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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sagte, Meta sei die Tochter eines Auswanderers, der in einer Herberge Bremens seinen Geist aufgegeben habe. Möller, der Schiffsmakler, habe sich großmüthig des vierjährigen Mädchens angenommen, da der Vater keine Papiere hinterlassen, aus denen seine Heimath zu ermitteln gewesen.

Bronner hatte nun zwar eine arme, aber eine schöne, liebenswürdige Gattin, die ihm eine Tochter, jene Louise, gebar, die wir bei Wilhelm Dewald kennen gelernt haben. Bronner blieb Commis, ward aber nach zehn Jahren seiner Stelle verlustig, da der Banquier starb, und die Erben das Geschäft auflösten. Nun trat eine traurige Zeit für die arme Familie ein. Der alt gewordene Commis fand keine passende Stelle, es wollte ihn kein Chef fest engagiren, da er stets kränklich war. Meta starb bald darauf am Zehrfieber. Die Lage Bronner’s ward so traurig, daß er die Unterstützung seiner Mitmenschen in Anspruch nehmen mußte. Er wandte sich auch an Dewald, der ein großer Kaufmann geworden war. Leberecht unterstützte ihn wirklich mit kleinen Summen, bis der alte Commis starb. Louise fand Aufnahme bei ihrer Freundin Albertine, die später Wilhelm Dewald, den Neffen des Consuls, heirathete.

Seit Bronner’s Tode, der fünf Jahre vor dem Beginne unserer Erzählung erfolgt war, hatte sich Leberecht nur wenig in seiner Geburtsstadt aufgehalten. Er hatte mit dem langen Joseph große Reisen gemacht, bis er endlich seine Solitüde kaufte, um auszuruhen. Den Titel Consul hatte er erhalten, weil er früher einmal die Consulatsgeschäfte eines kleinen überseeischen Landes verwaltet hatte. In Bremen sprach man nur wenig noch von dem alten Leberecht Dewald, denn er hatte keine Freunde, die ihn liebten, und keine Feinde, die ihn haßten; er war mit der Zeit eine vergessene Person geworden.

Wie man sieht, hatte der Consul die Absicht, ein ähnliches, an Bedingungen geknüpftes Testament zu machen, wie der Schiffsmakler Möller. Sollte ihn dabei die Erinnerung an die schöne Meta leiten? Oder sollte er Bronner wirklich das Versprechen gegeben haben, für seine Tochter zu sorgen?

Beobachten wir den Sonderling.

Am Tage nach dem Besuche Alexanders von Windheim ging der Consul, in einen Pelz gehüllt, nach dem Forsthause. Der Herbsttag war klar und schön, wenn auch frisch. Das alte Gebäude in dem desolaten Zustande lag in der reinsten Sonnenbeleuchtung da. Der Consul hatte es lange nicht gesehen, er war erstaunt über die herabhängenden Fensterladen, das zerrissene Ziegeldach und die des Kalks beraubten Wände.

„Hier will der Edelmann wohnen?“ murmelte er vor sich hin. „Wahrlich, der arme Mensch muß vollständig mit der Welt zerfallen sein. Ach, und vielleicht ist er glücklicher, als ich!“

Er wollte die Thür öffnen; sie war verschlossen. Auf sein Klopfen öffnete sich ein Fenster im ersten Stocke, und das bärtige Gesicht eines Dieners guckte heraus.

„Ist Herr Alexander von Windheim zu Hause?“

„Ja, mein Herr!“

„Kann ich ihn sprechen?“

„Er liegt noch im Bette. Wen soll ich anmelden?“

„Den Consul Dewald.“

„Auf den Befehl meines Herrn soll ich den Herrn Consul einlassen, so oft er kommt. Ich bitte, warten Sie ein wenig.“

„Der Mann findet Gefallen an mir, wie ich an ihm!“ lachte Leberecht.

In dem Innern des Hauses ließen sich die Schritte des Dieners vernehmen, der die Treppe herabkam. Gleich darauf ward die Thür geöffnet, die fast zusammenbrach, als sie aus dem Schlosse glitt. Jene dumpfe Luft, die sich in lange verschlossenen Häusern bildet, quoll dem Eintretenden entgegen. Kopfschüttelnd stieg er die mit Schmutz bedeckte Treppe hinan.

„Wie heißt Er, mein Freund?“ fragte er den Diener.

„Tobias, Herr Consul!“

„Ein biblischer Name. Er gefällt mir.“

„Mir nicht, Herr Consul!“ brummte der alte grämliche Diener.

„Warum?“

„Weil mein alter Namensvetter blind war, und weil ich vielleicht dieses Schicksal mit ihm theile. Je älter ich werde, je schwächer wird mein Auge.“

„Füge Er sich dem Willen Gottes.“.

„Ich muß wohl, Herr Consul.“

„Und werde Er weise, wie Tobias.“

„Wollen einmal sehen, wie weit wir es hier bringen.“

Tobias öffnete eine Thür. Der Consul trat in ein Giebelzimmer, das noch ziemlich gut erhalten war. Die wenigen Möbel, die man Tags zuvor aus der Villa herübergeschafft hatte, machten es wohnlich. Alexander von Windheim hatte das Bett verlassen; er empfing den Gast im Schlafrocke, der, wie alle seine Kleider, höchst elegant war. Die Männer begrüßten sich wie alte Freunde, trotzdem sie sich nur erst einen Tag kannten.

„Hier also wollen Sie wohnen?“ fragte er.

„So lange ich kann, und wenn es möglich ist, so lange ich lebe!“ antwortete Alexander, indem er sich eine Cigarre anzündete, die er aus einem gefüllten Reisekoffer genommen hatte. „Des Lebens unter den Menschen bin ich so müde, daß mir diese Einsamkeit Erholung gewährt. Herr Consul, ich erlaube mir eine wichtige Frage an Sie zu richten.“

„Was wollen Sie wissen?“

„Gibt es Frauen in dieser Gegend?“

„Außer meiner Haushälterin, einem alten Weibe, keine.“

„Man kann also die nächsten Waldungen durchstreifen, ohne fürchten zu müssen, einem jener Geschöpfe zu begegnen, die zur Plage der Männer geschaffen sind?“

„Zuverlässig, mein Herr.“

„Gut; so ist eine Furcht beseitigt, die mich die ganze Nacht gequält hat.“

„Fürchten Sie denn die Frauen?“

„Wie Gespenster, wie Dämonen. Oft erscheinen sie mir im Traume, und ich wache erschreckt auf. Die eine streckt die Hand nach mir aus, die andere droht mit dem Finger, als ob ich sie beleidigt hätte; eine dritte grinst mich höhnend an, eine vierte will mich umarmen, eine fünfte lächelt wie eine Sirene, singt auch wohl dabei – Herr Consul, ich könnte Ihnen fünfzig solcher Traumgestalten nennen, und alle sind sie verführerisch schön. Ist das nicht seltsam? Aber je mehr mich diese Geschöpfe plagen, je mehr hasse und verachte ich sie. In zweiter Linie stehen die jungen Männer. Mein Gott, welche jammervolle Gesellschaft bilden diese Leute! Sie haben weder Sitten, noch Manieren; weder wissenschaftliche noch gesellige Bildung – und dabei sind sie falsch und treulos, wie die Frauen!“

Bei dem letzten Bekenntnisse lächelte der Consul still vor sich hin. Dann sagte er: „Ich freue mich, Sie so reden zu hören. Mein Herr, ich bin ein alter Felsen, an dem die Wogen des Lebens branden – das heißt, mein Geist ist durch die Philosophie zu einem Felsen geworden; mein armer Körper ist gebrechlich, wie ein Rohr, das ein Windhauch umknicken kann. In Bezug auf die Männer denke ich gerade wie Sie; aber die Frauen will ich doch nicht ganz verdammen, denn sie besitzen für mich ein gewisses Etwas – wie soll ich sagen? Die Frauen sind – nun Sie werden mich schon verstehen!“

„Vollkommen, vollkommen, Herr Consul! Ich bin ganz Ihrer Ansicht; es gibt keine Regel ohne Ausnahme, und mitunter findet man noch Tugend bei einer Frau. Aber das ganze Geschlecht ist schwach, es läßt sich leicht verführen.“

„Sprechen wir nicht mehr über dieses Capitel!“ sagte unruhig der Consul. „So viel steht fest, daß uns Beiden die Welt arg mitgespielt hat, und darum wollen wir uns von ihr zurückziehen. Ruft mich der Herr ab, so soll er mich bereit finden, seinem Rufe zu folgen.“

Alexander bot seinem Gaste eine Cigarre. Der Consul nahm sie, brannte sie an, und begann mit großem Wohlbehagen zu rauchen.

„Ich stehe auf dem Punkte, mein Testament zu machen,“ sagte er schmauchend. „Da ich wohl annehmen darf, daß Sie Ihren Entschluß festgestellt haben, so bitte ich Sie, mit mir den Kauf abzuschließen.“

Es war dies eine Vorsicht Leberecht’s, der wissen wollte, wie er eigentlich mit dem ihm fremden Edelmann daran sei. Der Geldpunkt ging ihm auch heute noch über Alles, die Casse war sein Barometer.

„Schließen wir ab,“ sagte Alexander fest. „Was fordern Sie für dieses Haus und den dazu gehörigen Garten?“

„Fünftausend Thaler.“

„Hier sind fünftausend Thäler!“

Der junge Mann holte ein Portefeuille aus einem zierlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_558.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)