Seite:Die Gartenlaube (1857) 647.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

worden zu sein. Ich hörte eine junge Frau, die liebenswürdige Gemahlin eines bedeutenden deutschen Schriftstellers, mit dem feuchtverklärten Auge dankbarer Rührung und Begeisterung von den hohen Tugenden seines Herzens reden, den sie mit Stolz ihren Pflegevater nannte. Ja, ich darf sagen, mit der stärksten Liebe, deren ein Menschenherz fähig ist, hielt er Alle, die seinem Herzen nahe standen, umschlungen. Bis an sein Ende war er der zärtlichste Gatte, der liebevollste Vater, der treueste Freund. In der Mitte der Seinen fühlte er sich froh, reich und glücklich, mochten von außen noch so harte Schläge ihn treffen. Und wohl bot auch seine Familie alle Elemente, um ihm das reichste und höchste Glück des Lebens zu gewähren, ein Glück, das leider seit Jahren nur zu oft durch Krankheitsfälle getrübt wurde.

Als die Rücksicht auf seine wankende Gesundheit mehr Erholung, besonders Bewegung im Freien gebot, kaufte er einen großen wüsten Bergrain an, den er mit wahrhaft Meyer’scher Energie durch massenhafte Anpflanzung von viel tausend Bäumen binnen kurzer Frist in einen Park verwandelte. Dorthin sah man zur Sommerzeit den Mann im schlichten grauen Rock, wenn die Witterung und sein Befinden es gestatteten, in ihm lieber Gesellschaft wandern, und mochte er noch so verstimmt und gedrückt von der Last des Tages von Hause weggegangen sein, stand er nur erst unter seinen lieben Bäumen, die er alle einzeln kannte, sog er nur die reine Bergluft ein, so wurde ihm wohl und frei um’s Herz, und mit liebenswürdigem Behagen gab er sich der Betrachtung der Natur und der Unterhaltung mit den anwesenden Verwandten und Freunden hin. In seinem Hause, besonders während der Winterzeit, vertraten die Stelle der Naturgenüsse die Kunstgenüsse. Meyer war nämlich ein bedeutender und feiner Kunstkenner (wie vielseitig er auch war, er war alles bedeutend und im ungewöhnlichen Maßstabe!) und war im Besitz von sehr werthvollen Kunstschätzen; reiche Sammlungen von Handzeichnungen, Kupferstichen, Holzschnitten, Autographen, Niellen, Intaglien etc. lagen dem Beschauer zur Ansicht vor, der sich der gründlichen und lehrreichen Besprechung derselben von Seiten des Besitzers erfreute. Gewiß ein schöner und seltener Genuß!

Dieses große Herz voll zärtlicher Liebe, voll hingebenden Mitgefühls für alles menschliche Bedürfniß, dieses sanfte Gemüth von fast weiblicher Tiefe und Innigkeit und alle darin wurzelnden, zu so schöner Entfaltung kommenden Tugenden mögen nun, da er nicht mehr ist, den Tadel entkräften, den man ihm während seines Lebens oft und vielleicht nicht ganz ungerecht gemacht hat, daß sich sein kolossales Streben nur zu leicht in’s Maßlose verlor und er sich dadurch eine Sorgen- und Arbeitslast auf die Schultern lud, deren zehnter Theil zuletzt doch den Stärksten erdrückt haben würde, die aber, täglich wachsend, bei seiner zuletzt schwankenden Gesundheit, auch für ihn, den modernen Atlas und Centimanen, nicht zu bewältigen war. Immerhin wird ihm aber zur Entschuldigung dienen, daß er bei all’ seinem Gigantenschaffen unter dem Einfluß eines sittlichen Gesetzes stand, das doch noch stärker war als seine Kraft, daß er also der inneren Nothwendigkeit nachgebend nicht anders handeln konnte. Und so sind es zuletzt doch nur große Tugenden und Eigenschaften in der Uebertreibung, welche an ihm zu rügen sind. Wie auch hätte er sich ohne das ihm inwohnende Gesetz jene Jugendfrische und Schwungkraft des Geistes, jene keusche Kindlichkeit des Gemüths und jene reine Erhabenheit der Gesinnung bis an sein Ende bewahren können, die die ihm Näherstehenden an ihm bewundern mußten? Unter den tausend Sorgen, Arbeiten und Aergernissen, die unausgesetzt auf ihn eindrängten und stürmten, oft abgezogen durch körperliches Leiden, fortwährend unterbrochen durch Besuche aus allen Schichten der Gesellschaft, durch Arbeitsuchende oder durch eigene Arbeiter, die sich Raths erholten, durch Bettelnde aus allen Ständen, förderte er noch mit Leichtigkeit ein neues Unternehmen nach dem andern an’s Licht und warf wie spielend die brillanten Artikel seines „Buchs“ (das Universum) auf’s Papier. Das Wort Vergnügen war für ihn gar nicht vorhanden; er kannte nur die hohe Lust der Pflicht, nur die seelische Befriedigung ernsten Strebens und Schaffens. Ganz in derselben nie rastenden, immer hochstrebenden Weise war sein Sinn über die Grenzen seiner persönlichen Existenz weit hinaus auf das große Ganze und Allgemeine gerichtet. Festen Fußes stand er auf der Höhe der Zeit und überschaute von da kühnen, scharfen, sichern Blicks das Leben der Gegenwart und der Vergangenheit und drang mit dem Adlerauge durch die Schleier der Zukunft. Den höchsten Interessen der Menschheit war so fortwährend seine regste frischeste Theilnahme gewidmet. Keine neue große oder interessante Erscheinung auf irgend einem Felde menschlicher Thätigkeit, keine wissenschaftliche Entdeckung, keine namhafte Erfindung ging unbemerkt und ohne in ihren Folgen erwogen zu werden, an ihm vorüber, und für Durchführung und Erforschung mannigfacher Probleme hat er bedeutende Summen bereitwillig geopfert. Sein eigentliches Lebenselement war jedoch die Politik, und auf diesem Boden stand er mit der ganzen Wucht seiner Oppositionskraft für seine Ueberzeugung ein. Seine Gesinnungen sind in seinen Werken niedergelegt; er hielt sie auch im Privatverkehr nie ängstlich zurück, und es bedurfte nur geringer Anstrengung, um den Strom seiner flammenden Rede wie eine vulcanische Eruption ergießen zu machen. Man mag seinen Meinungen beipflichten, oder sie verwerfen: gewiß ist, daß kein Herz je wärmer, treuer und aufopfernder für Vaterland und Menschheit schlug, als das Meyer’s, und daß es auch hier die Liebe war und nur die in ihm glühende unerschöpfliche Liebe, die ihn zum Aeußersten hinriß. Und das sollten auch Gegner ehren.

Sein Charakter, der Reflex jener Liebe, war – wie hätte er anders sein können? – lauter und rein wie Gold, und nur aus guten ehrenhaften Motiven ging all’ sein Streben hervor. Von Eitelkeit, Egoismus, Gewinnsucht, falschem Ehrgeiz, von allem Schmutz und aller Niedrigkeit des Lebens war seine große Seele frei, und Schwächen, unsaubere Neigungen dieser und jener Art, wie sie sonst wohl auch bei geistig hochstehenden Menschen nicht ungewöhnlich sind, lagen tief hinter ihm. Wahrlich, man konnte Goethe’s Worte über Schiller auch auf unsern Meyer anwenden:

„Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine.“

Wenn dieser Mann darauf ausgegangen wäre, nur Geld zu machen, er wäre bei seinem Genie ein Rothschild geworden.

Und derselbe Mann, dessen Geist unablässig in großen Combinationen lebte und webte, der in seinem „Buche“ wie ein strafender Cato gegen die Sünden der Zeit donnerte, dieser ernste gewaltige Geist, der keinem Zweifel in uns Raum gab, daß er in Zeiten einer wirklichen Revolution die Rolle eines Dictators mit fürchterlicher Strenge gehandhabt haben würde – dieser selbe Mann überschüttete seine Umgebung mit einem Uebermaße gemüthlich zärtlicher Aufmerksamkeit; dieser industrielle Heros konnte sich mit kindlicher Lust den kleinsten und bescheidensten Genüssen hingeben; dieser tiefe Denker erfreute sich innigst an einer Blume, an einer Aussicht oder an einem Spiel der Jugend, die ihm zu seinem Bedauern immer zahmer und wohlgezogener zu werden schien; dieser kühne Händler ging schonend der Ameise aus dem Wege, die zu seinen Füßen kroch, und schenkte mitleidig jeder alten Bettlerin Gehör, die ihm ihr Leid klagte, ohne die dadurch verlorene kostbare Zeit, die bei ihm mehr als bei jedem Anderen Geld war, zu beklagen. Das Wohl oder, richtiger, die Noth des Volkes war’s vor allen Dingen, die ihm täglich und stündlich am Herzen lag, und der Gedanke, zu ihrer Linderung beizutragen, verband sich mit all’ seinen Bestrebungen. Was er im Stillen zu diesem Zwecke gethan, ist außerordentlich; seine Hand war allezeit der Armuth geöffnet. Nur mit Faulheit und Liederlichkeit, wenn sie erwiesen vorlagen, hatte Meyer kein Erbarmen. Dagegen fand jedes rührige und tüchtige Streben, das ihn ansprach, seinen Beistand, und manches Talent, das vielleicht in Dürftigkeit verkommen wäre, ist durch seine Ermunterung und Unterstützung zu schönem Ziele gelangt.

Meyer’s äußere Gestalt war wohlgebildet, von mittlerer Größe; sehr bedeutend war die Form seines Kopfes, den er, wie alle gedankenschwere Menschen, etwas vorgebeugt trug; von unbeschreiblichem Zauber waren Ausdruck und Tiefe seines Auges. Sein Mund zeugte von der Anmuth und Milde seines Wesens. In Geschäftssachen kurz, fast wortkarg, sprudelte dieser Mund von flammender Rede über, sobald er gemüthlich erregt war. Meyer war tief religiös, aber seine Religion war ein schöner und erhabener Deismus. – Im Alterthum würde er zum nationalen Mythus geworden sein; in England Glied des Unterhauses, das der Aristokratie zu Leibe gegangen; in Amerika Präsident eines Staates; in Deutschland wollten ihn erst die Kaufleute nicht, und doch war er ein großer Kaufmann; dann wollten ihn die Buchhändler nicht, und doch wurde er ein großer

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_647.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)