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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Daß alles ging’ nach seinem Recht.
„Geh,“ rief die Frau, „und daß man sieht,
Ob treu, ob untreu Dein Gemüth,
So nimm das Eisen in die Hand!“
Der Mann sich dazu willig fand.
Doch hat er vorher einen Spahn
In seinen Aermelschlitz gethan,
Den ließ er fallen in die Hand,
Ohn’ daß sein Weib den Trug erkannt.
Drauf nahm er keck das heiße Eisen
Und rief: „Jetzt will ich Dir beweisen,
Daß kein Gedanke, keine That
Je meine Treu erschüttert hat.“
Er trug das Eisen wohl sechs Schritte,
Als wär’ es Spaß, was er gethan,
Dann aber barg er seinen Spahn
Klug wieder in des Kleides Schnitte,
Und producirte seine Hand.
Sie sprach: „Jetzt hab’ ich es erkannt,
Daß Du mir Treue stets gezollt,
Die Hand ist reiner als wie Gold.“

Allein damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Der Ehemann war ebenso rachsüchtig als listig und verlangte nun zum Schrecken seiner Ehefrau, daß diese auch das Eisen tragen sollte. Umsonst war alles Sträuben. Sie mußte trotz ihres bösen Gewissens gehorchen, und nun singt der Dichter:

Das Eisen nahm sie in die Hand
Und hat sich mörderlich verbrannt,
Daß sie geschrien voll Schmerz und Wuth:
„Mir ist die ganze Hand caput!“

Auch kam es schon zur Blüthezeit der Gottesurtheile vor, daß Männer aufgeklärt genug waren, um den ganzen Unsinn derselben einzusehen. So wird aus dem dreizehnten Jahrhundert erzählt, daß ein zur Feuerprobe Verurtheilter sich weigerte und ausrief: „er wäre kein Narr!“ und, als der Erzbischof in ihn drang, sich nur unter der Bedingung dazu bereit erklärte, wenn der Erzbischof ihm selbst das Eisen reiche. Da Letzterer dazu keine Lust verspürte, so ließ man den Burschen laufen. Dagegen lehrt ein anderes Beispiel, bis zu welcher Höhe blinden Wunderglaubens unsere Vorfahren sich verstiegen haben. Die Lübecksche Chronik erzählt mit der größten Ernsthaftigkeit folgende seltsame Geschichte: „Zu Wittenberg im Land Mecklenburg war ein Mann beschuldiget, daß er solte etliche Häuser angesteckt haben. Er verneint solches und vermaß sich auf sein Unschuld, daß er ein glüend Eisen tragen wolt. Es ward ihme in die Hand gethan und druge es ohne schreyung. Da er zu dem Male kam an dem Kirchhof, warf er es aus der Hand und es verschwand, daß niemand wußte wo es hinkam. Ein Jahr darnach da einer brogede und rakede in dem Sand, fand er das Eisen und verbrant die Hand daran. Die dabei waren verwunderten sich des und sagtens dem Vogt, der ward eingedenk der vorigen Geschicht und ließ den Kerl antasten (arretiren). Der bekente daß er die häuser angesteckt und ward uf’s Rad gesetzt.“

Fragt man nun, wie es möglich war, daß solche Gebräuche bestehen, ja durch Gesetze sanctionirt werden, daß dieselben nicht Jahrzehnde, nein Jahrhunderte andauern und nur mit Mühe durch das Christenthum und die Fortschritte der Wissenschaft und Gesetzgebung aus dem deutschen Volke verbannt werden konnten, so fällt die Antwort schwer, so schwer, daß ein so geistreicher Schriftsteller wie Montesquieu in seinem esprit des lois sich zu der Erklärung verleiten lassen konnte, bei den alten Deutschen hätte jeder einigermaßen rechtliche Mann eine so dicke Haut auf den Händen gehabt, daß alle brennenden Proben daran zu schanden geworden seien und man daher durch das glühende Eisen oder kochende Wasser leicht erkennen können, wes Geistes Kind der Angeklagte sei, ob ein unverdorbener kräftiger Mann oder eine verweichlichte Memme. Ebenso ungenügend ist es, wie Mancher versucht, die Ordalien als eine Erfindung der Priester zu bezeichnen, denen sie Gelegenheit zu allerlei List und Trug geboten und die durch ihre Einführung nicht nur die Freisprechung oder Verurtheilung in ihre Hand gespielt, sondern auch das Volk in Verdummung erhalten hätten. Denn wenn auch nicht bestritten werden mag, daß manche Täuschung seiten der heidnischen wie der christlichen Priester vorgekommen, so läßt sich doch damit nimmermehr ein so allgemeiner und tiefeingewurzelter Rechtsbrauch erklären, den wir übrigens nicht blos bei den Deutschen, sondern auch, wiewohl in geringerer Ausbildung, bei den slavischen Völkern und noch heutzutage in Indien und Pegu wiederfinden. Die Existenz der Gottesurtheile endlich ganz aus der Geschichte wegzuleugnen, ist zwar die bequemste, aber auch die unkritischste Art und Weise, sich über die Schwierigkeit hinwegzusetzen. Denn wenn man auch in manches der von den alten Geschichtsschreibern erzählten Beispiele gerechtes Mißtrauen setzen muß, so ist doch die Gültigkeit und die wiederholte Anwendung der Ordalien über allen Zweifel erwiesen.

Dagegen ist durch andere Forscher wenigstens einiges Licht in dieses Nachtgemälde altdeutschen Irrthums gebracht worden. Die Ordalien hatten ihren Ursprung ebenso in ungewöhnlichen Tugenden als in ungewöhnlichen Fehlern unserer Altvordern. Vor allem muß festgehalten werden, daß die Wahrheitsliebe ein Grundzug der Germanen war. Es war deshalb etwas Unerhörtes, daß Jemand absichtlich oder leichtsinnig eine falsche Anklage erhoben hätte, und es war ebenso unerhört, daß ein Beschuldigter das Verbrechen, dessen er sich wirklich schuldig fühlte, wider die Wahrheit ableugnete. Daß dem so war, dafür liegen deutliche Beweise vor. Schon dadurch reducirte sich die Anwendung der Gottesurtheile auf wenige Fälle. Dazu kam, daß freie Deutsche nur selten zum Gottesurtheil gezogen wurden. Sie halfen sich durch den Eid und Zweikampf. Nur unfreie Knechte und andere mehr oder weniger rechtlose Personen mußten sich demselben unterwerfen und wenn diese durch den üblen Ausgang regelmäßig als Schuldige dargestellt wurden, so wunderte sich Niemand darüber, da man von ihnen ohnehin das Schlechteste zu denken gewohnt war; ja die Bestimmung, welche diejenigen, die bereits zum zweiten Male des Diebstahls angeklagt wurden, an das Gottesgericht verwies, läßt erkennen, daß nach der Ansicht der Deutschen in der Verurtheilung zum Gottesurtheil schon eine halbe Verurtheilung zur Strafe lag. Wir haben aber noch andere Veranlassung zu der Annahme, daß die Gottesurtheile zwar in der Rechtssitte existirten, aber mehr zu einem Schreckbild der Phantasie dienten und als solches gute Dienste leisteten. Es läßt sich voraussehen, daß der Schuldige lieber gestand und sich der gesetzlichen Strafe unterwarf, als sich dem Gottesurtheil aussetzte, dessen Ausgang ihm sein böses Gewissen im Voraus zeigte. Daß aber umgekehrt auch der Kläger es nicht leicht bis zum Aeußersten, dem Ordale, trieb, darauf lassen, abgesehen von den Fällen, wo sich beide Theile der Probe unterwerfen mußten, noch manche andere Bestimmungen schließen, von denen nur eine Vorschrift des salischen Gesetzes angeführt werden soll, wonach der Kläger gehalten war, vom Termin der Klage bis zum Termin des Ordals, d. h. 14 Tage und 14 Nächte ununterbrochen das Feuer unter dem Kessel zu unterhalten, eine eben nicht verlockende Arbeit. Berücksichtigt man dabei noch, daß der Aberglaube sich erfahrungsmäßig leichter in kräftigen als in stumpfen Gemüthern festsetzt, so wird das von uns geschilderte Verfahren viel an seiner Abscheulichkeit verlieren, und ehe wir den Stab über unsere Vorfahren brechen, vergegenwärtigen wir uns, wo die Treue, die Wahrheitsliebe, die Zucht, und Sittenreinheit der alten Deutschen geblieben, bei denen in Wahrheit ein Wort ein Mann, ein Mann ein Wort war. Grundsatzlosigkeit, Leichtsinn, Sittenverderbniß sind an ihre Stelle getreten. Die Fortschritte der Wissenschaft und Civilisation haben die Nebel des Aberglaubens verscheucht, aber sie haben es mitverschuldet, daß religiöse Gleichgültigkeit und Weisheitsdünkel vielfach dafür eingetauscht sind, und man könnte auf ihren Einfluß die Worte jenes römischen Eseltreibers anwenden, der nach vergeblichem Bemühen, sein Maulthier zu besteigen, endlich die Hülfe des heiligen Antonius anrief und, als er jetzt zwar glücklich hinaufkam, aber auf der andern Seite wieder hinunterfiel, in die Worte ausbrach: „Zu viel geholfen, heiliger Antonius!“



 

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