Seite:Die Gartenlaube (1857) 621.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

durch ihre, von architektonischem Reichthum strotzenden Linien, und so fand ich es auch recht – aber sonderbar, daß ein junger Mann (natürlich ein Engländer) mit seiner Inamorata und Lohndiener inmitten einer neugierigen Jugend aquarellirte.

Die Vormittagsstunden des nächsten Tages waren noch in ihrer Kindheit, als wir schon wieder Bamberg hinter uns hatten, und am Main entlang auf dem Wege nach Würzburg waren. Trostloser Regen und die vielen Schwarzröcke mit den unheimlichen Physiognomien stimmten uns mißmuthig, und wir verwünschten den langsamen, schleppenden Train. Bis hierher schien das in manchem Comptoir so weise angeschlagene Wort „Zeit ist Geld“ noch nicht gedrungen zu sein, denn es ist zu entsetzlich, wenn man bedenkt, daß ein bairischer Güterzug mit Personenbeförderung ebenso schnell fährt, als eine preußische Courierpost. Möglich, daß dergleichen Langweiligkeiten an einem unbeholfenen Lokomotivführer liegen, die, wie ich hörte, hier nur täglich einen Gulden bekommen. Gewisse Kräfte und besonders solche, die viel Verantwortlichkeit auf sich nehmen müssen, können nur zu gewissen, d. h. hohen Preisen erhalten werden. Viele sind berufen, aber Wenige sind auserlesen. – Das geflügelte Rad auf den Mützen der Bahnwärter, auf den Wasserpumpen etc. scheint mir mehr eine Ironie, als ein Sporn für die Beamten der Eisenbahn zu sein. Jedenfalls ist diese Allegorie in jener Gesellschaft für den Augenblick unverständlich. –

Eng bestrumpfte Pfaffen, bebänderte Officiere, Pharisäer und Schriftgelehrte empfingen uns auf dem Perron des Bahnhofes zu Würzburg – in Erwartung des Königs von Baiern, und spreizten sich hochmüthig im Glanze ihrer Livreen. Wir aber durchbrachen unbeirrt ihre Reihen, und freuten uns über den ersten Eindruck, den die Residenz der einstigen „Frankenherzöge“ auf uns machte. Imposant lag das ehemalige fürstbischöfliche Palais vor uns und dies, wie sein heimlicher Park mit steinernen Nymphen und Titanen, mit Springbrunnen und Marmortreppen entathmete den wollüstigen Hauch des vorigen Jahrhunderts. Der Schöpfer desselben, Joh. Bapt. Neumann, ein geistreicher Mann (früher Stuccateur, später Obrist), scheint auch den alten, aus allen Jahrhunderten zusammengesetzten Dom ausgebaut haben. Die ungeheure Wölbung des Mittelschiffes, mit der ausgesuchtesten Feinheit in weißem Stuck auf das Reichste verziert, ist das Erhabenste und zugleich Heiterste, was ich an diesem Baustyle kenne. Viele schöne Denksteine für entschlafene Kirchenfürsten schmücken die Pfeiler.

Ein anderes großartiges Gebäude ist die Universität, die älteste der deutschen Hochschulen, die besonders in der medicinischen Facultät Sterne erster Größe erzeugte. – Doch mehr sollte uns nicht gegönnt sein, von Würzburgs historischer Architektur kennen zu lernen, da wir, auf der schönen massiven Mainbrücke angekommen, um nach der auf hohem Berge thronenden Festung Marienberg zu wandern, wiederum von dem ewigen Regen überfallen und gezwungen wurden, den am meisten verbreiteten Ruf, die Weine, mit kritischer Zunge zu untersuchen. Das Gasthaus „zur Rose“,

Der Lord-Destillateur in Kissingen.

welches uns von einem feinzüngigen Gastronomen empfohlen war, wurde das Prüfungslocal und Herr König, der freundliche Wirth, ließ eine vortreffliche Reihenfolge vom Zwölf-Kreuzer- bis zum Leisten-Wein die Gurgeln der strengen Richter passiren, und beobachtete mit Befriedigung das bei jeder neuen Sorte wohlgefälligere Schlürfen und Kopfnicken derselben. Die uns umgebende zahlreiche Gesellschaft war die süddeutsche Gemüthlichkeit selbst, und höhere Officiere und Bauern saßen in liebenswürdiger Einigkeit nebeneinander. Welch vortheilhafter Unterschied gegen unser abgesperrtes Kastensystem! – Eine besondere Eigenthümlichkeit der auf Wein bezüglichen Stadtverwaltung ist das den Bäckern ertheilte Recht, denselben auszuschenken, und als wir auch noch den hervorragendsten dieser Sorte, den „Fiscals Beck“, mit dem Prädicat „sehr gut“ verlassen, mußten wir Würzburg, das jetzt für uns der Ausbund aller Städte geworden, bis auf spätere Zeiten aufgeben.

Regen und Gewitter begleiteten uns auch jetzt, als wir nach Schweinfurt und von da per Post nach Kissingen fuhren, um auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege wieder den Thüringer Wald zu erreichen.

Ein Morgen in Kissingen ist wie ein Morgen in Wiesbaden, in Homburg, in Pyrmont, kurz wie an jedem anderen fashionablen Badeort. Die schöne Welt mit ihren Unterleibsbeschwerden trinkt an dem Ragotzi-Brunnen den heilsamen Quell, und läuft dann wie verbrüht die fast sterotype Promenade entlang, oder sie kostet ihn nur, mustert bei langsamem Schritt die Gesellschaft, und verläßt das Local. Zu Letzteren gehörten wir. – Herumschlendernde Kinder Albions mit extravaganten Toiletten und natürlich Berliner Juden war das Gros der sich an jenem Morgen kreuzenden Spaziergänger.

Zwischen Münnerstadt und Meiningen.

Ein kleines Anekdötchen, das in der Gesellschaft circulirte, darf ich nicht unerwähnt lassen: der reiche österreichische Fürst L. war vor einiger Zeit in dem Bade anwesend, und machte durch

Bei den Meininger Würstchen.

seinen prahlenden Pomp ein enormes Aufsehen. Vier reich galonnirte Diener begleiteten ihn stets, und am Brunnen wurde ihm der Trank in seinem eigenen Silbergeschirr von einem derselben gereicht. Da kam der König von X. und die Großherzogin

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_621.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)