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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Und wer ist der Käufer?“

„Sie sehen ihn vor sich!“ antwortete der Edelmann, sich verneigend.

Der Consul murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin. Dann schob er seine Schlafmütze ein wenig zurück, daß das kurze schwarze Haar sich empor sträubte, und sagte:

„Zu welchem Zwecke wollen Sie das Forsthaus kaufen?“

„Um allein zu wohnen, mein Herr! Um Sommer und Winter, so lange ich lebe, darin zu wohnen. Das verfallene Gebäude mit den knarrenden Fensterladen, der verwilderte Garten, der traurige Tannenwald, der es umgibt, die Entfernung von dem Verkehre der großen Welt – Alles reizt mich, mein Leben in dieser Gegend zu beschließen. Fordern Sie einen Preis, Herr Consul, ich zahle ihn – auf der Stelle!“

Der Kranke sah den seltsamen Käufer verwundert an. Er schien Mißtrauen in die redlichen Absichten desselben zu setzen, auch wohl zu glauben, daß man ein Spiel mit ihm triebe. Aber das bleiche Gesicht des Herrn von Windheim war so ernst, sein großes dunkles Auge so treuherzig, daß jeder Argwohn schwinden mußte.

„Lieber Herr,“ murmelte der Consul, „die Sache erfordert Ueberlegung.“

„Wozu überlegen, wenn ich jeden Preis zahle? Bei Abschlüssen von Käufen handelt es sich in der Hauptsache um den Preis – fordern Sie, fordern Sie! Was ist Ihnen das Grundstück werth?“

Der Consul dachte einen Augenblick nach. Plötzlich fragte er: „Haben Sie sich das Forsthaus angesehen?“

„Nur von außen; aber das genügt.“

„Ist Ihnen dabei Nichts aufgefallen?“

„Nichts weiter, mein Herr, als daß es leer steht, daß sich kein Bewohner dazu findet.“

„Hören Sie mich an, Herr von Windheim,“ sagte ernst der Consul. „Als ich vor zehn Jahren das Landhaus kaufte, in dem wir uns befinden, wollte ich mir einen hübschen Sommersitz erwerben, und ließ es prachtvoll einrichten.“

„Aber wir sprechen ja von dem Forsthause?“

„Warten Sie nur, ich komme gleich dahin. Damals dachte ich nicht daran, daß ich je in den Fall kommen könnte, mich von der Welt zurückzuziehen. Ich kaufte also dieses Landhaus und den zwei Quadratmeilen haltenden Forst sammt zwei großen Teichen, um der Gesellschaft, die ich empfangen wollte, auch die Freuden der Land- und Wasserjagd bieten zu können. Der Graf von Zehrfeld, der vorige Besitzer, war gestorben, und seine Erben veräußerten die Besitzungen, um sich zu theilen. In dem fraglichen Hause nun wohnte der alte Förster Sibold, der eigentlich Trunkenbold heißen sollte, denn er war von Morgens früh bis Abends spät seiner Sinne nicht mächtig. Und dabei hatte er nicht weniger als sieben Söhne, rohe, ungeschlachte Burschen, die sammt und sonders bei dem Vater lebten. Ich überließ dem alten Sibold die Verwaltung meines Forstes, bis ich vor zwei Jahren hier meinen Wohnsitz für immer wählte, um mit der Welt, die ich aus tiefster Seele hasse, nicht mehr in Berührung zu kommen. Meine Gesundheit war schwach, mein Kopf angegriffen, so daß ich eine Gehirnerweichung fürchtete. Ich wollte Ruhe, Grabesstille um mich her haben, und floh in diese Einsamkeit. Aber wie hatte ich mich getäuscht! Die Försterfamilie machte einen Höllenlärm. Der Arzt hatte mir Bewegung in freier Luft anbefohlen, viel Bewegung, mein lieber Herr; ging ich nun aus, so begegnete mir einer dieser wüsten Gesellen – ich ärgerte mich; blieb ich zu Hause, so hörte ich das Knallen ihrer Flinten, vor denen kein Hase und kein Vogel sicher war. Selbst Nachts trieben sie ihr Unwesen, wie das wilde Heer – kurz, mein Herr, ich konnte diese Wirthschaft nicht länger ertragen und ließ dem Förster durch das Gericht ankündigen, daß er mein Haus räumen möge. Darob gerieth der Alte dermaßen in Wuth, daß er sich im Garten hinter dem Hause erschoß. Jedem der Söhne gab ich zweihundert Thaler – sie sind nach Amerika ausgewandert. Sie sehen, wieviel Anstrengungen es gekostet hat, das Forsthaus in den Stand der Ruhe zu bringen, in dem es sich jetzt befindet.“

„Diese Ruhe ist es ja eben, die mir das Haus so werth macht!“ rief der Edelmann. „Das Leben in der Gesellschaft ekelt mich an; ich will allein, ganz allein sein, wie Sie! Es soll selbst nicht einmal ein Mensch wissen, daß ich in dem alten Hause wohne.“

„Sind Sie verheirathet?“ fragte der Consul mit einem vielsagenden Seitenblicke.

„Verheirathet? Gott soll mich davor bewahren!“ rief Alexander von Windheim erregt. „Nach den Erfahrungen, die ich mit den Frauen gemacht, bleibe ich Junggeselle, so lange mir die Augen offen stehen. Ich will keinen Mann, aber noch viel weniger eine Frau sehen, und wäre sie schön wie Venus und keusch wie die heilige Jungfrau. Ich verheirathet! Herr Consul, in Ihrer Frage liegt eine gräßliche Ironie! Müßte ich zwischen einer Heirath und dem Giftbecher wählen, ich würde heute noch zur Leiche werden.“

„Brav, brav!“ rief der Consul, indem er sich höher emporrichtete. „Das höre ich gern. Wie es scheint, treibt Sie die Liebe, sich in Einsamkeit zu vergraben?“

„Nein, der Haß, mein Herr!“ rief Alexander mit großer Bitterkeit. „Ich hasse und verachte mich selbst, weil ich so dumm gewesen bin, einem Weibe zu trauen.“

„Ja, ja, die Weiber!“ rief seufzend der Consul.

„Hat sich dieses fürchterliche Geschlecht auch an Ihnen versündigt?“

Der Consul bewegte schmerzlich den Kopf, als ob er sagen wollte: ich weiß ein trauriges Lied davon zu singen.

„Mein lieber Herr,“ murmelte er dann, „ich bin Philosoph geworden; ich hasse zwar die Frauen nicht, denn sie sind in der Welt eben so nöthig, wie wir Männer – aber ich bemitleide diese schwachen Geschöpfe. Lassen wir das!“ unterbrach er sich plötzlich.

„Schwache Geschöpfe, sagen Sie? Dann muß mir das besondere Unglück geworden sein, mit lauter bösartigen zu thun gehabt zu haben.“

„Der Ausdruck ist zu stark, Herr von Windheim!“ rief der Consul.

Herr von Windheim schien in Feuer zu gerathen.

„Zu stark!“ rief er. „Urtheilen Sie selbst! Ich kann mir wohl schmeicheln, eine Figur in der Welt zu spielen, denn mein Aeußeres ist gerade nicht unangenehm und mein Vermögen beträchtlich genug, um ein glänzendes Haus zu machen. Ich bin der einzige Sohn meines Vaters, des Generals von Windheim. Sie sehen in mir den Letzten dieser erlauchten Familie. Nachdem ich von allen Frauen verrathen war, denen ich mich genähert, hatte ich endlich das Glück eine zu finden, die ich liebte und die mich wieder liebte – wenigstens schien es so. Aber das Unglück wollte, daß sie einen Vater hatte.“

„O Himmel, sie hatte einen Vater!“ rief der Kranke. „Armer Herr von Windheim, ich bedauere Sie!“

„Bedauern? Das ist zu wenig – bejammern Sie mich, Herr Consul! Dieser Vater hatte meine Geliebte einem Andern versprochen.“

„Wie gewöhnlich! Das ist eine alte Geschichte!“ rief der Consul, der nun auch lebhaft wurde.

„Das ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu!“

„Und wem sie just passiret, dem bricht sie das Herz entzwei!“ fuhr der Kranke murmelnd fort, indem er seine seidene Schlafmütze abnahm und sich damit eine Thräne aus dem Auge trocknete. „Wenn Heinrich Heine Nichts weiter geschrieben hätte, dieser einzige Gedanke würde ihn unsterblich machen!“

„Ganz recht; aber hören Sie weiter. Das Versprechen des grausamen Vaters schreckte mich indeß nicht ab. Ich bat meine Geliebte um ein Rendez-vous und erhielt es. Ich sprang über einen Bach, stieg über eine Mauer und kam in eine Geißblattlaube, wo ich die Geliebte meiner harrend antraf. In dem Schweigen der Nacht, bei dem bleichen Schimmer der Sterne, unter dem göttlichen Gesange einer Nachtigall, die über uns auf einer mächtigen Buche saß, schworen wir uns ewige Liebe. Wir wollten dem tyrannischen Vater Muth, Ausdauer und, wenn es sein müßte, auch Gewalt entgegensetzen. Noch drei Mal hatte ich die unbeschreibliche Wonne, die Gebieterin meines Herzens heimlich zu sprechen, dann rief mich ein Brief nach Florenz, wo mein Vater, auf einer Reise in Italien begriffen, um seine Gesundheit herzustellen, plötzlich schwer erkrankt war. Ich kam an. Mein Vater lag im Bette. „Bleibe bei mir, mein Sohn, bis ich genesen oder gestorben bin!“ rief er aus. Ich mußte bleiben; aber auch die Krankheit blieb, wie sie war – es trat keine Veränderung ein. Ach, mein Herr, ich lebte ein fürchterliches Leben. Wohl fünfzig Mal schrieb

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_542.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)