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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wird, ihre schlechten unbekannten Namen von Andern gelesen zu wissen.

Was den zweiten Punkt betrifft, so ist es das Hinzudrängen der Menge, sobald sich eine fürstliche Person sehen läßt, und ich horte Geschichten über Damen, welche sich in Reinhardtsbrunn aufhielten, die, wiedererzählt, die Gesichter meiner achtbareren Landsmänninnen bis unter die Stirn erröthen machen würden. Was sagt wohl ein Privatmann, der in seiner Besitzung von der Belästigung anständig scheinender Besucher incommodirt wird? Er läßt sie höflichst hinausweisen und schließt ihnen die Thür vor der Nase zu; und solche Mittel verdenkt man einem Fürsten!

Auf dem Inselsberg angekommen, hatte ich in dem Fremdenbuche einen auffallenden Beleg für eine oben von mir ausgesprochene Behauptung. Ein Herr hatte mit großen selbstgefälligen Buchstaben hineingeschrieben:

Auf dem Inselsberge war am 14. August 1856 der Kreisgerichts-Rath H… aus F…

Eine Arroganz, zu welcher in Vergleich man wirklich die vielen, von augenblicklicher Stimmung aufgerührten Verseleien verzeiht.

Der Inselsberg, circa 3000’ hoch, ist einer der höchsten Gipfel des Thüringer Waldes und die Aussicht von demselben so ausgedehnt, daß Jemand irgendwo über tausend, mit bloßem Auge erkennbare wichtige Punkte in der Landschaft aufgezählt hat. Oft genug schon habe ich mich, was mich persönlich anbetrifft, über die großen Fernsichten ausgesprochen und ich wiederhole hier noch einmal, daß ich kein so bedeutendes Interesse nehme an Landkarten von Papiermaché. Vorüberziehende, nur spärliche Durchblicke gewährende Wolken haben für mich schon viel mehr Reiz, aber immer noch bleibt nur ein Panorama, von mäßiger Höhe gesehen, mit Vorgrund und Gruppirung des Uebrigen, lieber, als die aus der Vogelperspektive zur Fläche hinabsinkenden malerischen Unebenheiten des Terrain. Ein hübsches Wirthshaus ladet zu einer comfortablen Erholung ein. Einige Engländerinnen, die zuerst die Tabaksluft des großen geheizten Zimmers flohen, mußten sich doch zur Wiederkehr bequemen, um nicht bei ihrem Mittagsbrod zu frieren, und als das Gespräch mit dem sie begleitenden Herrn auf diese deutsche Sitte gelenkt wurde, behauptete er mit einem Märtyrerlächeln, er und seine Damen hätten sich schon daran gewöhnt.

Nach einem kleinen Umweg, dem Inselstein zu, der uns die Elegie verschiedener Thäler zeigte, und nachdem wir einigen trotzigen geflickten Holzhauern, wahrscheinlich der berüchtigten Bevölkerung Broterode’s angehörend, den üblichen Passirzoll entrichtet, zogen wir hinab zu dem letztgenannten Orte. Broterode ist für den Thüringer Wald, was Böhmen für Deutschland ist, d. H. jeder Vorübergehende streckt die Hand nach einer Gabe aus. Uebrigens wurde uns erzählt, daß hier die Bettler durch die Polizei vollständig begünstigt würden und oft zehn Mal hintereinander wiederholte Anzeigen der Lehrer wegen liederlichen Schulbesuches der Kinder fast gar keinen Erfolg haben oder entschieden ignorirt werden. Broterode gehört ja wohl zu Kurhessen?

Daß das uns so sehr gerühmte Drusenthal, in welches man von hier aus kommt, nicht die gewünschte Befriedigung in uns hervorbrachte, wird uns jeder verzeihen, der zugibt, daß ein stürmender Regen und ein aufgeweichter Boden nicht den Reiz eines von Bergen eingeschlossenen Flußthales erhöhen. Daß es aber sehr hübsch da sein kann, will ich gern zugeben. Das Thal schließt mit den sich gegenüber liegenden, nur vom Drusenbach geschiedenen Dörfern Herger und Auwallendorf, bei welchen Schwerspathgruben und eine Mühle, worin dies Gestein für die Bleiweißfabriken vorbereitet wird. Eine sich ewig auf Hügeln entlang schlängelnde Straße, die durch eine von Wolken bedeckte Landschaft führt, ist durchaus nicht geeignet, dem mißmuthigen Wanderer die Anmuth der Gegend zu offenbaren, und so kamen wir wieder, verstimmt im Geiste und naß am Körper, in dem obenerwähnten Curhause zu Liebenstein an. Der Speisesaal vereinigte uns mit einer schon früher kennengelernten Gesellschaft, aber selbst die liebenswürdigste Unterhaltung und der gute Forster-Traminer waren nicht im Stande, die gedrückte Regenstimmung in uns zu tödten. Alle Elasticität war vernichtet.

Durch einen erquickenden Schlaf wieder zu Menschen gemacht, suchten wir am nächsten Morgen noch einmal den Elementen zu trotzen. In einer wahren Sündfluth erstiegen wir die rasige Höhe der alten Burgruine der Liebensteiner, doch die Energie erweckte nur den Hohn der wetterbrauenden Berggeister und überzeugt, daß hiermit unsere Fußpartien ein Ende erreicht hatten, kehrten wir zurück, packten unsere Sachen und waren in einer Stunde, in wohlverschlossenen Wagen, auf dem Wege nach Eisenach.

Ueber Schweina führt die Straße nach Wilhelmsthal, wo ein kurzer Spaziergang uns überzeugte, daß es hier, in den romantischen Parkanlagen, bei heiterm Himmel ganz reizend sein müsse, dann über die „hohe Sonne“ durch das auch als bemerkenswert notirte Marienthal nach Eisenach. Auf diesem Wege erst merkt man den ganzen Unfug des in kleine Brocken zerstückelten deutschen Reiches und verwünscht die liliputanischen Fürstenthümer, die sich durcheinander drängen, nur um die Geographie zu verwirren. Zahlt man hier am Chausseehause in Kreuzern, so verlangt man Groschen, und zahlt man dort (eine halbe Stunde später) Groschen, so verlangt man Kreuzer, und so wiederholt sich dies bis zum Unerträglichen.

In Eisenach gewesen sein, ohne die Wartburg besucht zu haben, wäre des Spleen eines Engländers würdig gewesen, aber nicht unser, also kneteten wir uns den steilen Pfad hinan. Man arbeitet wacker an dem stattlichen Gebäude, das schon unter Ludwig dem Zweiten, dem Springer, gegründet, in zwei Jahren entstand; man will jetzt wieder ersetzen, was Zeit und Feuersbrünste zerstört, und ihm das Ansehen wieder herstellen, das es zu Zeiten der heiligen Elisabeth hatte. Schöne Zimmer und Räume sind bereits entstanden, durch die sich, in Fresken von Moritz von Schwind, die Geschichte der Burg und der gefeierten Herrinnen hindurchzieht. Der Saal, in dem einst der so berühmte Sängerkampf stattfand und Heinrich von Ofterdingen unter den Mantel der Landgräfin floh, ist fast vollendet und ein großes darin befindliches Wandgemälde des oben erwähnten Meisters stellt diese bekannte Scene dar. Wenn auch einiges Gespreizte in den Bewegungen ist und mich eine gewisse Trockenheit der Auffassung stört, so sind dennoch vortreffliche Sachen in sämmtlichen Malereien. Der große Saal der Burg mit seinen Gallerieen und vergoldeten Tragebalken ist noch im Entstehen, dahingegen die Kapelle vollendet, in welcher Luther oft begeisterten Zuhörern predigte. In 15 Jahren soll das Ganze vollendet sein und sind allein für das nächste Jahr 30,000 Thaler angewiesen. Der noch unberührte alte Theil der Burg enthält eine Wirthschaft, die mit einigen Fremdenzimmern in ein daneben aufzuführendes Haus verlegt werden soll, die Wohnung des Kommandanten und die berühmte Lutherzelle. Hier schuf der von seinem besorgten Freunde, Kurfürst Friederich dem Weisen, in Sicherheit gebrachte Reformator als Ritter Georg das Riesenwerk seines Fleißes: die Uebersetzung der Bibel; hier warf er, wie die Sage meldet, dem seiner aufgeregten Phantasie erschienenen Satan das Tintenfaß an den Kopf. An der einen Wand ist noch der Fleck zu sehen, aber durch abergläubische Hände so ruinirt, daß er, wie der uns umherführende Blaurock versicherte, im nächsten Jahre restaurirt werden würde. Der von nichtsnutzigen Fingern durchaus zerstörte Tisch ist durch einen anderen, Luthers Familie zugehörigen ersetzt und dessen Kanten gegen die Kirchenschänder mit Blech beschlagen worden. Ein alter kienener Schrank und der Rückenwirbel eines Walfisches, der als Fußschemel gedient haben soll, vervollständigen das jetzige Mobiliar.

Nur wenige dürftige Durchblicke aus dem alten gemüthlichen Wirthschaftszimmer gönnte uns das vorüberströmende Wolkenheer in die bezaubernde Landschaft, und dennoch saßen wir lange in der heimlichen tiefen Fensternische, bis der nahende Abend uns zum Scheiden von der traulichen Stätte zwang.

Der Gasthof „zum Rautenkranz“ verschlang ein Paar Stunden der Nacht, das Versammlungszimmer im Bahnhofgebäude that dasselbe und um 2 Uhr weckte uns der unerbittliche Wächter.

„Der Dämpfer braust, er schnauft heran und zischt,
Der Neuzeit fliegender Hydrarch zu Lande;
Aus seinem Rachen haucht der graue Gischt
Des Feuerathems und verdampft im Sande.
„„Herr! Ihr Bittet!““ – Romantisch Land, Ade!
Mechanik zieht ein Kreuz durch Deine Karte!
„„Wohin?““ – Berlin. – „„Nur schnell in das Coupé!““
Die Pfeife schrillt – – Leb’ wohl. Du alte Warte!“



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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_650.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)