Seite:Die Gartenlaube (1857) 646.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

hat, und gleichsam die strahlende Sternenkrone seines Lebens bildet: Thüringen, das Herz von Deutschland und Central-Europa, sollte der Sitz einer großartigen monopolisirenden Eisenerzeugung werden. Damit sollte ein Werk hingestellt werden, so segenbringend, so zukunftbefruchtend, so allgewaltig und allbeherrschend, wie kein zweites. Nachdem Meyer alle Elemente in ausreichender Ausdehnung zu diesem Titanenwerke gesammelt zu haben glaubte, hielt er es im Jahre 1845 an der Zeit, den Hebel anzusetzen, um diesen Koloß von Plan in Bewegung zu bringen.

Aber die Idee war verfrüht. Meyer’s grandiose Ansprache an den Unternehmungsgeist des großen Capitals, an den Patriotismus nationaler Arbeit zerfuhr in den tausend schmutzigen und lichtlosen Winkeln des damals noch kleindeutschen Krämergeistes, und verhallte in der engherzigen Oede der Unkenntniß der eignen Interessen, des Mißtrauens in die eigne Kraft. Meyer’s Frage nach Millionen Capital wurde knapp nur mit so viel Hunderttausenden beantwortet. Dennoch vertrauete er seinem an Mitteln der Speculation so schöpferischen Genie, das ungeheure Werk durchsetzen zu können. Er ließ seine großen Belehnungen auf das Neuhaus-Stockheimer Steinkohlenflötz auf der Grenze von Meiningen und Baiern in schwungvollen Angriff nehmen, erwarb höchst werthvollen Kohlenbesitz im großen Zwickauer Kohlenbassin, das seine meisten und ergibigsten Aufschlüsse Meyern verdankt; er arrondirte seine ausgedehnten Eisenstein-Concessionen im baierschen, meiningischen, schwarzburg-sondershäusischen und rudolstädtischen, kurhessischen, sächsischen und lobensteinschen Gebiet derart, daß der Möglichkeit einer gefährdenden Concurrenz für alle Zeiten und Fälle vorgebeugt war, und auf diese großartige Weise ausgerüstet und vorbereitet, ging er an die Erbauung des Neuhauser Eisenwerks. Außerdem betrieb er noch zu gleicher Zeit weitläufige Braunkohlenwerke an der Rhön; Eisenstein-, Kobald- und Nickelgruben im meininger Unterland; Steinkohlenwerke bei Eisfeld; Kupfer- und Silbergruben im Rudolstädtischen; Braunsteingruben, Schiefer- und Marmorbrüche, Torfstiche etc., und verwaltete diesen kolossalen Besitz, der an Montanausdehnung der bedeutendste in Deutschland ist, mit eben so großer Umsicht als Energie. Die dazu im Verhältniß stehenden enormen Mittel des Aufwandes wußte sein nie verlegener Speculationsgeist und sein ihm ganz eigenthümlicher Aufopferungssinn ohne Unterlaß zu beschaffen. Schon leuchteten ihm Erfolge, schon durfte er sich der ihm zu gönnenden Hoffnung hingeben, er werde der Endschaft seiner Riesenarbeit und der glücklichen Ausführung seiner in ihrer Art einzigen Pläne in’s Auge sehen dürfen, zu welchen er schon die Hälfte des Wegs zurückgelegt zu haben sich schmeicheln konnte – da überraschte ihn die Revolution des Jahres 1848 an der Spitze von zweitausend Arbeitern, und warf ihn von der schwindelnden Höhe der selbstgewählten Bahn hinab in den Sumpf und das Wirrsal einer zerbrochenen riesenhaften Lebensaufgabe. Alle die traurigen Folgen, welche die Ereignisse jenes und der darauf folgenden Jahre für die Interessen der Arbeit und des industriellen und merkantilen Verkehrs mit sich brachten, kamen in schlimmster Weise über Meyer’s halbfertige Unternehmungen, und brachten sie bald genug fast zum gänzlichen Erliegen. Eine lavinenartig anwachsende Schuldenlast wälzte sich auf Meyer’s Person, und drohte ihn mit all seinen fruchtbaren Ideen und hingestellten Thaten in den tiefsten Abgrund des Verderbens zu reißen.

Da, in der Stunde der höchsten Gefahr, bewährte sich die alte Kraft seines Genius als eine gottverwandte! Je rasender der Sturm, desto gewaltiger die ihm widerstehende Titanenkraft. Was der Sturm auch hinwegriß, er selbst, der große Mann, stand wie ein Fels in der Brandung, als wären seine Füße mit Eichenwurzeln im Boden befestigt. Seine so oft erprobte fast übermenschliche Geistesgegenwart in allen Fährlichkeiten des geschäftlichen Lebens; seine bewunderswerthe Geschicklichkeit in Benutzung aller sich darbietenden Chancen und Umstände; seine unerschütterliche Ausdauer und eiserne Arbeitskraft hielten ihn und seine Werke aufrecht. Und so zahlreiche Steine des Vorwurfs auch niedrige Gesinnung seiner persönlichen Widersacher, schmutzige jüdische Speculationssucht und erbärmliche Raublust, Engherzigkeit und getäuschte Hoffnung seiner frühern sogenannten Freunde auf ihn schleuderten: von allen unbefangenen, parteilosen und verhältnißkundigen Beurtheilern wird ihm das einstimmige Zeugniß, daß die Erhaltung des werthvollen und zukunftreichen Besitzes, und damit die Garantie für die bedeutenden fremden, seinen Unternehmungen zugewendeten Capitale einzig und allein seiner entschlossenen pflichtgetreuen Haltung, dem vielseitigen Andrängen und Versuchen zu seinem Sturze gegenüber, zu danken sei.[1]

Man wird die schier märchenhafte Thätigkeit Meyer’s seit dem Jahre 1842 erst in ihrem rechten Lichte erblicken, wenn man erfährt, daß seine Gesundheit von diesem Zeitpunkte an eine wankende war. Seit der geschilderten Geschäftskrisis schlagähnlichen Anfällen und Krämpfen ausgesetzt, die, durch übermäßige geistige Anstrengung und heftige Gemüthsbewegung herbeigeführt, ihn plötzlich überfielen und an den Rand des Grabes versetzten, konnte sein Leben nur durch die äußerste Sorgfalt und Pflege erhalten werden. Dennoch erlag es einem solchen zu heftigen Anfalle am 27. Juni 1856.

Was Meyer geschaffen liegt der Welt zur Beurtheilung vor; er ist darob verwundert und geschmäht, viel gehaßt und viel geliebt worden. In dem Urtheil stimmen Feinde und Freunde überein, daß er einer der außerordentlichsten Menschen war, die über die Erde gegangen sind. Das auch müssen ihm Alle einräumen, daß er ungemein befruchtend auf die nächste Zukunft der socialen Entwickelung eingewirkt hat. Der ungeheuere Umschwung des Lebens in den Ideen und der daraus erwachsenen Umgestaltung der Verhältnisse, der gewaltige Trieb und Betrieb des heutigen Geschlechts, er ist zum großen Theil Meyer’s Werk. Er war über das, was er wollte und erstrebte, sehr klar. „Erst muß das Volk seine Dichter für ein paar Groschen erhalten,“ sagte er mir einst, „damit ihm der Geist geweckt werde und es richtig fühlen und denken lerne; dann muß es mit der Natur und ihren gewaltigen Kräften, soweit die heutige Wissenschaft sie kennt und beherrscht, vertraut gemacht werden, damit es begreift, was es zu thun hat. Endlich muß man ihm die Geschichte der Völker in die Hand geben, damit es erkenne, wie sehr die Menschheit auf dem Wege nach einer großen allgemeinen Glückseligkeit geirrt und gefehlt hat, damit es diese Irrthümer und Fehler vermeide. Neben diesen Mitteln zur Erkenntniß muß man ihm auf der einen Seite das Schöne, auf der andern das Gute bieten, jenes in der Kunst, dieses in der Arbeit. Ein so sittlich und wissenschaftlich gebildetes Volk wird vernünftig arbeiten, sich vernünftig freuen und ein vernünftiges Staatsleben führen. An der Erreichung dieses Zweckes laßt uns genügen!

Das waren Meyer’s Ansichten und danach hat er gehandelt. Er war im vollsten und schönsten Sinne des Wortes ein Mann der Zukunft, und in diesem Sinne habe ich ihn einen Morgenstern genannt.

Ein wie viel besprochener Mann Meyer aber auch war; sein eigentliches inneres Wesen, den Zauber seiner Persönlichkeit haben, bei der Abgeschlossenheit seiner Lebensweise, doch verhältnißmäßig nur Wenige erkannt, die Meisten geradezu verkannt. In ihm ist eine der seltensten und herrlichsten Erscheinungen dahingegangen. Von der unerschöpflichen Thatkraft, welche in dem Manne wohnte, von seinem reichen umfassenden Geiste gibt auch die flüchtigste Skizze seines Wirkens Kunde: von der unerschöpflichen Liebe, die ihn beseelte, von der unendlichen Güte und Milde seines Herzens wissen nur die zu reden, die seinem häuslichen Kreise anzugehören oder nahe zu stehen so glücklich waren. Und alle diese preisen es als ein hohes Glück, vom Strahl seiner Liebe berührt oder erwärmt

  1. Zum Beweis, wie mächtig und vertrauenerweckend M.’s persönliches Wesen auf wahre Menschen wirkte, diene Folgendes. Zwei mir befreundete Damen von edler Abkunft und noch edlerer Gesinnung, Schwestern und begütert, hatten M.’s Laufbahn mit dem Auge der Bewunderung verfolgt, und ihm ein nicht unbedeutendes Capital in’s Geschäft gegeben. In dieser gefährlichen Zeit reiseten sie selbst nach Hildburghausen. um zu retten, was zu retten sei. M.’s persönliche Bekanntschaft, sein großartig, plastisch ruhiges Wesen imponirte ihnen nicht nur, es entzückte sie dergestalt, daß sie voll seines Lobes in ihre Heimath zurückkehrten, und ferner ganz unbesorgt um ihr Capital waren. „Und wenn wir’s auch verlieren sollten,“ sagte die Eine dieser trefflichen Damen zu mir, „die Bekanntschaft dieses großen herrlichen Mannes, der uns wie einer der alten Patriarchen vorgekommen ist, wäre damit nicht zu theuer erkauft. Wer wie wir M.’s ganze Größe in seinem Hause zu sehen Gelegenheit gehabt hat, wird ihn nicht nur bewundern und verehren, er wird ihn auch lieben und ihm Alles anvertrauen.“
    Dieser Ausspruch ehrt ebenso den, welchem er galt, als die, welche ihn abgaben, und sein Werth wird noch durch den Umstand erhöht, daß er von zwei reinaristokratischen Damen einem Demokraten vom reinsten Wasser geweiht war.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_646.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2022)