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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

ja zuweilen sogar hart behandelt worden waren. Sie beglückwünschten Alle den Schloßherrn, als sie Kunde von seinem Entschlusse erhielten. Cesar ließ dies zwar geschehen, er sah aber gar nicht froh dazu. So recht aus dein Herzen mochte der Schritt, den er zu thun Willens war, doch wohl nicht kommen.

„Mir ist’s dennoch lieb, daß der Streit aufhört,“ sprach Caspar, der gegenwärtige Inhaber des schönen Mühlenwesens, das dem alten Schlosse gerade gegenüber lag, nur getrennt von dem hier felsigen Uferbett, zu seiner Frau. Man konnte aus dem Mühlhause bequem in die Fenster des Schlosses sehen, und einander sogar zurufen. „Wir bekommen jetzt einen andern Herrn, mit dem sich’s gewiß viel leichter umgehen läßt. Herr Ottwald Hornburg war immer sehr leutselig und weitaus nicht so interessirt, wie sein älterer Herr Bruder. Er ist mehr nach dem seligen Herrn Vater geschlagen, der seinen Leuten auch eher etwas schenkte, als abknappte. Erhält also Herr Ottwald oder seine Schwester die Mühle, was kaum zu bezweifeln ist, so bekommen wir bessere Tage, und um die Zukunft brauchen wir uns nicht weiter zu sorgen.“

Cesar Hornburg empfing seine Halbgeschwister mit größter Zuvorkommenheit. Er hatte in der alterthümlichen Halle des alten Schlosses, wo der verstorbene Schloßherr vor Aufführung des mit demselben verbundenen Neubaues stets zu speisen pflegte, ein solennes Festmahl anrichten, und die lebensgroßen Portraits sowohl des Vaters, wie beider ihm vorangegangener Frauen mit Immergrünguirlanden umwinden lassen. Da er nicht verheiratet war, überließ er sowohl die Ausschmückung der Halle wie die Einrichtung der Zimmer für die Geschwister seinen Untergebenen, mit denen er auf keinem vertrauten Fuße stand. Daher liebten diese auch den Schloßherrn nicht. Sie nannten ihn hart und geizig, beschwerten sich über seinen Stolz und bezichtigten ihn der Herzlosigkeit. Veranlassung zu letzterer Behauptung gab wohl die nicht selten an wirkliche Unbarmherzigkeit grenzende harte Behandlung seines Viehes. Indeß konnte dies bei dem reizbaren und zum Jähzorn geneigten Manne auch Folge der düsteren Gemüthsstimmung sein, in die er durch die unglückliche Wendung des begonnenen Processes versetzt worden war.

Die Geschwister, froh, mit dem Bruder wieder in Frieden und Eintracht leben zu können, brachten Cesar ein offenes Herz entgegen. Schon vor ihrer Abreise waren sie mit einander übereingekommen, sich in jeder Hinsicht nachgiebig zu zeigen, und dem Bruder deshalb einige Grundstücke und Waldungen, die ihm besonders lieb waren, zu lassen, obwohl sie dieselben als ihnen zugehörig beanspruchen konnten.

Bei Tafel forderte Cesar die Geschwister mehr denn einmal auf, die Vergangenheit zu vergessen, und künftighin einträchtig zu leben. Die ausgebreiteten Risse und Pläne, auf denen das Areal der umfangreichen Herrschaft mit allen Pertinenzien, welche zum Theil der Vater erst durch Kauf erworben hatte, genau verzeichnet waren, wurden wiederholt betrachtet und geprüft, und die schon bereit gehaltenen Urkunden von sämmtlichen Geschwistern unterzeichnet. Noch ehe der Abend heran kam, war alles rein Geschäftliche beendigt. Ottwald sowohl wie Cornelie verzichteten aus freiem Entschlusse auf ein paar hoch im Gebirge gelegene Meiereien, die Cesar ihrer wunderbar schönen Aussicht wegen sehr liebte. Zwar weigerte sich der Bruder anfangs, das Geschenk der Geschwister anzunehmen, nach einigem Zureden aber fügte er sich deren Willen, und man konnte wohl bemerken, daß er es sehr gern that.

Cornelie verweilte nur einen Tag im Schlosse, dann eilte sie wieder nach der Stadt, wo sie mit ihrem rechten Bruder volle zwei Jahre in ziemlich drückenden Verhältnissen gelebt hatte. Es gab jetzt noch mancherlei zu ordnen, auch mußten Einkäufe gemacht werden, um sich wohnlich in den verödeten Häusern einrichten zu können. Bis dies geschehen war, worüber leicht ein paar Monate vergehen konnten, sollten nach Corneliens Rückkehr die beiden jüngeren Geschwister in den besten Zimmern des alten Schlosses als Cesar’s Gäste wohnen, während der neue Bau dem älteren Bruder und dessen Hausgesinde allein verblieb.

Das Leben der beiden Brüder gestaltete sich nunmehr sehr vertraulich. Es war die Zeit der Ernte, wo es alle Hände voll zu thun gab. Um nun rascher die Einheimsung beschaffen und die Arbeiter besser überwachen zu können, theilten sich die Brüder in die zu beaufsichtigenden Fluren. Gewöhnlich verließen sie schon früh am Morgen zu Pferde das Schloß, blieben während des ganzen Tages abwesend, und kehrten erst nach Sonnenuntergang wieder zurück. Dann arbeiteten sie noch eine Stunde zusammen, und trennten sich erst, wenn sie zur Ruhe gehen wollten, in bestem Einvernehmen.

Gegen das Ende der Ernte verwandte Ottwald seine jetzt nicht mehr sehr in Anspruch genommene Zeit auf die ihm und der Schwester zugefallenen Baulichkeiten. Hier gab es mancherlei Anordnungen zu treffen; auch mußte er Rücksprache mit den Pächtern nehmen, um zu erfahren, ob sein Vortheil ein Fortbestehen des Contractes oder eine Abänderung desselben erheische. Oberhalb der dem Schlosse gegenüber gelegenen Schneidemühle, wo sein Vater ein ganz allerliebstes Jagdhaus im schweizerischen Styl hatte erbauen lassen, wollte Ottwald künftig seine Sommerresidenz aufschlagen. Das Haus lag ihm sehr bequem, weil er alle seine Besitzungen und größtentheils auch die seiner Schwester von der rund um das Haus laufenden Gallerie übersehen konnte. Für den Winter aber blieben getroffener Abrede gemäß sämmtliche Geschwister in dem geräumigen Schlosse.




II.

Beide Brüder waren leidenschaftliche Jäger, und da sie in ihren ausgedehnten Waldungen einen beträchtlichen Wildstand besaßen, konnten sie dem Vergnügen des Waidwerks nach Lust und Belieben nachgehen. Kaum war die Ernte gänzlich eingebracht, so geschah dies auch. Es verging selten ein Tag, wo die im vollkommensten Frieden lebenden Brüder nicht die Büchse ergriffen und sich in den Wald verloren. Gewöhnlich jagten sie gemeinschaftlich, manchmal aber zog es Jeder vor, nur sein eigenes Revier zu beschreiten, dann aber nahm sowohl Ottwald wie Cesar einen Jägerburschen aus der Försterei als Begleiter mit.

Auf solchen getrennten Jagden der Brüder ereignete es sich zweimal, daß mitten im dichtesten Walde eine Kugel hart an Ottwald vorüberpfiff. Nur ein glücklicher Zufall rettete ihm das Leben. Ottwald verheimlichte dem Bruder diese Vorfälle nicht, und äußerte darüber sein Bedenken.

„Es muß ein verwegener Wilddieb sein,“ sagte Cesar entrüstet.

„Aber ich habe doch Niemand im Verdacht,“ versetzte Ottwald. „Wenn ich noch Jemand gesehen oder ihm gedroht hätte!“

„Ich habe es gethan, und zwar schon vor Jahresfrist,“ sagte Cesar. „Wir sind von gleicher Größe und tragen gleiches Jagdcostüm. Die Kugeln haben mir, nicht Dir gegolten! Es soll uns aber eine Warnung sein. Von jetzt an wollen wir das vereinzelte Jagen aufgeben. Wenn wir gemeinschaftlich durch die Wälder pirschen, wird Keiner dieser gewissenlosen Gesellen den Muth haben, auf uns anzulegen. Ich glaube den Frechen zu kennen, aber ich habe keine Beweise in der Hand. Beträfe ich ihn ein einziges Mal auf unsern Revieren, so würde ich ihm ohne Gnade die wohlverdiente Strafe angedeihen lassen. Es ist jedenfalls einer der Grubenarbeiter oben von der Gebirgswiese. Er haßt mich, weil ich ihm grober Fahrlässigkeit wegen im vorjährigen Sommer den Lohn kürzte. Seit der Zeit wilddiebt er.“

Diese Auslassungen Cesar’s beruhigten Ottwald. Die Brüder jagten jetzt wieder gemeinschaftlich, und wirklich passirte den Vereinigten nichts wieder.

Inzwischen ward es sehr herbstlich. Cornelie traf wieder auf einige Tage im Schlosse ein und meldete den Brüdern, daß sie in spätestens vierzehn Tagen zu ihnen zurückkehren und sie dann nicht wieder verlassen werde.

„Da wollen wir vorher noch recht junggesellenmäßig leben, und uns noch einmal tüchtig austoben,“ sagte Cesar. „Unser Nachbar, Baron Uhlendorf, hält in nächster Woche eine große Treibjagd. Schon im vorigen Jahre lud er mich ein, einer solchen beizuwohnen und Theil daran zu nehmen. Ich war damals aber leider unwohl, so daß ich der freundlichen Einladung nicht folgen konnte. Diesmal sind wir ihrer Zwei, beide munter, und zwei flinke Jäger mehr bei solchem Treiben sind immer gern gesehene Gäste. Du bist doch mit von der Partie?“

„Gewiß,“ erwiderte Ottwald heiter. „Und wenn es uns gelingt, einen guten Schuß zu thun, soll es die erste Aufgabe unserer Schwester sein, uns eine Probe ihrer Kochkunst abzulegen.“

Das Treiben dauerte zwei volle Tage. Man erlegte eine Menge Wild, und die Jäger befanden sich in der fröhlichsten Stimmung.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_666.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2020)