Seite:Die Gartenlaube (1857) 617.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Kinde großen Kummer zu machen und mir den Namen eines groben Mannes zuzuziehen gefürchtet hatte, – haben veranlassen können, in laute Verwünschungen über die Bornirtheit jenes homöopathischen Unheilkünstlers auszubrechen. Denn nur durch die ganz einfältige Behandlung desselben war das arme Mädchen, welches an ihrem Hochzeitstage dem Bräutigam mit dem Myrthenkranze auf dem Lockenköpfchen entgegenzutreten und zu gefallen hoffte, so ziemlich ihres ganzen Haarschmuckes für das ganze Leben beraubt. Ja, die meisten der wenigen noch vorhandenen Haare mußten, um Heilung zu erzielen, auch noch herausgezogen werden, und von Hoffnung auf ein Wiederwachsen der Haare war gar keine Rede. – Ich möchte nur wissen, ob es wirklich Menschen gibt, die bei solchen und ähnlichen homöopathischen Unthaten ruhig und artig bleiben können.

Was zeigte sich denn nun auf dem Köpfchen unserer Kleinen? Zwischen einer schwefelgelben, pulverigen Masse, die an manchen Stellen wie die Waben eines Bienenstockes, an anderen Stellen dagegen in Form größerer Grinde erschien, ragten dünne Büschel dürrer, entfärbter und gespaltener Haare hervor. Hier und da sah man auch schon weiße, glänzende, kahle Stellen auf der Kopfhaut zwischen jenen gelben Massen. Schon bei sanftem Ziehen gingen die Haare aus.

Jeder vernünftige Arzt, welcher sich etwas genauer eine solche kranke behaarte Kopfhaut besieht, weiß nun sofort, daß jene schwefelgelbe Masse aus Pilzen besteht, die ebensowenig wie Läuse und Flöhe durch innere Arzneien, wohl aber durch eine passende äußere Behandlung entfernt werden können. Er weiß ferner, daß dieser sogen. Wabenkopfgrind (Favus, Tinea favosa), – der sich zuerst in Gestalt einzelner kleiner schwefelgelber, von einem Haare durchbohrter Pünktchen (über den Ausführungsgängen der Talg- und Haarsäckchen sitzend und trichterförmig in die Tiefe dringend) zeigt, die später zu schüsselförmigen, einem umgekehrten Krebssteinchen ähnlichen, gelben Schorfen heranwachsen, – daß dieser Grind ansteckend ist und deshalb, wenn er nicht ordentlich behandelt wird, möglicherweise nach und nach eine ganze Familie enthaaren kann, gerade wie die von einer Milbe erzeugte Krätze (s. Gartenl. 1857. Nr. 4.) bei homöopathischer Behandlung sich ebenfalls über alle Glieder einer Familie zu erstrecken und erschrecklich zu peinigen im Stande ist. – Der vernünftige Arzt weiß auch noch, daß, wenn dieses Pilzleiden lange anhält, bisweilen die ganze körperliche und selbst geistige Gesundheit untergraben werden kann. Das ist aber einem gewissenlosen Homöopathen ganz gleich, der opfert ganz ruhig Leben und Gesundheit seiner Mitmenschen seinem dummen Aberglauben. Sollte denn die Zeit nicht bald kommen, wo solche offenbare ärztliche Verbrechen gerichtlich verfolgt und bestraft werden? Ich schlage vor, daß jeder Homöopath, welcher den Wabenkopfgrind nur durch die innere Anwendung seiner Hauptmittel „Staphysagria und Hepar sulphuris“ zu heilen die Frechheit hat, so lange diese Hauptmittel im Gefängniß selbst einnehmen muß, bis ihm Favuspilze auf dem Kopfe wachsen und er zum bemoosten Haupte wird.

(Nächstens mehrere solche Beispiele.)

Bock.




Die Ernten aus dem Wasser.
I. Die schottische Heringsfischerei.

Der größte Theil unserer Erdoberfläche ist mit Wasser bedeckt oder vielmehr nur ein kleiner Theil unserer Kugel wasserfrei und hoch genug gehoben worden, daß die unersättlichen Oceane nicht mehr über sie hintoben können. Aber vom Wasser kann man nicht leben, am wenigsten vom Meerwasser, das die Erdoberfläche in unbestrittener Majorität beherrscht, so daß wir Menschen uns auf den Paar trockenen Stellen, genannt die fünf Erdtheile, zusammendrängen und uns mit deren Früchten begnügen müssen.

Das scheint so, ist aber nicht wahr. Wir verdanken dem Wasser mehr Lebensmittel, als der Erde. Abgesehen von dem produktiven Verkehre auf allen Flüssen und Meeren und dem Regen wachsen in den Flüssen und Meeren die unerschöpflichsten Ernten, deren Ackersleute nach Millionen zählen und deren Erträge für andere Millionen Jahr aus, Jahr ein die Hauptnahrung liefern. Und geräuchert und gesalzen gehen die Fische bekanntlich durch alle Welt bis in die tiefsten Binnenländer. Ja sogar in Leipzig und Dresden kann man neue Heringe zu neuen Kartoffeln essen, ohne den folgenden Morgen seinen Bankerott anzukündigen. Der in Stroh gewickelte, aus der Tasche des Landmannes duftende Hering, wenn er vom Jahrmarkte nach Hause jubelt, beweist durch alle Gauen Deutschlands, wie reichlich die Ernten aus dem Meere sein müssen, um noch wohlfeil in die meerentlegensten, ärmsten Taschen und kärglichsten Häuslichkeiten zu reichen.

Die Fruchtbarkeit der Gewässer ist unglaublich, unerschöpflich, aber die Bewirthschaftung derselben um einige Jahrhunderte hinter den Land-Industrien zurück, so daß bis jetzt kaum ein Hundertstel der Reichthümer und Genüsse, die in Meeren, Seen und Flüssen ewig quellend und reifend ohne Pflügen und Säen zum Ernten einladen, wirklich herausgefischt wird. Die Fischergegenden sind überall die ärmsten, abergläubischsten, unbeholfensten und arbeiten noch wie vor Jahrhunderten, weil sich thörichter Weise keine Capitalisten und Actionäre, keine mechanischen Erfindungen, keine Naturwissenschaft bis an die Küsten und die Fischnetze ausdehnen. Wie viel ließe sich allein durch künstliche Zucht und Verbreitung delicater Fische gewinnen? Diese neue Kunst aber und der Dampf, der frische Seefische bis in die innersten Landorte zu liefern vermag, somit die ungemein gesteigerte Leichtigkeit des Fischverbrauchs, werden auch die Produktivität auf diesem unermeßlichen Acker steigern und den ärmsten Landmann mit noch ganz andern Fischfreuden bekannt machen, als mit dem versalzenen Hering und Kartoffeln. Bis jetzt ist der Hering unter unsern Breitengraden die Haupternte aus dem Meere und das eigentliche Brod der schottischen und norwegischen Küstenbewohner, so wie der armen Insulaner dazwischen. In Schottland hat die Heringsfischerei hauptsächlich [WS 1] der erst neuerdings gemachten Entdeckung, daß der Hering kein wandernder, sondern ein einheimischer Fisch ist, steigende Thätigkeit und Blüthe zu verdanken. Früher dachte man von einem Großvater zum andern, daß er jährlich aus dem Norden heranziehe, um in den Winkeln der Nordsee sein Geschlecht zu vermehren und dann wieder in’s arktische Eis zu ziehen. Jetzt fischt man den Hering um Schottland herum das ganze Jahr hindurch, im Mai bei Lewis, im Sommer um Edinburg herum und im Herbste um Yarmouth, dessen „bloaters“ in London täglich tausendfach ausgeschrieen und in Millionen verzehrt werden.

In den westlichen „lochs“ (Meeresbuchten) Schottlands fischt man selbst noch im Winter Heringe und an der Ayrshire-Küste vom Februar an bis Mai. Man hat also das ganze Jahr hindurch frische Heringe aus dem Meere, und wenn die Fischer erst etwas Gescheidtes von den kleinen Wanderungen und Ausflügen, von den Gewohnheiten und Sitten der Heringe wüßten, würden sie drei Mal so viel ernten als jetzt.

Um ganz Schottland herum blüht die Heringsfischerei mit besondern Stationen in Banff, Whitehill, Portsoy, Fraserburgh, hauptsächlich aber in Wick! Wick ist die schottische Heringshauptstadt und macht allein den vierten Theil aller anderen Geschäfte. Von dem auf 24 Millionen Thaler geschätzten Capitale, das in den schottischen Heringsfischereien steckt, beschäftigt es über 6 Millionen und liefert im Durchschnitt jährlich über 250,000 Tonnen Heringe, ganz Schottland aber nicht mehr als eine Million Tonnen. Um die ganze schottische Heringsfischerei statistisch anschaulich zu machen, geben wir den Census von 1855.

Von der Hauptstadt Wick an bis Peterhead hängen beinahe 100 Dörfer und Städte wie Trauben an der Küste entlang mit je 100 bis 10,000 Einwohner. Sie besitzen zusammen

3000 Heringsboote und 15,000 Fischer.
Zwischen Peterhead und
Anstruther 46 Fischerdörfer
1000 Heringsboote und 5000 Fischer.
Im Districte Leith:
 11 Stationen
 354 Heringsboote und 1100 Fischer.
Im Districte Eyemouth:
  7 Stationen
 225 Heringsboote und 1000 Fischer.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: hauptsächtlich
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_617.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)