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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wo König als großherzogl. Forstrath angestellt wurde, und blüht noch heutigen Tages unter der Leitung eines nicht minder wissenschaftlich gebildeten Forstmannes. Die Zöglinge dieses Instituts von seinem Beginn bis zum Herbst 1817, wo ich meinen Geburtsort verließ, machen einen großen Theil meiner schönsten Jugenderinnerungen aus. Nicht, daß ich mich ihres Umgangs oder auch nur ihrer Aufmerksamkeit zu erfreuen gehabt hätte (eine später näher zu bezeichnende Aufmerksamkeit ausgenommen), dazu war ich doch zu jung, zu unbedeutend, zu knabenhaft blöde, aber ich durfte doch Herz und Sinn an der frischen Jugendkraft, an der schönen Gestalt und dem noblen Wesen dieser zumeist aus sehr vornehmen Familien stammenden Jünglinge ergötzen. Größtentheils kamen sie weit her, besonders aus dem Norden, aus Preußen, Meklenburg, Dänemark, Schweden, Rußland; Grafen, Barone, Edelleute, reich, schön, stolz und voll keckem Jugendmuth und glühender Lebenslust. Es war ein ungemein erfreulicher Anblick, die herrliche Berggegend, die üppigen Wälder von diesen jugendlichen Jagdgesellen belebt zu setzen, von denen wohl mancher, wie weiland sein berühmter Standesgenosse Endymion, das Herz einer keuschen Diana in Flammen zu setzen vermocht hätte. Wenn nun auch keine Diana da war, so waren doch genug holde und reizende Rühler Waldmädchen vorhanden, die ihre Herzen an die stattlichen und noblen Forsteleven verloren. Die Berge und Wälder dort bieten sich gleichsam von selbst zu Liebesversteck und Rendezvous, und ich glaube, die lauschigen süßen Plätzchen in der romanhaften Waldeinsamkeit sind damals zu zwei und zwei stärker besucht worden, als früher und später. Ebenso wurden die Tanzsäle im Orte und in der nächsten Umgegend zu Tempeln erhöhter Freude und Lust; denn wer tanzte schöner, wer war galanter, als der schlanke knapp gekleidete Forsteleve und eingedenk ihrer Geburt und ihres Standes zeigten sie sich ritterlich, kühn und tapfer, stets bereit, für die Ehre ihrer Damen einen Strauß zu bestehen. Daran fehlte es denn freilich auch nicht, und die Rühler Bursche hatten nicht selten Ursache, das Forstinstitut mit allen Eleven zum Teufel zu wünschen. Eifersüchteleien, Neckereien und Katzbalgereien gab’s genug, aber die jungen adligen Herren blieben auch hier wie fast überall und zu aller Zeit Sieger. Das demokratische Element konnte sich nur ärgern und abgetrumpft mit stillem oder lautem Grolle zurückziehen. Wollte es sich patzig machen, so bekam es Schläge. Ein Mal jedoch drehte sich der Spieß ganz unerwartet um und die Herren Eleven wurden ganz gewaltig durchgewalkt. Das war eine famose Geschichte, die sich folgendermaßen zutrug.

In Wilhelmsthal, dem idyllisch reizenden Sonnneraufenthalte des großherzoglich weimarischen Hofes, nur eine Stunde von Ruhla entfernt und zwischen beiden nur prächtiger Bergwald, hatte der neuerbaute komfortable Gasthof in einem Seitengebäude zwei stattliche elegante Tanzsäle, und in beiden zugleich wurde während der schönen Jahreszeit jeden Sonntag getanzt. Der eine hieß der Eisenacher, der andere der Rühler Saal, weil in jenem ein Musikchor aus Eisenach, in diesem eins aus Ruhla spielte, und dort gewöhnlich mehr Städter, hier mehr Bewohner des nahen Marktfleckens tanzten. Die Bauern aus den benachbarten Dörfern waren durchaus von beiden Sälen auf höchst unbillige und ungerechte Weise ausgeschlossen. Sie hatten in einem zweiten Seitengebäude ein drittes bei weitem nicht so hübsches Tanzlocal. Das „Volk“ wurde von der Geburts- und Geldaristokratie, Bureaukratie und Bourgeoisie, wie immer, so auch hier in den „Stall“ verwiesen. Plötzlich wollten sich die Bauern das nicht mehr gefallen lassen, und ich vermuthe nicht ohne Grund, es waren dabei „Hetzer und Wühler“ im Spiele, nämlich Rühler Bursche, die von den Eleven beleidigt und zu schwach, um auf eigene Faust Rache zu nehmen, sich hinter die Bauern gesteckt hatten. Genug, eines schönen Tages (wenn ich nicht irre sogar am Pfingstfeste) war ein ungeheures Menschenspiel in dem herrlichen Thale beisammen und in den Tanzsälen ein großes Gedränge. Die Forsteleven dominirten, wie immer, in beiden, vorzüglich aber im Rühler, wo sie mit den köstlich geputzten Gebirgerinnen sich lustig machten, während die Bursche das Zusehen hatten, aber mit boshaftem Lächeln. Man hatte in der allgemeinen Menschenmenge wohl nicht bemerkt, daß der Nährstand auch ungewöhnlich stark vertreten war. Wer kümmerte sich um den dummen Bauer! Plötzlich erschienen acht bis zwölf Paare, junge Bauern und Bäuerinnen im Rühler Saale und tanzten flott in den Reigen hinein. Die Eleven ließen sofort die Musik schweigen und geboten den Bauern, sich unverzüglich zu entfernen. Die Bauern versetzten trotzig: die Herren hätten ihnen nichts zu befehlen; sie (die Bauern) hätten hier dasselbe Recht, wie jeder Andere, mit ihren Mädchen für ihr Geld zu tanzen, und würden sich nicht vertreiben lassen.

Die Eleven machten kurz Federlesen, schlugen zu und wollten die Bauern hinauswerfen. Aber im Nu enthüllte sich die Verschwörung. Ein wildes und furchtbares Geschrei wurde gehört; die rasch zertretenen Stühle lieferten ihre Beine als „gute Wehr und Waffen“; Hunderte von Bauernburschen drängten mit rohen Knitteln bewaffnet die Treppe herauf in den Saal. Was von den Damen flüchten konnte, salvirte sich so gut es gehen wollte, viele mußten aber auf Tischen und Bänken der grausigen Keilerei beiwohnen, die nun losging. Die Forsteleven führten alle Mineralogenstöcke, welche bekanntlich stählerne Griffe haben, die auf der einen Seite einen Hammer, auf der andern ein Beil bilden. Ein kräftiger Schlag mit solch’ einem Stocke „fluscht“ denn gehörig. Aber was half’s, daß die adligen jungen Herrn den jungen Bauern mit den Beilen die Köpfe spalteten, was half’s, daß die Rühler Kaufmannssöhne zu ihnen hielten? ihre Partei war doch die schwächere und wurde mit ungemein erbitterter Heftigkeit aus dem Felde geschlagen. Blut floß von beiden Seiten, Verwundete wurden mit Füßen getreten und mit Mühe hinaufgebracht, die Mädchen, welchen das Blut nicht selten die Kleider bespritzte, kreischten und jammerten, Schläger und Geschlagene brüllten, und die wenige Polizeimannschaft, die herbeieilte, konnte nicht einmal in den Saal herauf, weil die Treppe dicht gestopft mit Bauern besetzt war, die Niemand passiren ließen. Viele Eleven sprangen aus der hintern Seite des Hauses zwei Stockwerk hoch auf das Feld; denn sie fürchteten, von der Wuth der Bauern todtgeschlagen zu werden. Und wahrlich, halb todt wurde manches hochadlige Mutterkind vom Platze getragen. Endlich gelang es den andringenden Gensd’armen, der Schlacht Einhalt zu thun. Nicht wenige von den Eleven lagen lange krank darnieder, von den Bauern kamen die Schlimmsten in’s Zuchthaus.

Eine angenehmere Erinnerung an die Forsteleven bewahrt ein schöner Granitfelsen auf einem lieblichen Plätzchen auf dem Glöckner (vulgo das Glöckel), einem der höchsten und beliebtesten Berge mit köstlicher Aussicht in das Werrathal und nach dem kleinen Bergzuge, welcher vor der Rhön liegt, das Feldethal bildet und seltsamer Weise keinen Namen hat, so wie auf die Gegend des Lustschlosses Altenstein. In diesen Felsen sind die Namenschiffern der damaligen Zöglinge des Instituts eingehauen, nebst den Worten: „1813 wurde hier gepflanzt für 1871.“ Diese Pflanzung, das Werk der Forsteleven, ist jetzt ein dichter prächtiger Tannenwald. Diejenigen, welche von den im Granit verewigten Jünglingen noch leben, sind jetzt Greise. Vielleicht kommt dem Einen oder dem Andern dieses Blatt zu Gesichte; dann mag ein bunt gefärbter lieblicher Jugendtraum an das grüne köstliche Ruhlathal mit seinen lieblichen Mädchengestalten vor seiner Seele auftauchen, vielleicht auch eure trübe Erinnerung an den heißen Tag, wo er in Wilhelmsthal von den Bauern blaugefärbt wurde, ihren Schatten hineinwerfen.

Im gewaltigen Granitblock mit der gemüthlichen Felsenbank an seinem Fuße stehen auch die Buchstaben C. F. v. Sch. Ob ich mich in den die Vornamen bezeichnenden Chiffern nicht täusche, kann ich nicht mit Sicherheit angaben. Mir ist, als hätte der bezeichnete Zögling Carl Friedrich geheißen. Genug, er war der älteste Sohn unseres großen Dichters Schiller, welcher später als königl. würtemb. Oberförster baronisirt wurde, und jetzt, so viel ich weiß, pensionirt in Stuttgart lebt. Herr von Schiller war damals zwanzig, höchstens zweiundzwanzig Jahre alt. Man sagte, er sähe seinem Vater ähnlich, doch waren seine Züge nicht geistreich. Ich erinnere mich auch, daß damals ältere Leute sich in meinem Beisein über ihn äußerten: er habe wenig vom Geiste seines Vaters geerbt. Er war hoch und schlank, trug lichtbraunes gelocktes Haar und blaue Augen. Von allen Eleven erinnere ich mich seiner am lebhaftesten, nicht gerade um seiner selbst willen, denn ich wüßte nicht, daß er mir je etwas Angenehmes gesagt oder erwiesen, oder daß er sich durch irgend etwas Außerordentliches ausgezeichnet hätte. Mein Interesse an ihm galt dem Sohne des Dichters. Auch ist er mir um deshalb merkwürdig, weil ich durch ihn zuerst mit den Gedichten seines Vaters bekannt wurde. In meinem elterlichen Hause wohnte nämlich ein Candidat der Theologie aus Eisenach, der in Ruhla ein Knabeninstitut hielt,

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