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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Standpunkt. Dem Volke seine großen Dichter vorenthalte, sei eine Versündigung am Volksgeiste, an der ganzen Nation, welche die vollgültigsten Ansprüche an geistige Ausbildung habe. Hohe Preise der Dichterwerke seien aber eben die bezeichnete Sünde, welche grober Egoismus, auf Privilegien und Schutzbrief gestützt, so lang als möglich in seine Taschen ausbeute. Goethe und Schiller seien Eigenthum der Nation und nicht einiger Nachkommen dieser Männer und einer Buchhandlung, welche nach Belieben hohe Preise für die Werke dieser Dichter fordere. Jeder Deutsche muß sie drucken und verkaufen können. – Daß sich vom juristischen Standpunkte aus viel gegen dieses Räsonnement einwenden läßt, versteht sich von selbst. Inzwischen darf man die billigen Ausgaben, welche die Cotta’sche Buchhandlung in neuester Zeit von den in ihrem Verlage erschienenen Classikern veranstaltet und davon einen ungeheuren Absatz erzielt hat, geradezu als eine Folge der Meyerschen Bestrebungen bezeichnen. Es leuchtet in die Augen, welch großen Dank das deutsche Volk unserm Meyer schuldig ist.

Aber nicht blos als Nachdrucker, sondern als Buchdrucker überhaupt erfuhr Meyer die stärksten Anfechtungen. Die Reyhersche Buchdruckerei in Gotha besaß ein altes von allen Landesfürsten bestätigtes Privilegium, welches sie gegen Meyer geltend machte. Vergebens stellte dieser vor, daß er ja nur für seinen eigenen Verlag drucke, also mit dem Reyherschen Privilegium gar nicht collidire. Der herkömmliche Unsinn behielt, wie gewöhnlich, die Oberhand. Dazu trug viel bei, daß Meyer unter den hochgestellten und einflußreichen Leuten, die nicht an einem Ueberschuß von Genie und Bonhomie litten, viele Feinde hatte. Er konnte nicht katzenbuckeln und kriechen; er war kurz angebunden, geradeheraus und zuweilen gar grob. So wurde er denn in seiner Vaterstadt ein Gegenstand allgemeinen Aergernisses. Alle nur erdenklichen Hindernisse, die aus Zunftgesetzen, Gewerbszwang und gekränktem Autoritätsdünkel herzuleiten waren, wurden ihm in den Weg geworfen. Jedermanns Hand war gegen den „tollen Abenteurer,“ welcher noch vor wenigen Jahren Kattun und Band verkaufte, dann in London und Weilar „verrückte Dinge getrieben,“ nachher den „Shakespeare verbessert“ hatte und nun in der sehr ehrbaren Stadt Gotha ein „Nachdruckergeschäft“ etabliren wollte. Das Geschrei gegen ihn war groß; er kam nicht viel aus dem Gerichtssaale des Rathhauses.

Aber damit war der Hader und der Streit, den Meyer durchzukämpfen hatte, noch lange nicht erschöpft; die ganze Buchhändlerwelt, die sich in ihrem süßen Schlendrian durch diesen naseweisen Eindringling gestört sah, entbrannte in Zorn gegen ihn. Man wollte seine Verlagserzeugnisse nicht auf dem herkömmlichen Wege expediren; man griff ihn öffentlich mit Hohn und Spott an. Meyer wählte sogleich einen anderen Weg; er vertrieb seine Bücher durch die Post und Colporteure; er schrieb Entgegnungen auf die erfahrenen Angriffe und erlittene Behandlung, welche Meisterstücke genannt zu werden verdienen. Außer den göttlichen Grobheiten Jean Pauls las ich nie Aehnliches in diesem Genre. Bald spielte er mit dem Feinde wie die Katze mit der Maus, bis er ihm plötzlich den Kopf abbiß, bald vernichtete er ihn gleich, machte ihn wieder lebendig, um ihn nochmals todt zu schlagen und zu begraben. Damals traten die beiden Hauptrichtungen seines geistigen und seelischen Wesens schon scharf und deutlich hervor: gegen die ihm feindliche Außenwelt die gigantische stachlige Natur, der mit der Keule dreinschlagende Herkules, in seinem Hause Friede und Freude, thätige Ruhe, ruhige Thätigkeit, poetischer Cultus der heitern sanften Götter des Heerdes, das Glück zärtlicher Liebe und Eintracht. Der kämpfende Herkules war hier ein sanftes Kind, mit einem andern Kinderherzen aufs Innigste verbunden. Seine geliebte Minna war seit 1825 sein Weib. Um diese Zeit war’s, als ich zuerst mit Meyer in Verbindung trat und für ihn arbeitete.

Nie sah ich ein glücklicheres Ehepaar, nie ein reizenderes Bild in sich abgeschlossener befriedigter Häuslichkeit. Die junge hübsche Frau arbeitete mit ihrem Manne als Buchhalter; es war ein ungemein wohlthuender Anblick, sie emsig schreibend ihm gegenüber am Schreibpulte stehen zu sehen.

Nach langen Jahren – fast einem Menschenalter – bietet sich mir jetzt zum ersten Male ungesuchte Gelegenheit, die tiefgerührte Bewunderung öffentlich auszusprechen, welche mir die sittige, bescheidene und gleich ihrem Gatten nach allen Seiten hin unermüdlich thätige Frau einflößte. Nie hab’ ich wieder so viel wahre echte Tugenden in einem Weibe beisammen gesehen, nie bot sich mir wieder ein so vollständiges Bild einer deutschen Hausfrau. Nie sah ich auch wieder in solch’ idealer Schönheit und Vollkommenheit die Harmonie des ehelichen Zusammenlebens, nie paßten Eheleute besser zusammen. Frau Meyer war die weibliche Kehrseite ihres Gatten; sie verstand nicht nur seinen universellen Geist vollkommen, sie besaß auch diejenigen schönen Talente und Eigenschaften, welche diesem Geiste als Stützen und Ergänzungsmittel zu dienen eben so geschickt als willkommen waren.

Und so ist diese, treffliche Frau längere Zeit, namentlich so lange der Ausbau des bibliographischen Instituts der hauptsächliche Gegenstand der Sorge und Thätigkeit Meyer’s war, ein sehr wichtiger und wirksamer Factor im Gedeihen desselben gewesen und hat, wie die meinige, oft die Bewunderung Aller erregt, denen zu beobachten Gelegenheit geboten war, mit welcher wahrhaften Virtuosität sie ihre Obliegenheiten als Mutter und Hausfrau, mit den von ihr so lebhaft verfolgten und geförderten Geschäftsinteressen zu verbinden wußte.

Es ist für die rührende Gattenliebe, die großartige Energie, den edlen Stolz und den ehrenhaften Unabhängigkeitssinn Meyer’s und seiner Lebensgefährtin bezeichnend, daß während des lebhaftesten Betriebs des Geschäfts er keinen Comptoirgehülfen und sie keine Dienstmagd hatte. Außer einem beträchtlichen Theil der Comptoirarbeiten besorgte Frau Meyer vorzüglich die Auswahl und die Redaction der in die vielerlei Ausgaben der Classiker aufzunehmenden Stücke. Kann man sich ein wohlgefälligeres Bild denken, als das einer jungen anmuthigen Frau, die, wenn sie in der Küche und Kinderstube treu und emsig gewaltet, auf dem Comptoir des Gatten Berge von Arbeit bezwingt und dann in den Mußestunden aus den Geisteswerken deutscher Schriftsteller die treffende Auswahl für das deutsche Volk trifft? Man wird gestehen müssen, die Frau war in ihrer Art so ausgezeichnet, wie der Mann in der seinigen, und Beide ein höchst seltenes und sehr ehrenwerthes Ehepaar.

Der sehr gescheidte Chef eines Dikasteriums in Gotha hatte, der Sage nach, geschworen, er wolle Meyer aus der Stadt treiben oder selbst davongehen. Meyer begriff, daß er werde weichen müssen, und sah sich nach einer Zufluchtsstätte um. Die Einladung des regierenden Herzogs von Sachsen-Meiningen, sich in seinem Lande niederzulassen, wo ihm alle nur erdenklichen geschäftlichen, gewerblichen und geistig tendentiösen Freiheiten gewährt werden sollten, bestimmte Meyer, im Herbste 1828 nach Hildburghausen überzusiedeln. Er wurde dieser Stadt mit seinem großartigen Etablissement bald ein Ersatz für den Hof, welcher kurz zuvor nach Altenburg gezogen war. Für Gotha ist Meyer’s Austreibung ein nicht zu berechnender Verlust gewesen, und gewiß wäre dieser unverzeihliche Mißgriff nicht geschehen, wenn die neue Regierung den Mann und die Verhältnisse genau kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hätte.

Mit Meyer’s Einrichtung in Hildburghausen beginnt eine neue Periode seiner Wirksamkeit, die des großartigen Aufschwungs, des materiellen und geistigen Wachsthums, welches, unterstützt von geldkräftigen Freunden, zwanzig Jahre lang (bis zum Jahr 1848) in ununterbrochener Ausdehnung begriffen gewesen ist. Die Geschichte dieser in ihrer Art einzigen Entwickelung kann natürlich hier nur angedeutet werden. Für viele in Meyer’s späterem Leben auftretenden ungewöhnlichen Erscheinungen fließen mir auch keine Quellen, doch verdiente Meyer mehr, als viele Andere, einen tüchtigen mit allen Verhältnissen vertrauten Biographen, damit Deutschland die Kraft, Tüchtigkeit, die ungeheuere, schier fabelhafte Thätigkeit und den großen Sinn dieses ausgezeichneten Mannes nach allen Seiten hin und in allen Einzelnheiten genau kennen lernte.

In den ersten Jahren zu Hildburghausen traten zu den bisherigen mit übergesiedelten Unternehmungen die Anfänge des Kunst- und kartographischen Verlags, welcher hernach so ungemein große Resultate lieferte.

Das Jahr 1830 rief unsern Meyer, wie viele Andere, auf das politische Gebiet; er wurde sich seiner Kraft auch nach dieser Richtung bewußt und auf dem festen Flügel seines Genius erreichte er den hohen, alles beherrschenden Standpunkt, von welchem aus er bis an sein Ende die werdende Geschichte der Völker so richtig und wahr beurtheilte. Zwar wurde das von ihm gegründete politische Blatt „der Volkfsreund“ bald unterdrückt, aber er schuf sich sogleich ein anderes Organ, welches durch die Kühnheit,

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