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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sie war viel zu viel mit sich und ihren Erfolgen beschäftigt, um die zunehmende Blässe seiner Wangen und eine gewisse Zerstörtheit in seinen Gesichtszügen zu bemerken. Auch gab er sich alle erdenkliche Mühe, sein gesteigertes Uebelbefinden vor ihr zu verbergen, um sie nicht zu beunruhigen. Wenn sie mit ihm sprach, suchte er oft mit der größten Anstrengung heiter zu scheinen und sie durch ein Lächeln zu täuschen. Dies gelang ihm auch um so leichter, da sie durch den Glanz des Festes und die Fülle der ihr gebotenen Zerstreuungen von jedem betrübenden Gedanken gänzlich abgezogen wurde. Dagegen konnten dem schärferen Auge der Mutter die Veränderungen nicht entgehen, welche dieser in Theodors ganzem Wesen und Benehmen auffielen. Theilnehmend erkundigte sie sich nach der Ursache, doch auch ihre Besorgnisse suchte der gute Sohn aus ähnlichen Gründen zu beschwichtigen, indem er die Schuld der allerdings unerträglichen Hitze und dem lästigen Gedränge beimaß. Aber von Minute zu Minute, von Stunde zu Stunde vermehrte sich sein Unwohlsein, fliegende Frostschauer wechselten mit einer plötzlichen, fieberhaften Hitze, sein Kopf brannte und der ganze Saal schien sich mit ihm im Kreise herumzudrehen. Er sah die Personen und Gegenstände wie durch einen Flor und vermochte sich kaum mehr aufrecht zu erhalten. Gerade stimmte die Musik die ersten Töne des Cotillons an, auf den sich Clementine so sehr gefreut hatte; Theodor war zu diesem Tanze mit ihr engagirt, aber er vermochte nur mit der größten Anstrengung einige Touren im Saale zu tanzen. Erschöpft sank er auf einen Stuhl neben ihr nieder, aber auch jetzt suchte er sich noch so viel als möglich zu bezwingen, länger konnte ihr indeß sein Zustand nicht verborgen bleiben; sie erschrak, als sie ihn leiden sah, eben so sehr über sein krankes Aussehen, wie über die plötzliche Zerstörung ihrer Lust.

„Mein Gott!“ rief sie ängstlich. „Du bist doch nicht im Ernste unwohl?“

„Es ist nichts,“ antwortete er mit dem höchsten Aufwande seiner Selbstbeherrschung. „Ein leichter Anfall, der hoffentlich bald vorübergehen wird. Beunruhige dich nicht weiter.“

„Wir wollen lieber aufhören zu tanzen und uns in ein Cabinet zurückziehen, wo es kühler ist. Im Saale ist die Hitze wahrhaft erstickend,“ sagte sie.

„Das macht erst unnöthiges Aufsehen. Bleiben wir hier; ich fühle mich schon bei Weitem besser.“

„Wir können ja pausiren, wenn Dich das Tanzen angreift,“ entgegnete sie, indem sie bereitwillig auf seinen Vorschlag einging.

Clementine hätte nicht gern den Cotillon versäumt, der gleichsam einer Art von Preisvertheilung, einem Wettrennen der Schönheit ähnlich sieht. Wie viele Auszeichnungen, Bouquets und Geschenke waren noch zu erwarten, wie viele Nebenbuhlerinnen zu besiegen, wie viele öffentliche Huldigungen in Gestalt von Blumen, Schleifen und Sternen einzuernten; und das Alles sollte sie nun um eine kleine Unpäßlichkeit ihres Verlobten aufgeben. Dazu konnte sie trotz aller Liebe sich nicht so leicht entschließen. Das Opfer war zu groß, das ihr zugemuthet wurde, und ein so hoher Grad von Opfermuth lag einmal nicht in ihrer Natur. Sie war nicht zum Entsagen geschaffen, eine jener Blüthen, welche sich am liebenswürdigsten in der warmen Atmosphäre des Glückes und des ungestörten Genusses zu entfalten pflegen. Das kleinste Mißgeschick konnte sie schon verstimmen und aus der Fassung bringen. Zum Dulden und Entbehren war sie weder geboren, noch erzogen. – Theodor war schwach genug, auch jetzt noch ihre deutlich ausgesprochene Vergnügungssucht zu schonen; seine Nachsicht ging so weit, daß er noch einmal seine Leiden zu bewältigen sich bemühte und den Cotillon über, zum Schaden seiner Gesundheit, ausharrte. Zwar tanzte er nicht mehr, denn dazu reichte seine Kraft nicht aus, desto mehr Clementine, welche kaum allen Aufforderungen der von ihr entzückten Herren genügen konnte. Ihre Brust war mit Schleifen und Orden bedeckt, zu ihren Füßen lagen die schönsten Blumenbouquete aufgehäuft; sie blieb auch im Cotillon die Königin des Abends, die unbestrittene Herrin des Balles; ihr Sieg war so vollkommen, daß ihr nichts zu wünschen übrig blieb. Dafür warf sie auch jedes Mal, wenn sie an dem Arme eines Tänzers vorüberflog, einen zärtlichen Blick, ein grüßendes Lächeln ihrem Verlobten zu, der ihr von ganzem Herzen zugethan ihre Lust gönnte. Mit diesen Beweisen ihrer aufmerksamen Zärtlichkeit glaubte sie Alles gethan zu haben, was er nur billiger Weise von ihr fordern durfte.

Endlich war der Tanz vorüber und die große Pause kam. Der Hof entfernte sich, mit ihm der feinere und vornehmere Theil der Gesellschaft. Jetzt wäre auch Clementine keinen Augenblick länger geblieben; sie selbst mahnte zur Rückkehr, wogegen Theodor nichts einzuwenden hatte. Der Wagen fuhr vor und Clementine durchlebte noch einmal in Gedanken den heutigen Abend, zurückgelehnt in den Polstersitzen, mit halb geschlossenen Augen all’ die schmeichelnden Bilder vorüberziehen lassend.

„Gute Nacht, lieber Theodor und gute Besserung!“ rief das Mädchen sorglos, an ihrer Hausthür angelangt. „Morgen seh’ ich Dich bei mir, denn Deine Krankheit scheint bereits gehoben.“

„Ich fühle mich in der That wohler,“ entgegnete er, von der frischen, kühlen Nachtluft erquickt.

„Also auf baldiges Wiedersehen!“

Sie küßte der Commerzienräthin noch zum Abschiede die Hand und gestattete dem Verlobten eine zwar flüchtige, aber innige Umarmung, dann verschwand sie, um betäubt von all’ ihren Triumphen, ermüdet von den Anstrengungen des Tanzes auf ihr Lager hinzusinken. So schlaftrunken sie aber auch war, sie konnte sich dennoch nicht enthalten, beim Auskleiden einen Blick in ihren Spiegel zu werfen. Halb schon träumend flüsterte sie noch: „ich war wieder die Schönste auf dem Ball.“ Auch an Theodor dachte sie wohl noch einmal. „Wie gut er ist,“ sagte sie bereits mit geschlossenen Augen, „ich werde jedenfalls sehr glücklich mit ihm sein.“ Bald gähnte sie und träumte nur noch von Festen, von dem Fürsten und all’ den Dingen, welche sich ein Mädchen von achtzehn Jahren auch wachend zu wünschen und zu denken pflegt.

Von seiner Mutter nahm Theodor einen schnellen Abschied, da er das Bedürfniß nach Ruhe im hohen Maße empfand. Er fühlte sich wenigstens für den Augenblick wohler, als er die Thür zu seiner Wohnung öffnete, welche auf dem anderen Flügel des Hauses lag. Die Begleitung des Bedienten, den die besorgte Mutter ihm nachschickte, hatte er abgelehnt, da es schon spät war und er den Ermüdeten nicht noch länger aufhalten und ihm die Ruhe rauben wollte.

„Gehen Sie nur, Friedrich,“ sagte er gutmüthig, „ich werde mich schon allein auskleiden.“

Durch ein kleines, geschmackvoll eingerichtetes Vorzimmer gelangte er in seine eigentliche Wohnstube, welche die mütterliche Sorgfalt mit dem größten Comfort ausgestattet hatte. Da fehlte es nicht an dem schwellenden Divan und an bequemen Lehnstühlen. Eine Wand wurde gänzlich von seiner Bibliothek eingenommen, welche die besten wissenschaftlichen und poetischen Werke enthielt. Auf zierlichen Postamenten standen die Büsten berühmter Staatsmänner und Dichter. Außerdem fehlte es nicht an Jagdgewehren, gestickten Papierkörben, Zeitungsmappen und ähnlichen Andenken von zarter, weiblicher Hand, die größtentheils Clementine ihrem Verlobten geschenkt hatte. An dem Fenster stand ein Blumentisch mit seltenen Blattpflanzen und exotischen Gewächsen bestellt. Das Ganze verrieth eine Sorgsamkeit und Sauberkeit, wie man sie nur selten oder gar nicht in einer Junggesellenwirthschaft zu finden pflegt, in der ganzen Atmosphäre spürte man das Walten einer liebevollen Frau. Theodor fühlte sich auch von Jugend auf nirgends so wohl, als in seiner eigenen Häuslichkeit, und so oft er die freundlichen Räume betrat, überkam ihn auch ein eigenes, behagliches Gefühl. Auf dem Tische brannte die traute Lampe, an der er zu studiren pflegte; sie war so tief herabgeschraubt, daß sie nur ein schwaches dämmerndes Licht verbreitete. Dies jedoch und der Silberschein des Mondes, der durch das Spiegelfenster seine milden Strahlen hereinsandte, genügten, um ein eigenthümlich überraschendes Schauspiel zu beleuchten, vor welchem jetzt unser Freund unwillkürlich gefesselt stand.

Auf einem der Lehnstühle lag ein junges Mädchen in malerischer Stellung; sie schlief so fest, daß sie sein Kommen nicht bemerkt hatte. Ein unendlicher Frieden war über ihre kindlichen Züge ausgegossen; leise hob und senkte sich der jungfräuliche Busen in rhythmischen Wellenschlägen. Seine Bewegungen hatten das kleine, bunte Halstuch verschoben, daß ein Theil des schön geformten, rosig angehauchten Nackens sichtbar wurde. Um die feinen Lippen schwebte ein stilles Lächeln; die dunkelblauen Augen waren geschlossen, bedeckt von den zarten Augenlidern und den langen Wimpern, welche einem seidenen Vorhange glichen. Die glühende Wange ruhte auf dem schön geformten Arme, während der andere mit nachlässiger, absichtsloser Grazie niederhing. Ein zierliches Häubchen bedeckte die üppige Lockenfülle eines kastanienbraunen Haares, das von allen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_487.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)