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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

das wohl auch jetzt einsehen mochte, wie keck es gewesen. – Und als hie und da Einer oder der Andere sich herandrängte, dem bildhübschen Pagen recht in’s Gesicht starrte, über seine Wangen strich, oder gar sein Kinn emporhob, um das Gesichtchen betrachten zu können, da kam die mädchenhafte Scheu und Angst über sie und, über des Meisters Sessel geneigt, bat sie flüsternd:

„Herr, laßt mich hinweggehen, es wird mir so beklommen hier!“

Und als er ihr verwundert, aber freundlich zum Abschiede die Hand reichte, sah er Thränen in den wunderlieben Augen. Dann hing sich der vermeintliche Page an den Arm des alten Conninghs und verschwand.

Martin von Hemskerk hatte die schlechteste Nacht in seinem Leben. Der schöne Page tanzte vor seinen Augen unablässig auf und ab – aber – o Graus – er trug einen Weiberrock und statt des Barettleins mit der nickenden Feder darauf, hatte er eine Schneppenhaube aufgesetzt. Und sie stand ihm noch zehntausend Mal schöner!

Mit dem frühen Morgen erschien mit einem Armensündergesicht Vater Conninghs, berichtete Alles und bat den Meister im Namen seines Kindes um Verzeihung.

„Sie ist ganz zerknirscht über ihren wunderlichen Streich,“ sagte er, „sie weint unablässig und wenn ich ihr Eure Vergebung nicht bringe, edler Meister, so geht mir vielleicht gar mein einzig Kind in ein Kloster.“

Lange stand der Meister unschlüssig da. Es kämpfte Allerlei in seinem Herzen. Der schöne Page blieb als Sieger.

„Ich will ihr meine Verzeihung selber bringen!“ erwiderte er endlich.

Freudestrahlend ging der wackere Bürger heim.

Und das Wunder geschah. Martin von Hemskerk ging wirklich in das Haus Conninghs’ hinein, nachdem er zwei Mal an der Schwelle umgekehrt. – Als er aber die holdselige Maria gesehen in ihrem weiten faltigen Kleide, das auf die kleinen Füße niederwallte, in der goldenen Schneppenhaube, die ihr in der That zehntausend Mal schöner stand, als das Barettlein, – da begriff er seine Furcht nicht mehr, und als er wieder heimkehrte, war er – ein strahlend froher Bräutigam und hatte die reinsten süßesten Lippen der Welt geküßt.

Kaum sechs Wochen nachher feierte er seine glänzende Hochheit mit der Rose von Harlem. – Aber, es war als sollte ihm nun eine Strafe werden für seine lange Verachtung der schönsten Blumen auf Erden, – Gott brach ihm seine holde Rose, sein junges, zärtliches Weib, als sie ihm das erste Töchterlein geboren, und auch das Kind nahm er mit der Mutter in den Himmel. – Da war nun Jammer und Leid, allwo Freude und Glück gewohnt. Der Meister trauerte tief und schwer. – Er malte zwar nun eifriger denn zuvor, er schloß sich sogar in seine Werkstatt ein und ließ Niemanden zu sich, aber seine Freunde schüttelten die Köpfe über seine fertigen Bilder und nur die große Menge bewunderte sie, weil sie – von Meisterhand kamen. – Es war etwas Fremdes, Verzerrtes, Unwahres in den Gestalten, etwas Grelles in den Farben. Jener Martin von Hemskerk, der den heiligen Lucas und den prächtigen Kaiser Karl gemalt, war – mit der schönen Maria gestorben. Die Menge aber schrie desto lauter, je unnatürlicher seine Bilder, und vielleicht betäubte ihn dies Letztere, daß er sich immer tiefer in die Unnatur hinein malle und zuletzt sich selbst ganz und gar verlor. – Seine früheren Bilder verwarf er. Einer seiner Schüler fragte ihn einmal, warum er denn früher so ganz anders gemalt, da gab er ihm barsch zur Antwort:

„Damals wußte ich nicht was ich that, damals war ich Sclave, jetzt bin ich freier Herr!“

Viele seiner Freunde sagten:

Rom hat ihn verdorben!“

Andere sahen tiefer und erkannten, daß der erste heiße Schmerz diesen klaren Sinn, dies freie Auge umwölkt. – Ach, nicht viele werden von den Wellen solchen Schmerzes an ein Eiland seliger Ruhe getragen, allwo sie neu aufleben und größer und thatenreicher werden können, die meisten Herzen gehen in solchen Stürmen unter. Eines oder das Andere versucht wohl im Kampfe mit den grausamen Wellen nach den goldenen Sternen zu greifen, die so fest und hell über ihm glänzen, – Manchem gelingt der Griff und er schwingt sich empor, – – die Meisten versinken aber doch ohne Rettung.

Martin von Hemskerk war unter ihnen. – Er schien für nichts mehr Sinn zu haben, als recht viel Geld zu sammeln, und er wurde reich und immer reicher, denn seine Bilder verkauften sich des Namens wegen immerhin sehr glänzend.

Aber es sollte noch trauriger mit ihm werden. – Etwa zwei Jahre nach dem Tode seiner wunderschönen Maria geschah es dem Meister, daß er eines Morgens der Harlemer Schützengilde in den Weg lief, die gerade ihren Umzug hielt. Die blitzenden Büchsen kamen ihm plötzlich so absonderlich drohend vor, seine alte Furcht zog ihm so fest ein schwarzes Tuch über den Kopf, daß er blitzschnell Kehrt machte und in der Angst seines Herzens in eine Kirche hineinlief, was ihm sonst nicht absonderlich oft in den Sinn kam, obwohl ihn seine Mitbürger schon längst zum Kirchenrath gemacht hatten. –

Da rannte er denn einer alten Jungfer, die mit dem Meßbüchlein in der Hand gar ehrsam dahertrippelte, schnurstracks in die Arme. Die erhob denn auch allsogleich, trotz des heiligen Ortes, ein durchdringendes Zetergeschrei und drohte in einem nie enden wollenden Redefluß mit Klage und harter Strafe und ließ dabei den Arm des zu Tode erschrockenen Meisters keinen Augenblick los. Neugierige drängten sich herbei und standen lachend umher. Plötzlich erbarmte sich ein Schalk des bedrängten Martin und flüsterte ihm Einiges in’s Ohr Gleich darauf neigte sich der Meister zur Jungfrau und redete leise eine Weile zu ihr. Seine Worte wirkten wunderbar, denn die wüthende Löwin verwandelte sich zur Stelle in ein sanftes Täublein. Die Andern erfuhren des Räthsels Lösung eine Woche nachher, wo der Martin von Hemskerk die steinreiche Jungfrau Brigitta zum Altare und nachher als Ehegemahl in sein Haus führte. – Er war kaum drei Tage mit ihr verehelicht, so wußte er mit einem Male, weshalb er sich all’ sein Lebtage so vor den Weibern gefürchtet.

Eine gute Natur muß er aber gehabt haben, der Meister Martin, denn er ließ sich von seinem Weibe martern und quälen Tag und Nacht und wurde doch 76 Jahre alt dabei. An seinem 74sten Geburtstage erlöste ihn erst der Engel der Barmherzigkeit von seinem Plagegeiste.

Von Stund’ an wurde Martin von Hemskerk ein Andrer. Er legte seinen Pinsel zur Ruhe und bestellte sein Haus. Von all’ seinen Bildern waren nur noch Wenige in Harlem, die Spanier, als sie im Jahre 1572 die Stadt belagerten, hatten all’ dergleichen als gute Beute mit fortgeschleppt. – Aber eine Verkündigung Mariä war noch da, allwo die Gestalt des Engels Gabriel sich im Marmorgetäfel des überaus kunstvoll gemalten Fußbodens so klar spiegelte, als stände sie auf durchsichtigem Eise. Auch den heiligen Lucas, den er damals für die Malergilde gemalt, hatte man gerettet. Lange stand der Meister sinnend vor diesen seinen beiden so verschiedenen Schöpfungen.

„Es war doch besser so!“ sagte er endlich zu seinem Freunde und Schüler Jacob Rauwaart und zeigte mit dem Finger auf die Apostelgestalt.

Hab’ und Gut vermachte er den Armen und der Kirche. Insbesondere setzte er eine große Summe Geldes aus zur jährlichen Ausrüstung eines liebenden Paares am Marientage. Seinen Eltern ließ er ein prachtvolles Denkmal setzen auf dem alten Kirchhofe von Hemskerk und bestimmte ebenfalls ein Capital für die Erhaltung dieser Ruhestätte auf ewige Zeiten.

Sein eigenes Grab ließ er sich neben seiner Maria rüsten, die ehemalige Jungfer Brigitta lag weit davon, er hatte ihr einen recht schweren Stein auf’s Grab legen lassen, den allerlei Genien festzuhalten schienen mit all’ ihren Kräften.

Noch am letzten Septembertage wanderte er hinaus auf den Friedhof, in den Blumengarten, in welchem Maria schlief mit seinem Kindlein. Die Rosen waren an ihrem Hügel schon verblüht, nur ein halberschlossenes Köpflein nickte noch ihr zu Häupten. Er brach es und wanderte langsamen Schrittes wieder heim.

Am Morgen des ersten Oktobers 1574 fand man den hochberühmten Meister Martin von Hemskerken auf seinem Lager todt. – In der Hand hielt er eine herrlich erschlossene Rose und auf seinen Lippen stand das Lächeln derer, die den Ruf des Herrn vernahmen:

„Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen!“



 

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_528.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)