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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Physiognomie allerdings stark an Negerköpfe erinnert. Der rohe Gummi kommt am besten von Para in Südamerika (1/2 Thaler für’s Pfund), in zweiter Qualität von Singapore in Ostindien (10 Sgr.) und am schlechtesten aus Afrika, der mit 21/2 Sgr. per Pfund bezahlt wird. Bis 1856 wurden 12 Millionen Pfund von Para nach England eingeführt, nach Nordamerika 22 Mill. Seitdem steigt die Einfuhr in beiden Ländern fortwährend.

Der erste Proceß, welchem der rohe Gummi unterworfen wird, besteht in Kuchen- oder Bogenbildung. Die Negerköpfe und platten Stücke werden durch ungeheure Eisenwalzen gezogen, und kommen in blanken, großen Ebenen heraus, welche in Streifen geschnitten und in große Eisenkessel kochenden Wassers geworfen werden. Hier weichen sie auf und reinigen sich, um dann, durch heiße Eisencylinder gedrückt und gezogen, als weiche, plastische Masse herauszukommen und dem chemischen Processe des Vulcanisirens (ein nicht gezeigtes Geheimniß der Fabrik) unterworfen zu werden. Die vulcanisirten Massen werden nun durch mehrere Reihen glänzend polirter heißer Eisenwalzen getrieben, zwischen denen sie in den regelmäßigsten, glänzendsten Streifen hervorquellen, um in eine höhere Etage hinaufgerollt zu werden. Hier schneidet man sie in regelmäßige Stücke und schichtet sie auf Streifen Callico über einander. Diese vulcanisirten Stücke liefern das Oberleder der Schuhe.

Demnächst werden die Einlagen oder das Futter von Baumwollenzeugen, die auf einer Seite mit einer Auflösung von Gummi getränkt werden, fabricirt. Der dritte Proceß besteht in der Pressung der Sohlen vermittelst heißer Stempel und Walzen, unter denen Formen und Muster so klar hervorgehen, wie das Siegel unter dem Petschaft.

In den oberen Etagen werden nun diese präparirten Schuhtheile componirt und in einander gearbeitet, Um dies zu sehen, treten wir in eine eiserne Umzäunung und werden durch unsichtbare Maschinengewalt leicht und schnell von einer Etage in die andere gehoben und wieder herabgelassen. Treppen sind in den großen Fabriken fast ganz aus der Mode gekommen: sie verzehren zuviel Zeit und Muskelkraft.

Sohlen, Obertheile, Einlagen, Futter – Alles passirt schnell und fliegend durch die geschickten Hände und scharfen Messer bestimmter Arbeiter, die 5 bis 20 Thaler wöchentlich verdienen. Doch ist auch diese Zuschneiderei bereits größtentheils in die wohlfeileren und geschmackvolleren Hände der Mädchen übergegangen.

Während unser Führer dies erzählte, kamen wir in unserer Hebemaschine im vierten Stockwerk an und wuchsen plötzlich, wie Geister aus einer Theaterversenkung, mitten unter lange Reihen niedlich gekleideter, hübscher, junger Damen hinein, wie in einen ungeheueren Ballsaal. Einige Musik und wir hätten die Damen sofort von ihrer Schusterei zum Tanze führen können, so hübsch, rein und einladend sahen sie aus. Nach einer Lehrlingszeit von drei Monaten verdienen sie wöchentlich drei bis vier Thaler, und scheinen davon sehr anständig zu leben, nach ihrer Kleidung und Physiognomie zu schließen. Eine der feinsten jungen Damen, deren mageres, feines Gesicht auffallend von der runden, schottischen Physiognomie abstach – eine geborene Amerikanerin – kam jetzt zu uns, um uns den ganzen Proceß der Gummischuh-Composition mit Boscogeschwindigkeit zu zeigen. Sie nahm einen Leisten, wickelte um denselben die präparirte Einlage oder das Futter, legte die innere Sohle unten auf und schmale Streifen Gummi herum, klebte hierauf die Hacke an, nun die Zwischensohle, jetzt das Oberleder und achtens die Außensohle. Dies war das Werk von kaum einer Minute: der Schuh stand glänzend und in schönster Form vor uns, fest, wie aus einem Stück gegossen. Keine Spur von Stich und Naht, Alles zusammengefügt, und mit besonderen Instrumenten fest in einander gedrückt. Die einzelnen Theile des noch frisch geschnittenen Gummi hängen, gegen einander gedrückt, augenblicklich so fest zusammen, als beständen sie aus einem einzigen soliden Stücke. Die so magisch schnell zusammengefügten Schuhe sind nun fertig und werden blos noch lackirt. Zu diesem Zweck wächst alle Tage mehrere Male eine Plattform aus einer untern Etage herauf auf die Eisenbahn, welche die oberste Etage durchschneidet. Die Plattform nimmt nun auf ihre eisernen Borsten je 300 Paar Schuhe mit den Leisten auf, und rollt diese in die Lackirungsabtheilung, wo jeder Schuh mit einer öligen Flüssigkeit bestrichen und in einen Ofen geschoben wird, wo er trocknet und spiegelblank herauskommt.

Zur Verwandlung der rohen „Negerköpfe“ in niedliche Schuhe gehören blos drei Tage. Die Compagnie in Edinburg liefert, wie schon erwähnt, täglich 4000 Paar, welche in England und auf dem Continente, besonders in Deutschland, mit steigender Liebe gekauft und getragen werden. Sie sind immer elegant und gut gegen Schnupfen und Zahnschmerzen, mag man zu Balle oder auf den Markt gehen, mag die Dame ein Dienstmädchen oder eine Gräfin sein. Was man in sanitätlicher Beziehung gegen sie einwendet, daß sie nicht blos Nässe ab-, sondern auch zurückhalten, und die nothwendige Ausdünstung behindern, würde sich blos bei fortwährendem Tragen geltend machen. Gegen Regen und Kälte blos auf der Straße übergezogen, dienen sie sicherlich blos dazu, Erkältung der Füße zu verhindern, sie warm, also in gehöriger Ausdünstungsfunction zu erhalten.

Andere Merkwürdigkeiten des großen Etablissements, z. B. die Maschine für Leistenschneidung, die durch’s ganze Schloß und alle Etagen verbreitete mannichfaltigste Wirksamkeit der Hundertpferdekraft-Dampfmaschine, die Maschinenbänder, die Röhren, Federn, Pumpen, Flaschenzüge u. s. w, alle von Gummi-Elasticum, wurden zu wenig im Detail vorgenommen, so daß hier keine besondere Schilderung derselben gegeben werden kann. Das Gegebene wird hinreichen zu einer Vorstellung von einer der neuesten und merkwürdigsten Industrieen, die wegen ihrer wohlthätigen, eleganten Producte, ihrer chemisch-wissenschaftlichen Basis und ihrer großartigen, wie eleganten Betriebsart auf ein allgemeines Interesse Anspruch machen kann.




Ein Abend in Bremen und im Bremer Rathskeller.

Fast zwei Jahrzehnte lang hatte ich Bremen nicht mehr gesehen. In einem solchen Zeitraume ändern sich in unserm Jahrhunderte Städte, deren geographische Lage und mercantilische Rührigkeit ein fortwährendes Wachsen bedingen. Das alte Bremen, der eigentliche Kern der Stadt, sieht heute gerade noch so aus, wie vor zwanzig Jahren. Einige wenige Neubauten ausgenommen, haben die alten schmalen Giebelhäuser ganz und gar ihre Physiognomie behalten. Nur kam es mir vor, als seien sie noch schöner mit Oelfarbe angestrichen, glänzten noch schmucker wie sonst und richteten an jeden Vorübergehenden die Frage: ob sie in ihrem alterthümlich koketten Style nicht ungleich verlockender aussähen, als ihre jüngeren sich viel moderner tragenden Schwestern. Außerhalb der längst abgebrochenen finstern Thore ist in den letzten zehn Jahren eine ganz neue Stadt aus der Erde gewachsen, die sich ausbreitet und vielleicht in abermals zehn Jahren den doppelten Flächenraum ihres gegenwärtigen Umfanges einnehmen wird. Zwischen diesem neuen, höchst eleganten Bremen, gemeinhin Vorstadt genannt, und der alten Stadt des merkantilen Verkehrs liegt der blumige, schattenreiche Wall mit seinen unvergleichlich schönen Anlagen, seinen Ruhebänken, lauschigen Plätzen und sanft im Lufthauche zitternden breiten Wallgraben, mit seinen anziehenden Denkmälern und hoch in die Lüfte greifenden Windmühlen, deren noch immer einige auf den höchsten Punkten vorhanden sind.

Der Abend hatte mich in den vielgekreuzten Straßen der weitläufigen Vorstadt überrascht. Die blanken Spiegelfenster der vornehm aussehenden Häuser, deren blumige Vorgärten durch reiche verzierte Eisengitter gegen die Straße abgesperrt werden, hielten mich fest, bis es dunkelte. Nachdenkend über die unbegrenzte Bremer Freiheit, deren Genuß ich mich in jenen Augenblicken behaglich hingab, schlenderte ich den Wall entlang, bis links die schlanke Spitze des in gothischem Style neuerbauten Stephanithurmes aus dem falbgrünen Laubwalde hervorblickte und der hier ziemlich breite Spiegel des Weserstromes unter mir sichtbar ward. Die graue Welle glimmerte noch matt im Abendrothe, das am westlichen Himmel wie ein verlöschendes Feuer flammte. Ueber der Stadt lag Dämmerung, nur um die Thürme, deren Zinnen leider nicht hoch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_535.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2022)