne. Gleich darauf flimmerte das Licht abermals in dem Bibliothekzimmer, verschwand hier schnell und tauchte abermals in der Zimmerreihe des neuen Schlosses auf, durch die es so eilig fortglitt, als werde es von Jemand getragen, der laufend die Räume durchschreite.

Caspar mußte wieder an Ottwald denken. „Am Ende ist

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_667.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)