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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wesentlich umstimmte. Wenigstens behaupteten die Hausbewohner allgemein, daß die Trauerkleidung der Wittwe und Kinder durch die Frau des Wirthes in höchsteigener Person in die Sterbewohnung gebracht worden waren.

In den Zeitungen aber war am folgenden Tage unter den „Todesanzeigen“ zu lesen:

„Am vierzehnten Februar starb hierselbst der königliche Canzleidirector Wilhelm August … im eben vollendeten dreiundvierzigsten Jahre an den Folgen einer Brustkrankheit, welche durch eine hinzugetretene Erkältung einen schnellen tödtlichen Ausgang nahm. Der Dahingeschiedene war während seiner zwanzigjährigen Dienstzeit ein Muster der Pflichttreue und Hingebung an seine dienstlichen Obliegenheiten gewesen, und hatte sich in gleichem Grade des Vertrauens seiner Vorgesetzten, wie der Achtung und Liebe seiner Collegen und Untergebenen zu erfreuen gehabt. Sein Name wird für immer in ehrenvollem Andenken bleiben.“




Was ich im Lande der Thüringer und Franken fand.
Illustrierte Reiseskizze von Ludwig Löffler.
(Fortsetzung.)

Die schöne, etwas heißblütige Nachmittagssonne erlaubte den beiden Wanderern nur modice ac temperanter den Weg über die Justinshöhe, Zeigernhain, nach der prächtigen Ruine Greifenstein zu verfolgen. Eine Menge Umfassungsmauern schließen die bedeutenden, in malerischer Unordnung umherstehenden Reste der ehemaligen Burg der Schwarzburger ein, die in ihren Spitzbogenthüren und feingegliederten Fenstern eine ehemalige Schönheit vermuthen lassen. Eine alte knöcherne Frau, Ruine in der Ruine, lebt in einem hergerichteten kleinen Zimmer mit herrlicher Aussicht und Fremdenbuch, und trabt bergauf bergab, von und nach Blankenburg, um ein paar magere Pfennige durch den gestillten Durst der Kletterer zu verdienen. Eine Gesellschaft, die schon den herrlichen Sonnenuntergang über der üppigen Landschaft betrachtete, und auch noch den bleichen, gehörnten Nachtschwärmer erwarten wollte, löste eines seiner Glieder ab, welches uns hinab begleitete. Es war ein origineller Mann. Er hatte eine gewisse, aber fast ausartende Zuthulichkeit. Mit meisterhafter Geschicklichkeit wußte er plötzlich dem Gespräch über Staatsökonomie eine andere Wendung zu geben, behauptete (wie die Haruspices aus den Eingeweiden wahrsagten) aus den Zähnen den Charakter eines Menschen beurtheilen zu können, und war unvermuthet mit der Forderung da: „Ach, zeigen Sie einmal ihre Zähne“ (Aha! ein Zahnbrecher!)

Die Gutmüthigkeit meines Vetters gab dies zu, wofür er zum Dank im nächsten Augenblick einen Spiegel im Munde hatte, den der triumphirende Ausruf begleitete: „Sehen Sie doch diese Zahnformation!“

Der Chrysopras.

Der Dentiste mußte ein so unendliches Wohlgefallen an unsern ruinirten Gebissen finden, daß er uns absolut nicht über Blankenburg hinauslassen wollte und ganz kühl Abschied nahm, als ich anfing, ihm im metaphorischen Sinne die Zähne zu zeigen, und darauf bestand, noch wenigstens bis zum Anfange des Schwarzathales zu gehen. Dies geschah. Es nahm uns der „Chrysopras“, ein früheres Zechenhaus von „Hannchens Grube“, gastlich auf, und noch lange saß es sich gut bei dem blakenden Talgstümpfchen, während der Mond durch die dunkeln Tannen über die Berge lugte.

Die Schwarza entlang, in der einst Gold gewaschen wurde, gingen wir am nächsten Morgen den engen, melancholischen Pfad, der von Bergen mit Laubholzwaldungen (hin und wieder von Weißtanne und Lärchbaum unterbrochen) begrenzt ist. Jede der unzähligen Biegungen des Weges gibt ein neues schönes Bild des romantischen Thales. Am Ende desselben, bei einer Brücke mit Steingeländer, öffnet sich plötzlich die Aussicht und in einem herrlichen, von üppigen Bergen umgebenen Kessel liegt vor uns ein Juwel des thüringer Landes, das Schloß Schwarzburg. Hier war ein langer Augenblick der Ruhe, denn unbeschreiblich war der Anblick der in den zauberhaftesten Sonneneffecten schwimmenden Landschaft.

Das das schwarzburger Felsenschloß umgebende Dörfchen ist eine wahre Idylle, dessen Bewohner sich aus frühester Zeit „die Männer vom Thale Schwarzburg“ nennen. In diesem vermieden wir weise die Prosa der weißen sonntäglichen Kleider und aufgestutzten Frisuren der nach und nach sich einfindenden Kleinstädter.

Am Nachmittage stiegen wir drei (denn ein zuerst schweigsamer und abstoßender Fremder, ein Maler W. aus Dresden, war uns jetzt ein lieber Gefährte geworden) den Trippstein, in dessen Borkenhäuschen uns noch einmal der überraschende Anblick des üppigen Schwarzburger Wiesengrundes wurde.

Die Wanderung wurde fortgesetzt und wir gelangten zunächst nach der sogenannten Fasanerie, einem schönen Vergnügungsparke mit düsteren, labyrinthischen Gängen, und dann über Allendorf und das malerische Millwitz, Dörfer, die sich durch eine gewisse Wohlhabenheit und dunkel gestrichene Balkenlagen auszeichnen, nach Paulinzelle, in dem wir in der Finsterniß ankamen.

Das Abendbrod und die fast elternhafte Aufmerksamkeit der Wirthsleute erwarben sich sofort unsere vollständige Hochachtung, nur störte uns in dem nebenliegenden Versammlungszimmer das unausstehliche Geplärre der jüngeren Mitglieder einer Familie, accompagnirt von dem in Töne gebrachten Leichtsinn eines jungen Mädchens, die sie einem alten Pianoforte abwürgte, und das burschikose Auftreten zweier nackthalsiger Musensöhne, die ihre ersten Bartfasern zum ersten Male in die Welt trugen.

Die Nacht hatte uns gestärkt und wir betraten an dem nächsten, leider regnerischen Morgen die imposanten Reste des einstigen Klosters.

Paulinzelle wurde im zwölften Jahrhundert von der frommen Tochter Moricho’s als kleines Nonnenkloster Mariazelle gegründet, erhielt jedoch nach dem Tode und der bald darauf erfolgten Canonisation (Paulina reclusa) den Namen der Stifterin und wurde Mönchs- und Nonnenkloster zu gleicher Zeit. Unwissenheit und Sittenlosigkeit herrschten natürlich darin, bis es im Bauernkriege geplündert und 1534 gänzlich aufgehoben und verlassen wurde. Um ihm die jetzige Gestalt zu geben, that zunächst ein Blitzstrahl, dann aber eine fürsorgliche Renovation das Nöthige.

Es muß ein großartiges Bauwerk gewesen sein, da die wenigen Trümmer (romanischen Styls) noch einen so wunderbaren Eindruck machen. Hübsche Rasenanlagen, welche die grandiosen Säulenreihen umgeben, beweisen die Sorgfalt, die jetzt auf Erhaltung dieses historischen Denksteines gerichtet wird. Einige halbverfallene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_522.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2022)