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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

das Dampfschiff, welches kam, verschlingt ganze Boote voll frischer, silberner Heringe. Die Träger laufen en carrière, Dauben zu Fässern drängen sich hindurch, Hunderte von hölzernen Hämmern böttchern sie zusammen. Die Messer der Ausweiderinnen blitzen leidenschaftlich durch das spritzende Blut und die umhergeschleuderten Eingeweide der silbernen Legionen. Die zackigen zerrissenen Wände des Amphitheaters mit Purpurblumen und grauem Hederich, mit zackigen Farren und verzwergtem Gestrüpp schauen grimmig herab.

Bei alledem ist die schottische Heringsfischerei, weil die Lebensbedingung unzähliger öder Felsen und „Lochs“, sehr bedeutend. Im Jahre 1818 wurden mit zwei Millionen Geviert-Yards Netzen 116,000, und diesen Herbst in Wick allein mit 22 Mill. Geviert-Yards 82,000 Tonnen gefangen. Der ungeheuere Unterschied zwischen Auslage von Netzen und Ernte erklärt sich durch fortgesetztes Ueberfischen, wodurch an manchen Stellen die Heringe beinahe ausgerottet wurden. Einige Fischstationen sind ganz ausgestorben. Es gibt bestimmte, an verschiedenen Orten einheimische Racen von Heringen, von denen einige bereits zu den größten Seltenheiten geworden sind. Dies liegt auch an der unsinnigen Gier nach „Vollfischen“, die mit vollem Rogen und voller Milch gefangen jede nächste Ernte um unzählige Millionen verringern.

Die Herings-Industrie ist in jedem Stadium eigenthümlich. Sie verursacht für jede Erntezeit kleine Völkerwanderungen aus dem Innern nach den Häfen, wo gewöhnliche Arbeitsleute, allerdings außer Kost und Logis, nur 5–6 Pfund (30–40 Thaler) für jede Ernte erhalten, dabei aber noch oft das Doppelte und Dreifache als Sporteln und Gratificationen gewinnen. So kommen, von hohem Gewinne angelockt, allein von der Insel Skye und den benachbarten kleineren Inseln 5–6000 Personen – ganze Familien – herbei und bevölkern die sonst Monate lang von keinem lebenden Wesen betretenen Loch-Wildnisse mit der kunterbuntesten Thätigkeit. Die Fischer oder Bootbesitzer miethen sich Leute je nach den Bestellungen, welche die „Einsalzer“ (ein bestimmter Stand und ein besonderes Gewerbe) machen. Letztere stehen mit den großen Heringshändlern in Stettin und sonstigen Ostseestädten in kaufmännischer Verbindung (oft allerdings nur durch weitere Mittelspersonen) und contrahiren mit denselben auf Lieferung einer gewissen Anzahl von Tonnen zu einem festgesetzten Preise, worauf sie oft Vorschüsse erhalten. Auf Grund dieser Lieferungscontracte contrahirt der Einsalzer mit dem Fischer auf Lieferung einer bestimmten Zahl von „Crans“ (ein Maß, das mehrere Tonnen, ich weiß nicht, wie viel, umfaßt), der Fischer auf Grund dieses Contracts mit Hülfsfischern und Tagelöhnern. Werden mehr, als der Contract verlangt, gefangen, bekommen die Leute auf jedes Boot bestimmte Gratificationen. Der Einsalzer liefert die Tonnen, das Salz und was sonst zur Verarbeitung und Verpackung gehören mag. Die Erntezeit für den „vollen Fisch“ erstreckt sich über die letzten Frühlings- und ersten Sommermonate, während welcher sich die Heringe in bestimmten Divisionen vom Norden her an der Westküste Schottlands vertheilen, um für ihre Nachkommenschaft zu sorgen. Sie fallen dabei oft in ein Netzwerk von 1000 englischen Meilen Ausdehnung (bei Wick und Dunbar) und opfern nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen. Und man weiß, daß eine einzige Heringsmutter auf einmal die Keime zu 5 bis 10,000 Kindern legen kann. Es ist daher ein großer Unsinn, besonders auf den vollen Fisch Jagd zu machen und sich nicht, wie die Holländer, auf Matjes zu beschränken. Andere Fische, wie z. B. der Lachs (davon ein zweiter Artikel) werden während der Laichzeit sorgfältig geschont; die Heringe fängt man just während derselben, so daß am Ende auch selbst der fruchtbarste und populärste Fisch selten und theuer werden mag.




Was ich im Lande der Thüringer und Franken fand.
Illustrierte Reiseskizze von Ludwig Löffler.
(Fortsetzung.)[1]

Als wir am Morgen erwachten, lag der Markt von Suhl offen und freundlich vor uns, und über den modernen Häusern ragte der buschige Domberg hervor. Wir bestiegen einen Theil desselben und hatten einen dürftigen Blick über Stadt und Umgegend, da letztere von verhängnißvollen Wolken größtentheils überschleiert war. Eine Kapelle auf dem hervorragenden Felsstück Ottilienstein ist das Andenken an einen zweiten Toggenburg, der von hier aus seine Geliebte – erschoß, ein zweiter Stein, der die Inschrift führt: „Dem Helfer Keferstein im Nothjahr 1852.“ ist das Denkmal für jenen edlen Mann, der damals durch eine Collecte 600 Thaler zusammenbrachte, und hierfür Brod für die Armen backen ließ. Denn zwischen dem Korn und der Bevölkerung Suhls ist ein arges Mißverhältniß, da der Ertrag der Felder für die 10,000 Einwohner höchstens auf einen Monat reicht, die übrigen elf Monate aber Alles gekauft werden muß.

Eine antediluvianische Chaise mit zwei muthigen Füchsen, geleitet von dem ehemaligen Postillon Kümmel, entführte uns dem Getöse der Gewehrfabriken und Blechhämmer und jemehr wir uns aus dem Qualm der Betriebsöfen entfernten, desto mehr zertheilten sich die Wolken, und bei ganz heiterem Wetter erreichten wir Schleusingen. Hiermit waren wir in das einst weitläufige Gebiet der Henneberger gekommen, deren altes Schloß, die Bertholdisburg, fast noch unversehrt, die Wohnungen des Landraths und Oberforstmeisters enthält. Seine festen Thürme und Mauern haben Zerstörungen mancherlei Art um sich herum gesehen, und dennoch scheinen sie wohl geeignet, noch manchem Jahrhundert Trotz bieten zu wollen.

Die Statue einer Gräfin von Henneberg, in der unbeholfenen Tracht des 15ten Jahrhunderts, ziert die Spitze eines Brunnens, neben dem an jenem Tage die grünen Reste eines fossilen Gensd’armen wehmüthige Erinnerungen an „verbotenes Tabaksrauchen“ und liebevolles „zaruck“ in den Söhnen Berlins auftauchen ließen.

Während eines heiteren Frühstücks, dem das schwarze Spritzleder unseres Wagens als Tisch diente, und der lehrreichen, oft erotischen Mittheilungen unseres biederen Kutschers, erreichten wir Hildburghausen, und entfernten uns auf diese Weise immer mehr und mehr vom Thüringer Walde, um einem kleinen Gelüste nach Koburg und ein wenig Baiern zu genügen.

Hildburghausen ist ein hübsches Städtchen in ziemlich altem Styl. Wunderbare Gossen an den Dächern einiger Häuser führen auf die nicht sehr gewagte Vermuthung, daß ein Klempnermeister seiner Vorliebe für getriebene Arbeit in höchst abnormen Formen fröhnt. Ein altes Wappen über dem Thorwege des Rathhauses zeigt eine Jungfrau und einen bärtigen Mann in dem Negligé unserer Ureltern vor dem Sündenfall, die sich um ein Wappen zerren. In wohllautenden Versen, die dies charaktervolle Bild umgeben, wird die Dame aufgemuntert, nicht nachzugeben. Ha, welche Moral! – Das Schloß am Werrafluß ist groß und zopfig, und verbirgt die Sitzungen des Oberlandes-Gerichts von Sachsen-Meiningen.

An dem Mittagstisch im „sächsischen Hof“ erfreuten uns wieder einmal zwei Weinreisende durch ihre belehrende Unterhaltung, indem sie von der Bereitung des Weines sprachen, und auf diese Weise das „Ganze des Geschäfts“ entlarvten. Sie erklärten in einer wahrhaft naiven Unbefangenheit die Heidelbeeraufgüsse mit den Versetzungen von Alkohol. Der Eine derselben, wenig behaart und daher mehr blasirt, hatte in einem Destillationsgeschäft seine Studien in „langsamer Vergiftung“ begonnen, während der Andere, ein blonder, stark behaarter, gescheitelter und geschniegelter Elegant seines Standes, als der Sohn eines renommirten Hauses mißmüthig erklärte, daß oft seine Weine bei dem besten Willen, den er in der Zubereitung derselben zeige, schlecht befunden würden. Armer Junge mit dem ungarischen Schnurrbart und den falsch gebrauchten Präpositionen: die Arbeit wird selten nach Verdienst anerkannt.

Am Nachmittage ging es durch angenehme, oft malerische Dörfer, in denen aber zwei arge Verirrungen der Zopfzeit besonders störend in’s Auge fallen. Es sind die mit allerlei Staniolverzierungen beklebten Schieferhäuser und dann hauptsächlich die

  1. Siehe Nr. 38.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_619.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)