Seite:Die Gartenlaube (1857) 550.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

des Schuldigen zu bearbeiten, bis der Pascha sein Themum! (Genug!) rief. Der Schwarze ward jetzt losgebunden, und auf den Händen kriechend zur Thür hinausgelassen.

Jetzt warf sich ein alter Jude hervor und begann seine Klage: „Ich rufe zur Glorie der Wahrheit! Werd’ ich rufen vergebens zu dem allmächtigen Pascha, welcher der Athem ist in den Nasenlöchern seines Sklaven? Ich machte ein Geschäft mit dem schmutzigen Griechen Angiolo.“

„Angiolo trete vor!“ rief der Pascha, und es geschah. Der Jude fuhr fort:

„Ich kam mit ihm überein, o Rose der Gerechtigkeit, ihn zu machen zum Eigenthümer von zwei Packeten meiner feinsten Bokschäs für –“

„War die Steuer darauf bezahlt?“ unterbrach ihn der Pascha.

„Die Weisheit des Spiegels der Gerechtigkeit ist wunderbar!“ rief der Jude. „Alle Geheimnisse liegen vor ihm, wie die Erde um Mittag vor der Sonne. Wer kann etwas bergen vor der Sonne aller Wissenschaft? Bei den Gebeinen Abrahams, würde ich nicht thörichter sein, wie ein Hund, wollte ich etwas zu bergen suchen, der ich weniger bin als ein Sklave in seinen Augen? Ich brachte die Tücher in’s Zollhaus, aber Namik, an welchen ich alle Steuern zahle, war abwesend. Ich zeigte die Tücher seinem Secretair und sagte ihm, daß ich schon einen Käufer für sie habe, und die Steuer später bringen werde.“

„Latitscha,“ rief der Pascha dem Secretair zu, „schreib, daß der Jude 100 Piaster Strafe wegen Umgehung der Steuer zu zahlen hat, und Angiolo, der Grieche, 50 Piaster wegen Ankauf unversteuerter Waare. Wo verkauftest Du die Tücher, Ungläubiger?“

„Im Bazaar,“ jammerte der Jude händeringend.

„Also in der Stadt, Latitscha, schreib, daß der Jude außerdem 100 Piaster zu zahlen hat wegen verbotener Geschäfte in der Stadt. Hebräer, Deine Sache ist abgethan. Nein! Latitscha, schreib, daß der Jude noch andere 100 Piaster Avania wegen grundloser Klage zahlen muß. Nun ist’s gethan.“

Unter allgemeinem Beifall wand sich der alte, weißbärtige Jude zum Saale hinaus, in welchem jetzt ein Beamter eine jener alten Weiber vorführte, die man in türkischen Städten so häufig als Hausirer mit Blumenbouquets, Zauberformeln, Parfümerien und „Geheimnissen für die Harems“ antrifft.

„Welche Klage liegt gegen dieses Weib vor?“ frug der Pascha den Beamten Saider.

„Keine,“ antwortete das Weib, „keine, Effendiman!“ (mein Meister).

„Dies Weib,“ antwortete Saider, „ist schon öfter wegen ihrer Missethaten vor Gericht gewesen. Es ist die bekannte Seinip Hanum.“

„Was hat sie gethan?“ frug der Pascha.

„Nichts, Effendiman,“ antwortete sie zuversichtlich. „Saider gibt mir Schuld, was eine Tochter von einem Kamal gethan, welche gewisse Botschaften in den Harem von Saraf Pascha einschmuggelte.“

„Thaten Sie nichts Aehnliches?“ frug Aslan.

„Nicht jetzt, mein Auge! Nicht daß ich leugnen sollte, früher solche Dienste, für manchen Sikdam (jungen Herrn) der Stadt geleistet zu haben. In den feinsten Harems hab’ ich Kleinodien verkauft, mit den Worten der Leidenschaft darauf von Goldstaub auf Rosenblättern. Ich habe –“

„Maschallah, sie spricht von Dingen, die schandbar zu hören sind. Was soll’s mit diesem Weiber-Bosch?“

„So sagen sie Alle öffentlich,“ erwiderte die unerschütterliche Seinip. „Aber sehen Sie, Effendiman! Seinip weiß Diamanten von Kohle zu unterscheiden und falschen Zorn von wahrer Leidenschaft. Seht, was ich für Kostbarkeiten in meinem Korbe habe! Seidene Shawls, umgeben von Liebesballaden des Hafiz in echtem Golddruck, Specereien von Arabien und fernern Ländern über den Meeren, Bilder mit Rahmen voller Herzensergießungen und Calams (Federn), deren Worte, wenn discret damit geschrieben, sanfter athmen, wie der Duft von Rosen, Bouquets zum Schutz gegen das böse Auge, Zaubersprüche und Ringe und Amulets und – was ich Ihnen besonders empfehle, Effendiman, ein Kästchen mit Essenzen und Liebesgetränken, mit einem Zauberspruch am Boden, durch welchen, wenn das Kästchen bei abnehmendem Monde die Nacht hindurch ungeschlossen bleibt, am Morgen jedesmal hundert Piaster gefunden werden.“

„Inschallah, Ihr Geheimniß ist werth zu lernen!“ rief der Pascha.

„Effendiman, mein Auge, da ist es!“ rief das Weib, indem sie das Kästchen ihm hinauf reichte.

„Latitscha!“ rief jetzt der Pascha, „schreib: Saider hat 50 Piaster Strafe wegen falscher Anklage gegen eine gute Muhamedanerin zu zahlen.“

Nach diesem Spruche des Lichtes der Gerechtigkeit entstand eine große Bewegung im Saale. Eine junge Dame in feinster Kleidung trat plötzlich aus einem Nebengemache hervor mitten in den Saal.

Der Pascha und alle seine Beamten sahen mit verstohlenen Blicken auf die reizende Creatur. Ihre großen, schwarzen Augen strahlten mit dem unheimlichen Feuer, den die Schönen vornehmer Art auf Kosten ihrer Gesundheit durch den Gebrauch der Belladonna erkaufen. (Auch Arsenik gibt unnatürlichen Augenglanz, wie viele englische Damen wissen und beweisen.) Die Wangen glänzten weiß und marmorn aus dem feinen Nebelschleier ihres Yasschmack, mit röthlichen Hauchen in der Mitte. Die langen Aermel ihres Mantels waren zurückgeschlagen und enthüllten runde, alabastern scheinende Arme. Ein Kranz von Perlen und Blumenzweigen band einen Theil ihres sonst frei fließenden, lockigen schwarzen Haares in reizendem Contraste zu schneeweißen Schultern.

„Salam Aleikum!“ (Friede sei mit Euch!) rief sie ohne Spuren der Demuth und Sklaverei, und fuhr mit gebieterisch erhobenem Finger fort: „Pascha, ich verlange Ihren Schutz gegen meinen Gatten!“

„Inschallah!“ rief dieser. „Ein Weib hat kein Recht, die Wünsche ihres Gatten zu bestreiten, außer in Fällen von Blödsinn oder Grausamkeit. Er ist ihr Herr und sie dagegen Bosch, weniger als Bosch in seinen Augen.“

„Wallah!“ rief die Schöne mit höher erhobenem Finger. „Er ist ein Grausamer und Blödsinniger dazu, seinem Weibe so zu begegnen. Ich hatte eine Sklavin, Saida Hanum, vor meiner Verheirathung und brachte sie mit. Er sah auf sie mit unverschämtem Auge. Ich sandte sie deshalb fort zu einer Freundin. Aber er fand sie aus, und brachte sie zurück.“

„Warum zeigten Sie ihm nicht die Sohlen Ihrer Schlafschuhe?“

„Ich that es, mein Herr, und hatte schon Lust, sie auch mit seinen Ohren in Berührung zu bringen.“

„Guzel! Guzel!“ (Sehr gut! Sehr gut!) rief der Pascha, während die Schöne einen schweren Beutel Geldes hervorzog und ihn zu ihm hinauf befördern ließ.

„Wenn weitere Kosten entstehen,“ setzte sie hinzu, „laßt sie durch den Secretair einziehen. Ich brauche hier nicht zu sparen.“

„Guzel! Guzel!“ rief der Pascha nochmals, und setzte hinzu: „Die Sache ist sehr ernst, wenn ein Weib, ruhig und harmlos, wie Sie sich zeigen, genöthigt wird, den Boden ihres Schlafschuhs gegen die Ohren ihres Gatten zu bringen. Ich sehe, daß Sie im Rechte sind, an Ihrer Ruhe, denn diese ist blos mit dem Gerechten. Ich will ein Schreiben an Ihren Gatten senden, welches ihm das Recht zeigen soll. So lange der Günstling des Padischah zu Gericht sitzt, soll kein Weib ungerecht von ihrem Gatten behandelt werden.“

Die Schöne machte ihr graziöses, würdevolles „Salam“, der Pascha erwiderte es, und sah der leise Abtretenden entzückt nach. Dann erklärte er sich für zu müde, um noch weiter Recht sprechen zu können. Er übergab also die weitere Rechtspflege dieses Tages und seinen Platz dem Kadi. Von seinen Nefers geführt und halb getragen, von seinen Beamten und Dienern umgeben, zog sich der Pascha wankend und wackelnd zurück. Wir folgten ihm, hinlänglich belehrt und unterrichtet über türkische Rechtspflege.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_550.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)