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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Sohn des berühmten Dichters, der besonders von der „zehnten Muse“ geliebt war.

Um elf Uhr verabschiedete man sich gewöhnlich, denn die graziöse Wirthin pflegte gemeinhin noch eine bis zwei Stunden nachher zu arbeiten; oft aber blieben einige Gäste, besonders wenn es Fremde waren, lange nach Mitternacht zusammen und vermochten alsdann nur ungern sich zu trennen von dem geistreichen Geplauder, bei dem man mit Frau von Girardin die ganze Nacht hätte zubringen können. Es ist selbstverständlich, daß diesem Cirkel der Reiz anderer geistreicher Frauen nicht mangelte.

Frau von Girardin, welche gar nicht, oder doch nur sehr selten ihren Salon verließ, sammelte aus dem Geplauder, welches stets die Abende bei ihr zu einem seltenen Genuß machte, den Stoff zu der pikanten und berühmten Revue, welche sie als Vicomte Charles de Launay in dem Journal ihres Gemahls veröffentlichte. Ihre Pariser Briefe gehörten zur geistreichsten Lectüre, welche damals irgendwie die Feuilletons ausweisen konnten; sie geben einen annähernden Begriff von jenen liebenswürdigen Causerieen, die in ihren Salons gebalten wurden. Diese Feuilletonartikel, welche sie im Jahre 1836 begann und gegen Ende des Jahres 1848 abbrach, bilden ein sehr werthvolles Archiv zur Kenntnißnahme der Louis Philipp’schen Zeit und erschienen gesammelt unter dem Titel: le Vicomte de Launay.

Die literarischen Debüts der Frau von Girardin fielen in jene Epoche, wo die Poesie Frankreichs nach einem dumpfen Schlafe wieder erwachte und in herrlichen Liedern zu singen schien, was sie im Schlummer geträumt. Mit dem goldenen Saitenspiel der Lamartine’schen und Victor Hugo’schen Muse verbanden sich damals die zarten Lyraklänge ihrer Mutter, einer Desbordes-Valmores und Elise Mercoeur, Delphines Poesien erschollen dazwischen und die Gesänge von „Madeleine“ schmückten sie mit dem zarten Lorbeer einer Dichterin. Die Dichtungen, welche nun folgten, besonders nach ihrer Rückkehr aus Italien, und von denen Napoline, Ourika, l’Hymen à Ste. Genéviève, la Druidesse und Le rève d’une jeune fille die bemerkenswerthesten sind, so wie die Grazie, welche Alle bewunderten, die ihr naheten, erhoben sie mit poetischer Galanterie zur Muse Frankreichs, wie man in Deutschland die geistvolle Rahel Varnhagen als Mutter des jungen Deutschlands gefeiert hatte. Und Niemand bestritt ihr diesen schönen Namen; denn in der That gleichen die naiven Gefühle und die reizende Lieblichkeit ihrer Verse ihrem innersten Wesen und dem Eindrucke, den sie auf Jedermann machten.

Die reizenden Erzählungen, welche außerdem von ihr erschienen und wo sie mit der Anmuth ihres Geistes mehr, denn durch die höchst einfache Phantasie unterhält, erwarben ihr weithin reiche Freundeskreise; denn Novellen wie Marguerite und der Marquis de Pontanges mit dem darin sprudelnden Witz und ruhenden Gefühl werden stets Zierden der Literatur bleiben; der Stock des Herrn Balzac, man soll nicht spielen mit dem Schmerz, und andere gehören zu den feinsten Portraits, die eine weibliche Feder jemals von dem Gefühl des Frauenherzens und dem eleganten Leben gemacht hat. Herr von Girardin wollte nach seiner Heirath der Gemahlin die Feder aus der Hand nehmen und hat es nie gern gehabt, wenn man sie in der Literatur feierte; aber selbst diesem Schlaukopf ist trotz mancher bittern Chicanen das Unmögliche nicht gelungen; denn Nichts ist unmöglicher, als daß ein Dichter, mag er die Verse auch noch so oft verschworen haben, aufhört zu dichten – und nun gar erst eine geistreiche Frau!

Die Poesie sucht sich in Frankreich mehr denn anderswo der Bühne zu vermählen, um schlagendere Erfolge zu erstreben. Der Frau von Girardin konnte ein solcher Ehrgeiz weder fremd bleiben, noch durfte er bei ihr überraschen. Indessen waren die ersten Prüfungen auf dieser Laufbahn, zu deren Zielerreichung mehr Glück als Verstand gehört, sehr hart in ihrer Art und bittere Dornen, welche einen muthloseren Geist kaum noch zu ferneren Anstrengungen ermuthigt haben würden. Der Götze Ruhm begehrt gerade hinter den Lampen und hinter den Coulissen ein Glück, an welches gewöhnliche Menschen, die schon beim hellen Tage genug Ohrfeigen des Unglücks erhalten, nur in einer Art von Delirium zu glauben im Stande sind.

Delphine von Girardin’s erstes Stück war: „die Schule der Journalisten.“

Zum Schrecken des journalistischen Gemahls, welcher die Poeterei seiner Ehehälfte überhaupt nur sehr ungern, und eine über die Persönlichkeiten seines Standes nun gar mit bittrem Verdrusse sah, wurde das Stück einstimmig im Jahre 1837 vom Theatre français zur Aufführung angenommen. Der Redacteur der „Presse“ war untröstlich darüber; er glaubte seine Ehre als Deputirter verletzt, seine Geheimnisse des Journalismus, dem er Alles verdankte, verrathen, und da er überdies schon manche starke Versuche gemacht, der Tochter Sophie Gay’s das literarische Handwerk zu verleiden, so ist sehr wohl anzunehmen, daß er die neue poetische Laune seiner Gattin von vornherein durch ein Mißgeschick zu unterdrücken beabsichtigt habe. Genug, die Censur der Regierung untersagte das Stück. Glücklicherweise sind einige Trümmer davon für die deutsche Bühne gerettet worden; denn Gustav Freitag hat mit Hülfe derselben, so wie mit einigen Brocken des Scribe’schen Stückes la camaraderie den ersten Act seines Lustspiels „die Journalisten“ gemacht.

Ein noch bittereres Loos erlebte die Tragödie „Judith“ im Jahre 1843. Trotzdem die Hauptrolle von der Rachel gespielt wurde, die sehr intim mit der Dichterin befreundet war, gefiel das Stück nicht. Der mittelmäßige Erfolg der 1847 aufgeführten „Cleopatra“ überzeugte Frau von Girardin endlich ganz, daß ihr graziöses Talent den tragischen Cothurn nicht zu tragen vermöge und aller Geist und alle sanfte Poesie, die sie besaß, Schiffbruch an der Gewalt des Heroischen nahm.

Weiser wie andere Dramatiker verließ die zehnte Muse das sophokleische Feld und flüchtete mit ihrem Talent in die heimische Sphäre des feinen Geistes zurück. Das kleine, aber reizende Proverbe: „das ist der Fehler des Ehemanns“ entschädigte mit seinem glänzenden Erfolge für alles Mißgeschick der früheren dramatischen Arbeiten und noch mehr das Stück „Lady Tartüffe“, mit welchem sie einen bleibenden Ehrenplatz auf der Bühne errang. In dem folgenden, „Freude und Furcht“, liegt eine unendliche Poesie verschleiert, und Paris konnte sich lange nicht satt sehen an diesem liebenswürdigen Stücke; noch mehr Glück aber machte „der Hut des Uhrmachers“, das, durch seinen prickelnden Witz und sprudelnden Humor, mehr denn hundert Vorstellungen erlebte.

Frau von Girardin war überdies keineswegs so unbekannt mit der deutschen Literatur, wie es gemeinhin die französischen Schriftsteller sind. Vermochte sie auch nur mangelhaft die Sprache selbst zu handhaben, so las sie doch deutsche Bücher mit ziemlicher Leichtigkeit und pflegte manche Stellen darin, die sie nicht ganz verstanden, mit Bleistift anzustreichen, um bei Gelegenheit von mir nähere Aufklärung zu begehren. Der gute Lafontaine war ein Liebling von ihr und ebenso Heinrich Heine, dessen Loreley-Lied und Wallfahrt nach Kevlaar von ihr vor allen andern den Vorzug erhielten; auch hatte sie durch die Lectüre von St. Roche, den ich ihr gegeben hatte, so viele Zuneigung zu den Romanen der Paalzow bekommen, daß ich ihr die übrigen besorgen mußte.

Als sie mir einst eine Sammlung der besten deutschen Dichtungen zurückgab, die mit besonderer Sorgfalt nach den verschiedenen Dichterschulen eingetheilt waren, sagte sie:

„Dies Buch hat mich belehrt, daß die französische Poesie wie eine Palme dasteht, von deren einzigem Stamm sich eine prächtige Blätterkrone entfaltet; die deutsche dagegen einem Kirchenschiffe gleicht, welches viele Säulen und Pfeiler tragen, in dem es Altäre, Kapellen und Nischen gibt, und in dessen weitem Raum die Menge andächtig, aber vor verschiedenen Kreuzen betet.“

Wie schon gesagt, war Victor Hugo Besucher dieses geistreichsten aller Pariser Salons. Seit der Krönung der „Muse von Frankreich“, die mit dem Journal im Anfange der zwanziger Jahre stattfand, war er einer ihrer treuesten Paladine geblieben. Der Dichter von „Notre Dame“ macht, noch ehe man seinen Namen kennt, durch sein tiefes Auge, seine schöne Stirn und gütigen Züge einen herzgewinnenden Eindruck; in seinem Benehmen liegt etwas weibliche Koketterie, aber auch eine Herzlichkeit, die weit über die cordialen Formen der französischen Politesse und Höflichkeit hinausgeht. Dabei fesselt ein sanfter, fast träumerischer Schmelz, der den Blick leicht umflort; die Spiegel der Seele vergönnen reichlich die Geheimnisse eines Dichterherzens abzulauschen, zu deren Verständniß nichts fehlt, als der magische Zauber derjenigen Worte, die Victor Hugo zu Gebote stehen.

Der liebenswürdigste und beneidenswerthe Familienvater, bewahrt er eine rührende Pietät für die so tragisch gestorbene Tochter und ihren Gatten Vaquerie. Noch in der ersten Zeit ihrer glücklichen Ehe, wo die Dornen der Rosenkette noch Niemanden verwundet

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_532.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2022)