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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 49. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der verhängnißvolle Schatten.

Nach schriftlichen Mittheilungen von Ernst Willkomm.

I.

Die Familie Hornburg war reich begütert. Außer dem alten Schlosse, das aus der Feudalzeit herstammte, und früher einem jetzt ausgestorbenen Grafengeschlecht gehört hatte, besaß sie noch verschiedene einträgliche Meiereien, große, gut bestandene Waldungen, Eisen- und Kohlenwerke, und endlich eine Reihe von Bretschneidemühlen, deren Anlage der starke Gebirgsfluß mit seinem natürlichen Gefälle überaus begünstigte. Der ältere Hornburg, der in hohem Alter verstarb, hinterließ drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Diese und den jüngeren Sohn, Ottwald, hatte ihm seine zweite Frau, eine Dame von altem, aber verarmten Adel, geboren. Der ältere Sohn, Cesar, war der Sprößling seiner ersten Frau, einer Bürgerlichen von großem Vermögen.

Beim Tode des alten Herrn fand sich leider kein Testament vor, und obwohl die Halbgeschwister sich immer, so viel man wußte, gut vertragen hatten bei Lebzeiten des etwas wunderlichen Vaters, trat doch jetzt alsbald eine Spannung ein, die sich mehr und mehr verschlimmerte. Die Geschwister konnten sich über die ihnen zugefallene Erbschaft nicht einigen. Cesar war herrsch- und habsüchtig, und da ihm von seiner früh verstorbenen Mutter ein bedeutendes Vermögen zugefallen, er also an sich schon der Bevorzugtere war, so ließ er jetzt den weniger besitzenden Halbgeschwistern diese seine Überlegenheit in recht unangenehmer Weise fühlen.

Den Besitz des Schlosses, dem der verstorbene Hornburg einen modernen Anbau schon vor seiner zweiten Verheirathung angefügt hatte, machten die jüngeren Geschwister dem Bruder nicht streitig, wohl aber beanspruchten sie, wozu sie jedenfalls berechtigt waren, ein paar der einträglichen Meiereien mit den dazu gehörigen fruchtbaren Feldern, Wiesen und Waldungen. Cesar jedoch behauptete, ihm als dem ältesten Bruder gehörten von Rechtswegen alle Besitzungen des verstorbenen Vaters ohne Ausnahme, und er wäre schon sehr generös und freigebig, wenn er jedem seiner Halbgeschwister außer einer Baarsumme noch eine der am Bergflusse gelegenen Schneidemühlen nebst einigem schlecht cultivirten Ackerland gäbe. Auch dazu könne ihn Niemand zwingen, er wolle es jedoch thun aus geschwisterlicher Liebe und damit man keine Veranlassung habe, ihn habsüchtig zu schelten.

Die jüngeren Geschwister konnten begreiflicher Weise auf diesen Vorschlag nicht eingehen, wenn sie sich nicht selbst enterben wollten. Bitten und Vorstellungen fruchteten indeß bei dem hartnäckigen Cesar eben so wenig, als Drohungen, und so kam es denn schon wenige Monate nach dem Tode des Vaters zwischen den Geschwistern zum unheilbaren Bruch. Ottwald und seine Schwester Cornelie verließen grollend das Schloß, zogen in die nur eine Stunde entfernte Stadt, und übergaben hier ihre Angelegenheiten einem gewandten und anerkannt gewissenhaften Rechtsanwalt.

Es begann nun ein Proceß, der große Summen verschlang und die streitenden Geschwister gewaltig gegen einander erbitterte. Cesar gerieth jedoch bald in Nachtheil, denn obwohl sein Rechtsbeistand ein Mann von seltenem Scharfsinn war, fiel doch schon das erste richterliche Erkenntniß gegen ihn aus. Cesar aber ließ sich dadurch nicht irre machen. Er appellirte und der Proceß erneuerte sich vor der zweiten Instanz. Die jüngeren Geschwister befanden sich in keiner beneidenswerthen Lage. Sie konnten, wenn das Gericht anderer Ansicht war, gänzlich verarmen, und mußten sich noch bedanken, wenn dann der hartherzige und siegreiche Halbbruder ihnen aus Gnade einen dürftigen Jahrgehalt aussetzte.

Es kam indeß anders. Cesar verlor auch in zweiter Instanz den Proceß, ward in sämmtliche Kosten verurtheilt, und angehalten, gewisse liegende Gründe, Waldungen, Feldmarken etc., die genau bezeichnet wurden, seinen jüngeren Geschwistern herauszugeben.

Nach diesem Spruch rieth dem höchlichst ergrimmten Cesar sein Rechtsbeistand, die Streitsache fallen zu lassen, sich zu fügen, und mit den Geschwistern sich zu versöhnen. Er erklärte dem Streitsüchtigen, daß eine abermalige Appellation kein glücklicheres Ende nehmen könne und daß er deshalb auch gar nicht geneigt sei, ihn fernerhin zu vertreten. Cesar Hornburg nahm diese Erklärung sehr mißmuthig auf. Er bat sich Bedenkzeit aus, wandte sich während derselben an verschiedene Rechtsgelehrte, um deren Ansicht zu hören, erhielt aber von Allen fast dieselbe Antwort.

Da beschloß Cesar, sich mit den Geschwistern zu vergleichen, um doch nicht streng dem Ausspruche des Gerichts nachkommen zu müssen. Er schrieb in versöhnendem Tone an Bruder und Schwester, lud sie ein, zu ihm zu kommen, und schloß mit der Versicherung, daß er fortan wieder als Bruder in Freundschaft mit ihnen leben und alles Vorgefallene vergessen wolle.

Ottwald und Cornelie antworteten in gleichem Tone. Sie waren längst des Streites herzlich überdrüssig, und hatten während des Processes genug leiden müssen. Mit freundlichen Worten zeigten sie dem Bruder an, daß sie seiner Einladung ungesäumt folgen würden.

Dieser glücklichen Wendung und unerwarteten Sinnesänderung freuten sich auch die verschiedenen Pachter der Mühlen- und Kohlenwerke, die oft von dem stets verdrießlichen Cesar sehr barsch,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_665.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)