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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

hagere Gestatt und das blonde Haupthaar fast noch jünger erscheinen, so konnte man ihn dafür wiederum, nach der gefurchten Stirn und der gekrümmten Haltung, für einen Fünfziger halten. Ein aufmerksamer Beobachter, aber auch nur ein solcher, würde vielleicht bemerkt haben, daß der Anzug des Herrn Directors bei tadelloser Sauberkeit doch eine gewisse Fadenscheinigkeit verrieth, welche die offenbar angewandte größte Sorgfalt nicht vollständig zu verdecken vermocht hatte, und welche mit dem pomphaften Titel des Inhabers dieser Kleidung nicht ganz im Einklang stand. Es gehört eine ziemlich genaue Kenntniß der wunderlichen Nomenclatur des Beamtenthums dazu, um zu wissen, daß es Subalternbeamte mit diesem Titel gibt, der vollständig eigentlich „Canzlei-Director“ lautet, den Vorsteher einer Canzlei bezeichnet, und aus Courtoisie gewöhnlich in den wohlklingenderen „Director“ abgekürzt wird, bis der also Titulirte die seltsamer Weise höhere Rangstufe des „Canzlei-Rathes“ erreicht. Endlich wird er gar „Geheimer Canzlei-Rath“, ohne daß er trotzdem aufhört, ein Subalternbeamter zu sein, welcher nichtsdestoweniger als Herr „Geheimer-Rath“ unter den übrigen Geheimen-Räthen der Gerichtshöfe und Verwaltungsbehörden figurirt. So kommt es denn zuweilen, daß ein junger Assessor bei einer Behörde den Herrn „Geheimen-Rath“ anweist, dieses oder jenes Aktenstück herbeizuschaffen, oder eine Expedition zu erledigen.

Der Director, von dem wir reden, schien diese Einladung zur Theilnahme am Whist mit Besorgniß vorausgesehen zu haben, denn mit augenscheinlicher Aengstlichkeit suchte er sich durch unzusammenhängende Ausflüchte der ihm zugemutheten Betheiligung zu entziehen. Glücklicher Weise kam ihm seine Frau im entscheidenden Augenblicke zur Hülfe, und entwickelte mit geläufiger Beredsamkeit ausreichende Gründe für die Dispensation ihres Gatten, unter denen als der entscheidendste ein heftiger Kopfschmerz gelten gelassen wurde, den sich der Aermste durch übereifriges Arbeiten zugezogen habe. Als der Herr des Hauses den Director nach mancherlei Versicherungen freundlichen Bedauerns wieder verlassen hatte, athmete der Letztere erleichtert auf. Aber sein Kopfschmerz schien ihn während des ganzen Abends nicht zu verlassen, denn er blieb einsylbig, und trotz manchen leisen Winks seiner Frau war er zu keiner lebhafteren Theilnahme an der Unterhaltung zu bewegen. Auch an der Abendtafel nahm er stillschweigenden Antheil, obgleich die laute Fröhlichkeit um ihn her wohl geeignet gewesen wäre, ihn von seinen Gedanken abzuziehen. Von Zeit zu Zeit sandte seine Frau Blicke voller Besorgniß zu ihm herüber, um sich dann desto lebhafter zu dem Tischnachbar oder der Tischnachbarin zu wenden, welche die angenehme Unterhaltungsgabe der Frau Directorin zu gut zu schätzen wußten, um sie sich selbst oder der ausschließlichen Theilnahme für den Gatten zu überlassen. Aber auch sie schien das Ende des Mahls herbeizusehnen, denn nachdem die lange Reihe lächerlicher Complimente beendet war, mit denen eine wohlerzogene Tischgesellschaft sich marionettenartig zum Schlusse zu regaliren pflegt, gab sie ihrem Manne einen leisen Wink, und Beide verabschiedeten sich unter mannichfachen Versicherungen gegenseitigen Bedauerns über das frühe Scheiden.

Die Hausfrau wies das Mädchen an, eine Droschke für die Herrschaften herbeizuholen. Die Frau Directorin lehnte das Anerbieten eifrig ab.

„Es wird meinem armen Manne bei seinem Kopfschmerz wohl thun, wenn wir die kurze Strecke nach Hause zu Fuße zurücklegen.“

„Aber ich bitte Sie, Sie haben bis zum Rosenthaler Thore eine halbe Stunde zu gehen; außerdem ist Schnee gefallen, und Sie gewärtigen, sich zu erkälten.“

Mit munterem Lachen beharrte indessen die Directorin bei ihrer Ablehnung, und man verabschiedete sich endlich. Das Mädchen leuchtete voran, um das bereits verschlossene Haus zu öffnen. Auf der letzten Treppenstufe flüsterte die Frau ihrem Manne etwas in’s Ohr. Dieser zuckte statt aller Antwort mit den Achseln.

„Es ist schrecklich!“ stöhnte die Frau leise vor sich hin. Damit waren sie bis an die Thür gelangt. „Ich danke, liebes Kind – ein ander Mal –“

Sie waren auf die Straße getreten.

„Schäbiges Volk –“ brummte das Dienstmädchen, unwillig die Thür zuschlagend, daß das Licht beinahe erlosch – „tragen seidene Kleider und Glacéhandschuhe, gehen in feine Gesellschaften und geben nicht einmal einem armen Dienstmädchen ein Trinkgeld. Je vornehmer, desto ruppiger – na, kommt Ihr nur wieder!“

Wer weiß, ob Du also gesprochen hättest, derbes, aber treuherziges Geschöpf, wenn Du den Beiden gefolgt wärest, die jetzt schweigend in den beschneiten Straßen den Heimweg antraten. Sie sahen nicht aus, als kämen sie aus einer fröhlichen Abendgesellschaft, und auch sie, die sonst so gesprächige Frau, ging in trübem Schweigen an der Seite ihres Mannes einher.

Als sie eine geraume Zeit gegangen waren, unterbrach die Frau die unheimliche Stille.

„Ich dachte, Du hättest noch Geld bei Dir, mindestens einen Thaler –“

„Du hast vergessen,“ antwortete der Mann gereizt, „daß ich heute meinen Beitrag für den Festpokal zum Jubiläum des Hofraths geben mußte. Sollte ich der einzige Beamte sein, der sich ausschloß? Mein Beitrag war ohnehin der geringste.“

„Wir haben keinen Pfennig Geld im Hause – nicht einmal zum Frühstück morgen für die Kinder, und der Bäcker mahnt jedes Mal –“

Der Mann antwortete nicht; als sie aber an die Brücke gelangt waren, welche über den größeren Arm des Flusses führt, faßte er seine Frau bei der Hand und sagte mit einem Tone, aus dem die trostlose Lebensmüdigkeit sprach:

„Wie es kommt, wir müssen es tragen, so oder so, alles Jammern macht das Elend noch elender. Sonst lieber gleich hier hinein, dann wär’ mir wohl. Lange wird es ohnedies nicht mit mir dauern,“ setzte er leise hinzu.

Aber als hätte es dieser Anmahnung zur Standhaftigkeit nur bedurft, um die entgegengesetzte Wirkung hervorzurufen, so brach das arme Weib gerade jetzt in unaufhaltsame Thränen aus, und vorübereilende Nachtschwärmer blickten ihr verwundert nach, vermeinend, das Ehepaar fülle die Zeit der Rückkehr von einem fröhlichen Gelage mit einer Ehestands-Scene aus.

„Und bei alledem noch in Gesellschaften gehen zu müssen,“ schluchzte sie, „es hat mir fast das Herz abgedrückt. Die üppige Rendantin hat mir fortwährend auf die ausgewaschenen Handschuhe geguckt und ein Mal über das andere Deinen Canzlei-Frack gemustert.“

„Ich konnte nicht anders,“ sagte der Mann resignirt, „der Geheim-Secretair hätte unser Ausbleiben übel genommen, und Du weißt, welche Verbindlichkeiten wir ihm schuldig sind.“

„Aber ein Entschluß muß doch gefaßt werden, Wilhelm, es muß doch etwas geschehen,“ fuhr die Frau wieder fort, „der Wirth drohte schon gestern, die Exmissionsklage anzustellen –“

„Jawohl,“ versetzte der Mann mit leisem Hüsteln, „es wird recht spaßhaft für meine Canzlisten sein, wenn sie die Vorladungen oder gar die Executions-Mandate gegen ihren Chef ausfertigen.“

Er mußte stärker husten und suchte sich fröstelnd fester in den dünnen Ueberrock zu wickeln. Die Frau schmiegte sich dichter an ihn, als wollte sie ihn so vor der kalten Nachtluft besser schützen.

„Sprich nicht mehr,“ bat sie, „Du mußt sonst husten. Wenn nur erst wenigstens das Frühjahr da wäre, das ist doch immer ein Trost, daß dann die ewige Noth um Licht und Feuerung geringer wird!“

Sie hörte nicht, wie der Mann leise vor sich hinmurmelte: „Zum Frühjahr! das ist auch mein letzter Trost!“

Sie waren an ihr Haus gelangt und schlossen eben die Hausthür auf, als sie schwere Schritte hinter sich hörten. Es war der wohlbeleibte Wirth, der aus seiner Tabagie zurückkehrte. Das Begegniß konnte sich nicht unglücklicher für das Ehepaar treffen.

„Ei, sieh da, Herr Director und Frau Gemahlin, guten Abend! Gewiß in vornehmer Gesellschaft gewesen – ja, ja, so geht’s, zu Allem langt es, nur nicht, dem armen, geplagten Hauswirth die Miethe zu bezahlen –“

„Bester Herr Ehrenberg,“ bat die geängstigte Frau, „haben Sie noch einige Tage Geduld, wir sind Ihnen ja sicher –“

„Hoho!“ lachte der Wirth mit grober Stimme, „ich danke für die Sicherheit! Sie glauben, ich hätte den Wechseljuden nicht bei Ihnen ein- und ausgehen sehen? Ich weiß recht gut, daß Sie sich von einem Termin zum andern nur durch Prolongation gegen hohe Zinsen hinschleppen. Ich muß Ihnen sagen, Herr Director, daß mir an solchen Miethern gar nichts gelegen ist. Da ziehe ich mir lieber einen reputirlichen Handwerker vor, der keinen großartigen Titel hat, der aber dafür seine Miethe pünktlich bezahlt, anstatt sich mit Wechseljuden und solchem Pack abzugeben.“

„Sie sind vollkommen in Ihrem Rechte, Herr Wirth,“ nahm

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