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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

lieber, als ein Blick in die Vergangenheit. Hierbei war es, wo wir die flüchtige Bekanntschaft eines jener Gemsenconcurrenten machten, wie man sie so häufig in gebirgigen Gegenden antrifft. Ein bejahrter Mann, in der jugendlichen Tracht eines Turners, mit Strohhut und umgelegtem Halskragen, trat plötzlich aus den Gebüschen, gefolgt von einer Schaar junger Leute, größtentheils Damen. Der gefürchtete Mann soll nämlich, außer seiner Manie des Bergkletterns, noch die verführende Pfeife des Rattenfängers von Hameln besitzen, durch die er jeden Morgen ganze Rudel unvorsichtiger junger Mädchen zusammenpfeift, und sie rücksichtslos die halsbrechendsten Wege, durch Dornen und Gestein über die Berge schleppt. Nur im höchsten Nothfall, bei gänzlicher Erschöpfung, ruht er mit ihnen aus und sucht, als wahrer Waldmensch, die Stellen, wo Brombeeren den ermatteten Körper erquicken können. Die ganze Gegend wird auf diese Weise von ihm abgegrast. Er selbst, ein Fremder, soll einst im Winter die 40 Meilen von seinem Heimathsort hierher per Eisenbahn gemacht haben, um einen Sonnenaufgang von dem Inselsberg zu sehen, und dann wieder umgekehrt sein.

Auf Bellevue war große Illumination, Abendbrod und nachher improvisirter Ball. Einige sehr hübsche Gesichter hatten die

Abschied von Ruhla.

Gäste hergeführt; was aber die gerühmten Ruhlaer Schönheiten betrifft, so beruht der große Ruf derselben wohl auf einem Irrthum. Ich sah doch viele der Eingeborenen, aber mit wenigen vorteilhaften Ausnahmen waren dies nur solche, die einst hübsch gewesen sein mögen, oder solche, die durch ein provocirendes Lächeln bei so vielen Reisenden den Eindruck einer Schönheit hervorbringen. Letztere sind allerdings sehr stark vertreten.[1]

Den Eindruck eines primitiven Cursaales macht der gewöhnliche Versammlungsort der Gäste, wo Abends ein Talgstümpfchen die Finsterniß vergebens zu durchbrechen strebt und dunkle Gerüchte von dort stattgehabten musikalischen Aufführungen munkeln.

Ueber den „Keitersberg“, „kahlen Kopf“ und „Sielberg“ mit den reizenden Blicken in die wildbewachsenen Thäler und durch dicke, lautlose Buchwaldungen stiegen wir am nächsten Nachmittag rüstigen Schrittes hinab nach Winterstein, nahmen Fischbach, Cabartz und Tabartz mit Sturm und rückten siegreich vor Reinhardtsbrunn. Hier war aber leider die Besatzung zu groß, der Angriff wurde abgeschlagen und wir mußten uns nach dem eine Viertelstunde entfernten Friedrichsroda zurückziehen.

Reinhardtsbrunn ist eine der reizendsten Besitzungen, die man sich denken kann. In einem in jeder Beziehung englischen Park liegt das elegante gothische Schloß, das, mit einer rührenden Ehrfurcht vor dem Alter, unmittelbar an und auf die Ruinen der ehemaligen Benedictiner-Abtei gebaut ist. Letztere wurde schon um 1085 von Ludwig dem Springer gegründet, erlitt aber, im 14. Jahrhundert durch einen Brand zerstört und im 16. Jahrhundert durch wilde Bauernhorden verwüstet, mannigfache Veränderungen, bis das Gebäude seine jetzige Gestalt (1827–1835) durch den kunstsinnigen regierenden

Im Dousenthal.

Herzog erhielt. Ein Stück der alten Kirche, mit den gefundenen Grabsteinen geschmückt, und ein im vorigen Jahrhundert angebautes Portal sind die sichtbaren Reste früherer Zeiten. Die Nebengebäude, in demselben Styl wie das Schloß aufgeführt, stören uns durch die Verwendung gestreiften Sandsteines, der ihnen ein zebraartiges, unruhiges Ansehen gibt.

„Friedrichsroda ist durch seine Garnbleichereien bekannt“ – das merkten wir, als wir am nächsten Morgen zur Stadt hinaus dem Inselsberge zu wanderten und an den mit einem gelben Gespinnst bedeckten Wiesen vorbei gingen. Eine waldige Straße führt zunächst zu der sogenannten „Tanzbuche“, wo neben einem einfachen herzoglichen Gartenhause eine Jagdhüter-Wohnung auf ein einfaches Frühstück vorbereitet ist. Der Platz bietet nichts besonders Interessantes außer den Stoff zu zwei ganz besonderen Rügen. Das Lusthäuschen nämlich, welches früher dem Publicum offen stand, hat der Fürst schließen müssen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Pöbel des reisenden Publicums das wenige Mobiliar verdarb, was darinnen war, und die Wände mit Schmierereien bedeckte. Ist es denn nicht möglich, Maßregeln gegen solche Vandalen zu ergreifen, die dieser verderblichen Sucht nur einigermaßen Einhalt gebieten? Ist es denn nicht möglich,

Metamorphose der Bewohner von Broterode.
Im Walde. In der Stadt.

solche Bubenstreiche der sich sonst um jeden Quark kümmernden Sittenpolizei zu unterwerfen und von ihr die nachdrücklichste Bestrafung zu verlangen? Ich glaube, die fast überall aufliegenden Fremdenbücher haben schon sehr gute Dienste gethan, weil sich in diesen die poetischen Adern wie im Sande verbluten können und einer ehrsüchtigen Classe von Leuten die Genugthuung gewährt

  1. Das ist nicht der Fall. Die Rühler Mädchen sind allerdings schön und das provocirende Lächeln dürfte, so weit wir den Autor dieser Skizze kennen, wohl eher von diesem ausgegangen sein.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_649.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)